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Telefonisch in die grüne Welle. Von dummen und intelligenten Ampeln

Signalwirkung

News Heiko Dilk

Häufiges unnötiges Bremsen und wieder Anfahren nervt nicht nur, es erhöht auch den Spritverbrauch, den CO2-Ausstoß und auch die Belastung durch Stickoxide und Feinstaub. Künftig sollen clevere, kommunizierende Ampeln den Verkehr noch besser fließen lassen

Berlin, 28. Januar 2015 – Häufiges unnötiges Bremsen und wieder Anfahren nervt nicht nur, es erhöht auch den Spritverbrauch, den CO2-Ausstoß und auch die Belastung durch Stickoxide und Feinstaub, wie Karsten Lemmer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erklärt. „Außerdem verursacht Stop-and-go-Verkehr auch deutlich mehr Lärm“, sagt der Leiter des Instituts für Verkehrssystemtechnik Braunschweig. Er sucht nach Lösungen, den Verkehr besser fließen zu lassen.

In der Regel versuchen die Verkehrsleitstellen in Städten das Ampelnetz soweit wie möglich zu koordinieren. Der Wechsel aus Rot-Gelb-Grün, der Verkehrsteilnehmern manchmal so sinnlos erscheint - etwa, wenn man nachts an einer leeren Kreuzung zum Warten gezwungen wird – folgt oft einem System. „Ampeln haben für gewöhnlich eine variable Umlaufzeit, die zwischen 45 und 120 Sekunden liegt“, erläutert Lemmer. Wie viel Zeit von Grünphase bis Grünphase vergeht, variiert nach Tageszeit oder Wochentag.

Die Hälfte der Ampeln kennt nur eine Routine

Allerdings gibt es noch nicht überall dynamische Lichtsignalanlagen (LSAs), wie Ampeln technisch bezeichnet werden. „Noch heute sind schätzungsweise 50 Prozent der LSAs in Deutschland 'dumme' Ampeln mit fester Umlaufzeit“, sagt Jürgen Krimmling vom Institut für Verkehrstelematik der Technischen Universität Dresden.

Vielfach messen Ampeln allerdings über Induktionsschleifen in der Fahrbahn die Verkehrsströme und bevorzugen je nach Belastung die eine oder andere Fahrtrichtung. „Da werden die Anzahl der Fahrzeuge und die Abstände zwischen den Fahrzeugen gemessen und die Grünphasen dann entsprechend verlängert“, so Krimmling. Lemmer ergänzt: „Unter Berücksichtigung einer maximal zumutbaren Wartezeit kann so eine Grüne Welle erzeugt werden.“ Mit positiven Folgen für die Schadstoffemissionen, denn konstant dahinrollende Fahrzeuge verbrauchen deutlich weniger Sprit.

Doch so eine herkömmliche Grüne Welle ist in ihrer Wirkung begrenzt. „Zunächst mal braucht man auf einem bestimmten Straßenabschnitt die gleiche Umlaufzeit für alle Ampeln“, sagt Christoph Hecht, Fachreferent im Verkehrsressort des ADAC. „Und selbst dann kann man immer nur eine Fahrtrichtung priorisieren.“ Denn in beide Richtungen würde sie nur funktionieren, wenn die Ampelanlagen im selben Abstand zueinander stünden. Zudem bewege sich der Straßenverkehr auch nicht wie ein Monolith. „Manche fahren langsamer, andere schneller, der Pulk spaltet sich auf“, beschreibt Hecht den Verkehrsstrom.

Intelligente Schaltungen begünstigen den ÖPNV

Weiterentwickelte, intelligentere Ampelsteuerungen sollen den Verkehrsfluss verbessern. So arbeitet Lemmers Institut in Braunschweig an einer Steuerung, die für einzelne Fahrzeuge die Verlustzeit über einen bestimmten Verkehrsabschnitt berechnet. „Das Auto mit der größten Verlustzeit bekommt dann zuerst Grün.“ Wobei natürlich alle Verkehrsteilnehmer in die Berechnung einbezogen werden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu, der oftmals priorisiert wird, damit der Fahrplan eingehalten werden kann. „Das ist oft politisch gewollt und ergibt ja auch Sinn“, sagt ADAC-Mann Hecht. „Doch eine Grüne Welle wirft das natürlich aus dem Plan.“

Das weiß auch Krimmling und erprobt in Dresden ein System, bei dem der ÖPNV nur dann die Grüne Welle kaputt machen darf, wenn er verspätet ist. „Es kommt ja auch vor, dass die Straßenbahn zu früh dran ist, dann muss sie warten“, so Krimmling. Besser für die Umwelt ist es allerdings, wenn sie gar nicht erst anhalten muss. Um das zu erreichen, hat man in Dresden Straßenbahnfahrer mit Smartphones ausgerüstet, die von den Ampeln gesendete Fahranweisungen empfangen.

Damit also die Tram genau bei Grün an einem Signal ankommt, wird der Fahrer aufgefordert, langsamer zu fahren oder länger an der vorherigen Haltestelle zu warten. „Selbst wenn sich die Tram-Fahrer nur zu 60 bis 75 Prozent an die Anweisungen hielten, ließ sich damit bis zu 20 Prozent Energie einsparen“, sagt Jürgen Krimmling. Ähnliche Versuche [1] gibt es bei Karsten Lemmer, wo Autofahrern etwa Geschwindigkeitsempfehlungen eingeblendet werden, bei deren Befolgung sie bei Grün an der Ampel ankommen. „Unter guten Bedingungen hat so ein System ein Spritsparpotenzial von 20 Prozent“, sagt er.

Telefonierende Ampeln

Doch damit das funktioniert, müssen die Ampeln in die Lage versetzt werden, zu kommunizieren, ob mit Smartphones oder mit Autos direkt. Das kann laut Lemmer über das Mobilfunknetz geschehen oder auch über andere Standards wie Bluetooth. Zudem müssen aber auch LSAs den Verkehrsfluss noch besser überwachen können. Zwar sind schon jetzt moderne Signalanlagen mit Kameras, Radar- oder Infrarotsensoren ausgerüstet, doch laut Krimmling betrifft das nur etwa 25 Prozent des Bestandes. „Der Rest läuft über Induktionsschleifen in der Fahrbahn“, sagt er, die lieferten jedoch zu ungenaue Daten.

Dennoch sei der finanzielle Aufwand für ein kommunizierendes Ampelnetz nicht unbedingt hoch, sind sich die Forscher einig. „Die Umrüstung für Smartphones kostet fast nichts“, sagt Krimmling. Und auch Lemmer ist überzeugt, dass der Aufwand für Software und Sendeeinrichtung überschaubar ist, sofern die Ampel bereits über eine moderne Steuerung verfügt. Ist das nicht der Fall, wird es allerdings teuer. „Doch früher oder später müssen alte Anlagen ersetzt werden“, sagt Lemmer. Dann sei der finanzielle Unterschied minimal.

Ein Problem bleibt auch bei vollständig aufgerüstetem Ampelnetz: „Nicht alle Autofahrer werden alle Informationen haben“, gibt Lemmer zu bedenken. Deshalb erforscht sein Institut in Blindtests auch die verkehrspsychologischen Auswirkungen eines intelligenten Ampelnetzes: „Wenn ein Autofahrer mit 35 km/h unterwegs ist, obwohl 50 km/h erlaubt sind, fragt man sich natürlich: Warum trödelt der so?“ Umgekehrt könne auch ein Fahrer der mit unverminderter Geschwindigkeit auf eine rote Ampel zufährt, für Irritationen sorgen.

Mit Anlauf über die Kreuzung

Zudem ließen sich zum Beispiel mehr Fahrzeuge in einer Ampelphase über die Kreuzung bringen, wenn die ersten vor der Haltelinie zum Stehen kämen und dann, noch bevor die Ampel auf Grün umspringt, losfahren könnten. Mit Anlauf sozusagen. Auch das wäre für andere Verkehrsteilnehmer schwer nachvollziehbar. „Da müssen alle Fahrer informiert werden, etwa mit Hilfe von Werbekampagnen“, sagt Lemmer.

Wunder sollte man allerdings auch von der intelligentesten Ampel nicht erwarten. ADAC-Mann Hecht hält Modellrechnungen, bei denen durch derartige Systeme 20 Prozent Emissionen eingespart werden, für unrealistisch: „Am Ende helfen Signalanlagen, die mit den Autos kommunizieren, nur solange das Verkehrsaufkommen noch moderat bleibt.“ Wenn also der Verkehr stillsteht, hilft auch die intelligenteste Grüne Welle nichts mehr.


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