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Begehrtes Gut

Test: Kia e-Niro mit 64-kWh-Batterie

Fahrberichte Christoph M. Schwarzer
Kia e-Niro

(Bild: Schwarzer)

Kia kann die Nachfrage nach dem e-Niro derzeit kaum befriedigen. Wie gut ist das SUV mit großer 64-kWh-Batterie? Im Test zeigte sich, warum der Wagen derzeit so beliebt ist: Preis und Leistung passen gut zueinander

„Aus heutiger Perspektive“, so sagt es Kia über den e-Niro, müsse mit „mindestens zwölf Monaten Lieferzeit gerechnet werden“. Der Grund: Engpässe bei der Batterieproduktion. Der unscheinbare Kia ist zu einem der beliebtesten Elektroautos geworden. Seine offensichtliche Stärke ist die Batterie mit 64 kWh Kapazität. 90 Prozent der Kunden zahlen dafür je nach Ausstattungslevel 4500 bis 4800 Euro Mehrpreis gegenüber dem ebenfalls erhältlichen 39,2 kWh-Speicher. Außerdem ist der e-Niro hochwertig verarbeitet und hat fein regelnde Assistenzsysteme. Und trotzdem hat er Schwächen, die ihn keineswegs alternativlos erscheinen lassen.

heise/Autos fuhr die Topversion „Spirit“, die ab 45.790 Euro zu haben ist. Dazu addierten sich im Fall des Testwagens das Lederpaket mit elektrisch verstellbaren und belüfteten Sitzen (1490 Euro), das Typ 2-Ladekabel (287 Euro) sowie der Metallic-Lack (590 Euro). Macht 48.157 minus 4000 „Umweltbonus“ gleich 44.157 Euro. Mehr geht nur, wenn das Glasschiebedach (600 Euro) geordert wird. Viel Geld für ein Auto, dass in den Maßen einem VW Golf Sportsvan [1] entspricht, auch mit Benzin-Hybridantrieb ab 26.990 Euro zu haben ist und im Test vor einem Jahr als Plug-in-Hybrid (mindestens 33.990 Euro minus 3000 Euro „Umweltbonus“) eine gute Figur gemacht hat [2].

Als Gegenwert bekommt der Käufer unter anderem sieben Jahre Garantie auf die Batterie, wobei ein Verschleiß auf 70 Prozent der ursprünglichen Nennkapazität als Grenzwert gilt. Das wären also 44,8 kWh. Eine Wärmepumpe zur Effizienzsteigerung ist übrigens nur für die von den meisten Interessenten gewählte, große Batterie erhältlich; sie ist ab der mittleren Ausstattungsversion „Vision“ (ab 42.790 Euro) serienmäßig eingebaut, die darum das empfehlenswerte Mindestmaß ist.

300 km Autobahn-Reichweite

Die Praxistauglichkeit im Alltag ist beeindruckend. Der Kia e-Niro fährt so geschmeidig und leise, wie das Elektroautos eben tun, und zugleich ermöglicht die 64 kWh-Batterie hohe Reichweiten: Nach Norm kommt der e-Niro „bis zu“ 455 Kilometer weit und verbraucht 15,9 kWh Strom auf 100 Kilometer. Ich habe durchschnittlich 16,2 kWh vom Bordcomputer abgelesen, also exklusive der im gesetzlichen Wert enthaltenen Ladeverluste. Die Ursache: Der e-Niro wurde an öffentlichen Säulen geladen. Solange es keine durchgehend eichrechtskonforme Abrechnung [3] gibt, muss die Zahl des Bordcomputers herhalten.

Eine Stichprobe im Stadtverkehr ergab einen Verbrauch von 12,8 kWh. Macht 500 km Aktionsradius. Bei per GPS gemessener Richtgeschwindigkeit (nach Tacho 135 km/h) auf der Autobahn wurden 20,8 kWh angezeigt – rechnerisch käme der e-Niro also rund 300 Kilometer weit, wenn er auf A7 und A1 bewegt wird. Zum Vergleich: Ein im Februar bei Winterkälte getesteter, kleinerer Hyundai Kona EV [4], der beim Antriebsstrang teilweise identisch ist, kam auf 23 bis 24 kWh.

Wie wichtig ist eine hohe Ladeleistung?

Für die lange Strecke ist die Ladegeschwindigkeit wichtig. Hier zeigt sich beim Kia e-Niro eine Verlaufskurve wie beim Hyundai Kona EV: Nach einer kurzen Kaltstartphase (28 kW Leistung) ackert sich der e-Niro von 51 kW auf ein Hochplateau von rund 75 kW, um bei einem State of Charge von über 70 Prozent erst auf 34 kW abzusacken und weiter zu drosseln. An einer Gleichstrom-Säule (CCS ist Serie) mit lediglich 50 kW Maximalleistung ist der Zeitverlust also gering.

Ohnehin muss gesagt werden, dass die Wichtigkeit der Ladeleistung und folglich der Ladegeschwindigkeit mit steigender Batteriekapazität deutlich abnimmt. Zwar wird das Thema in etlichen Videos und Foren detailliert abgehandelt – es hat bei einem Elektroauto wie dem Kia e-Niro aber nur noch für ausgesprochene Fernfahrer Relevanz. Dazu zwei Rechenbeispiele: Wer von Start bis Ziel 250 km hat, kann hemmungslos fahren. Die Anfahrt zur Autobahn, die ewigen Baustellen und der stockende Verkehrsfluss verhindern zumeist zuverlässig ein energetisch ruinöses Geschwindigkeitsprofil (der e-Niro schafft 167 kmh). Wer 400 km vor sich hat, plant zwei Pausen zu rund zehn Minuten ein. Exaktes Kalkulieren ist machbar; die grobe Schätzung reicht völlig aus. Und wer täglich noch viel weiter fahren will, ist falsch beim batterieelektrischen Auto an sich.

Für das langsame Laden an Wechselstrompunkten wie etwa der heimischen Wallbox [5] ist der Kia e-Niro einphasig ausgelegt. Hier schafft er wegen der Schieflastverordnung nur rund 4,8 kW. Die Nacht muss also ziemlich lang sein, damit eine völlig leere Batterie ganz gefüllt ist. Aber einen so reichlich dimensionierten elektrochemischen Speicher fährt man selten bis zur Neige, und das penetrante Vollladen auf 100 Prozent ist auch kaum nötig – beides schadet ohnehin der Dauerhaltbarkeit der Batterie. Wie von Elektroautos aus dem Hyundai-Kia-Konzern gewohnt fährt der Kia e-Niro mit niedrigen Verbrauchswerten sehr weit.

No sports, bitte!

Die Verarbeitungsqualität und die Haptik der Materialien sind erstklassig - kein Vergleich zum Opel Ampera-e [6]. Es gibt kluge Lösungen wie die 220 Volt-Steckdose in der hinteren Mittelkonsole (nur im „Spirit“, dort serienmäßig), und das Gleiten mit per Lenkradwippe auf Null gestellter Rekuperation ist einfach schön. Dazu kommen Assistenzsysteme wie der adaptive Tempomat, die auf höchstem Niveau funktionieren.

Das heißt nicht, dass der Kia e-Niro perfekt wäre. So sind die 150 kW Leistung des Elektromotors nur eingeschränkt nutzbar – der e-Niro hat deutliche Traktionsschwierigkeiten. Darüber hinaus leidet das komfortable Fahrwerk stark unter dem Übergewicht des e-Niro: 1812 bis 1866 kg stehen im Fahrzeugschein. Davon entfallen laut Kia 453 kg auf die Batterie. In jeder Kurve, die nicht im betonten Cruisingmodus angegangen wird, wankt und rollt der e-Niro. Die unglückliche Lenkungsabstimmung kann dieses Manko nicht ausgleichen. No sports, bitte!

Das Übel beim Niro liegt gewissermaßen darin, dass er zwar von vornherein für den batterieelektrischen Antrieb, aber auch für den Benzinhybrid sowie den Plug-in-Hybrid konzipiert wurde: Unter der Motorhaube des e-Niro wurde Platz verschenkt. Der Beinraum für die Hinterbänkler ist dennoch klar größer als im Hyundai Kona EV, aber der Kofferraum wirkt für einen Pkw dieses Segments eher beschränkt. Kia gibt 451 Liter Volumen an – wenn man das schwer nutzbare Ablagefach im Gepäckraumboden dazu zählt. Die Batterie ragt einige Zentimeter nach unten aus dem Fahrzeug heraus, was den Eindruck verstärkt, dass Kompromisse eingegangen wurden. Ein weiterer Kritikpunkt ist der hohe Materialeinsatz, der sich im überreichlichen Leergewicht spiegelt. Batterieelektrische Autos haben die höchste Energie-, aber nicht die automatisch die beste Ressourceneffizienz.

Warten – oder Alternativen prüfen

Dennoch bleibt als Fazit, dass der Kia e-Niro eins der besten batterieelektrischen Autos ist. Qualität, Komfort und Praxistauglichkeit sind seine Pluspunkte. Angesichts der Lieferzeit stellt sich also die Frage, was Neugierige tun sollen. Sie können bestellen und warten. Oder auf die Konkurrenz blicken: Ein ähnliches Geduldsspiel gibt es beim VW ID.3, der „im Frühsommer“ 2020 ausgeliefert wird. Der ID.3 verspricht bei gleicher Außengröße allerdings mehr Platz, weil er konsequent fürs elektrische Fahren gebaut wurde, und wahrscheinlich passt die Wahl zwischen Heck- und Allradantrieb beim ID.3 besser zur hohen Motorleistung der Elektroautos als der Frontantrieb im Kia. Eine weitere Alternative ist der Nissan Leaf [7] 62 kWh, der in diesen Wochen erstmals auf die Straßen rollt. Und natürlich das Tesla Model 3 [8] als „Standard Plus“ (ab 44.500 Euro), das in kurzer Zeit lieferbar ist.

Kia hat den Testwagen kostenlos zu Verfügung gestellt und überführt. Der Autor hat die Stromkosten getragen.


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https://www.heise.de/-4456326

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/VW-Golf-Sportsvan-Facelift-3808497.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Kia-Niro-Plug-in-Hybrid-4067644.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-neue-Super-Plus-Ladestrom-teurer-als-Dieselkraftstoff-4411434.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Hyundai-Kona-EV-4303336.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Wallboxen-im-Systemvergleich-des-ADAC-4238301.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Alltag-im-Opel-Ampera-e-Der-Gloeckner-aus-Ruesselsheim-4437239.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Nissan-Leaf-4055455.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Tesla-Model-3-4400919.html