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Die BMW R nineT fährt so wunderbar, wie sie aussieht

The Soulful Dynamics

Motorrad Clemens Gleich

BMW hat eine lange, bewegte Geschichte und eine Szene von Menschen, die alte Boxerkräder auf cool umbauen. In einer sehr schweren Geburt ließen sie die hausinternen Coolen den ersten coolen Serienboxer bauen

Almería, 22. Januar 2014 – "Endlich!", seufzte eine Szene von Motorradfahrern, die sich seit so vielen Jahren eine coole BMW wünschen, dass sie sich sowas in vielen Fällen mittlerweile selber gebaut haben. Der Anlass des Seufzers war die BMW R nineT, die wir aufgrund ihres sperrigen Namens fortan "Ninette [1]" nennen werden. Träume dieses Motorrads gibt es in München schon eine ganze Weile, doch die Entwürfe blieben im Keller, bis sich ein Supporter aus dem Management fand, der sich dieses Kellerkinds erbarmte.

Die Geschichte erinnert mich ein bisschen daran, wie Steve Jobs nach seinem NeXT-Experiment in leitender Position zurück zu Apple kam und in Jony Ives Kruschtelkammer die Entwürfe fand, die Apples heutiges zweites Leben ausmachen. Bei BMW kam im Jahr 2008 Hendrik von Kuenheim in die Geschäftsleitung und startete die übliche Inventur der Ideen inklusive Kellerkinder. Mit gleichen Teilen Begeisterung und Unverständnis sah er den Boxer-Roadster: Warum machen wir das nicht? Dann ließ er Leute wie Roland Stocker und Ola Stenegard von der Leine, damit sie es umsetzen. 2008 stand ein Konzeptfahrzeug dazu auf der EICMA in Mailand, das eine Flut von Anfragen auslöste. Das machte Mut.

Aber BMW ist nicht Apple

Natürlich gab es zwischen Apple und BMW einen großen, fundamentalen Unterschied: BMW hatte bereits eine höchst erfolgreiche Palette von Produkten und daher keinerlei Not, wilde Experimente zu fahren. Deshalb musste Roland Stocker zuallererst die Leute mit den Zahlen überzeugen. Seine Argumentation bestand zu einem großen Teil aus Begriffen wie "strategische Ausrichtung" und "Image", die man doch in einer Kalkulation auch berücksichtigen müsse. Mittlerweile ist klar: alles unnötig. Dieses Motorrad ist schon jetzt bis September ausverkauft und hat trotz seines satten Preises von 14.500 Euro keine Probleme, neue Interessenten zu finden. Es steht auch kaufmännisch gesehen für sich allein stabil.

Man ahnt den Grund dafür, wenn man die Bilder sieht. Es ist keine miefige Retroscheiße, die alt aussieht und noch älter fährt, sondern ein moderner Roadster, dessen Gestaltung deshalb so gut ankommt, weil sie das Schlichte, Echte feiert. Die Gestaltung möchte zeitlos sein statt pseudo-alt. An der Maschine zu stehen ist daher eine freudige Überraschung. Der Tacho ist nicht besonders schön mit seinem Fake-silbernen Plastik, doch beim Rest ist alles das, wonach es aussieht. Der Tank ist aus Alublech, mit schön gebürsteten Klarlack-Flanken. Der Scheinwerfer ist aus Stahlblech. Die geprägte Blende vor dem Ansaugschnorchel ist aus Alublech. Die Träger von Sitz und (Plastik-) Schutzblech sind aus geschmiedetem Gussalu. Es gibt sogar ein Typenschild-Blech auf dem Lenkkopf, das schön aussieht, aber keine weitere Funktion hat. Das echte Typenschild ist der bekannte Standard-Aufkleber auf der anderen Seite.

Güldene Gabel statt Dinosaurierknochen

Der Punkt, der vielleicht am meisten zeigt, wie ernst es BMW war, ist die goldene Telegabel. BMW hat auf ihren Telelever verzichtet, diesen Dinosaurierknochen, dieses Relikt aus USP-Eigensinn. "Das war für mich von Anfang an klar", sagt Stocker. "Da muss eine Telegabel rein, keine Diskussion." Die satt dämpfende Gabel hat im Fahrbetrieb keine für mich nachvollziehbaren Nachteile gegenüber dem Dinosaurierknochen, ich behaupte sogar, dieses Boxer-Chassis funktioniert um Welten besser als das der BMW R 1200 R, das mich krachend und klappernd durch den buckligen Schwarzwald nervte. Überhaupt ist das Chassis sehr gut ausbalanciert, mit einer satten, aber nicht zu harten Dämpfung.

Motor und Antriebsstrang stammen aus der letzten Luft-Öl-gekühlten BMW R 1200 GS statt aus der R 1200 R. Das hat den Vorteil, dass die Ninette die kürzere Gesamtübersetzung der GS hat, mit der sie spürbar besser aus den Ecken zieht als die R. 110 PS sind das, was ich bei diesem Konzept als "angemessen" bezeichnen würde. Besonders angemessen ist die Leistung in der Mitte, wo man sie auf der Landstraße eben braucht und das dieselig-gutmütige Losstampfen des Boxers ab Leerlaufdrehzahl.

Die Bedienerposition dabei ist vergleichbar mit der einer Ducati Monster: leicht nach vorne aufgespannt über einen Tank, der wie bei der R 90/6 von der Seite viel dicker aussieht als von oben. Die Sitzposition ist so in etwa die eines MMA-Fighters über einem Gegner auf dem Boden, was sich als das derzeitige Ideal für fahraktive Roadster herausgestellt hat. Die Ninette ist nicht superhandlich, sie will einen eindeutigen Befehl von einem Fahrer, der weiß, wo er hinwill. Nachträgliche Korrekturen nimmt sie eher pflichtschuldig als gierig an, ein Kollege bemühte gar den Textbaustein "drängt auf die weite Linie", womit traditionell leichtes Untersteuern beschrieben wird. Eigentlich also genau so, wie es der flüssige Landstraßen-Surfer mit Roadster-Faible haben möchte: Fährt gut, aber nicht wie von selbst.

Alles, was die Guzzi Griso sein sollte

Die Presseabteilung erinnerte sich daran, dass ich die Motoren vor dem Wasserboxer nicht besonders mochte. Das bleibt auch so. Dieser Motor ist definitiv nicht meiner, genausowenig wie jeder Motor mit längsliegender Kurbelwelle, die akzentuierte Kippmomente bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit über die Rollachse funkt. Aber meine Meinung ist irrelevant. BMW verkauft derzeit rund 45 Prozent seiner Motorräder mit Boxer. Es gibt sie also, die Liebhaber eben dieser Charakteristik, und zwar in Massen.

Diese Liebhaber finden in der Ninette das unverdünnteste Konzentrat dieses Erlebnisses: direkt auf der Motor-Getriebe-Einheit sitzend, den Asphalt über eine güldene Telegabel spürend. Die Ninette ist alles, was ich damals von einer Moto Guzzi Griso 1200 wollte, aber nicht bekam. Und sie ist die einzige coole BMW. Ohne Namen zu nennen: Es gibt Motorräder, die sind wie ein Langeweile-Feuerwehrschlauch. Sie löschen das Kradistenfeuer, weil schnell unklar ist, wieso man so eine Maschine mal gekauft hat. Die Ninette ist das Gegenteil. Sie facht das Feuer an, aus dem heraus sie gekauft wurde. Jeder Kradist mit Feuer sollte eventuelle Besichtigungsgelegenheiten nutzen.


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