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Wir haben den größten Mini mit Allradantrieb und 184-PS-Turbomotor gefahren

Wachstums-Modell: Mini Cooper S Countryman ALL4

Fahrberichte ghe

Der Countryman verschiebt die Wachs­tums­grenzen von Mini nach oben. Wir haben den bisher größten Mini in der Version Cooper S mit Allradantrieb und dem 184 PS starken Turbomotor gefahren

Hamburg, 14. Juli 2010 – Der Erfolg von Retro-Autos ist nicht selbstverständlich, zumal die Retro-Welle ein wenig abgeebbt ist. Beim Mini hat es wunderbar funktioniert, selbst in den USA kommt er gut an, obwohl er für dortige Geschmäcker eigentlich zu klein ist. In dieser Konstellation kommt BMW wahrscheinlich nicht daran vorbei, den Mini ein wenig wachsen zu lassen, sofern es mit dem Markennamen noch zu vereinbaren ist. Der Mini Cooper S Countryman ALL4 – was für ein Name – ist in dieser Hinsicht auch ein Vorbote für Minis Zukunft. Und wie fährt er sich?

Der große Mini

Die Gesamtlänge des Mini liegt bei 4,11 Meter – damit sortiert sich der Wagen ziemlich genau zwischen dem VW Polo (3,97 Meter) und dem VW Golf (4,20 Meter) ein. Er hat immer vier Türen, was natürlich den Einstieg in den Fond enorm erleichtert. Ansonsten haben wir hier halt einfach einen großen Mini vor uns, eine Weiterentwicklung des Designs ist in erster Linie an den Scheinwerfern zu erkennen, die wie gemorphte Varianten des Originals wirken. Die hoch ausgeschnittenen Radhäuser lassen den Wagen höher wirken, als er eigentlich ist. Apropos hoch: Gerüchteweise arbeitet man bei Mini bereits an einem Mini-Van. Falls überhaupt, kommt so ein Wagen erst in ein paar Jahren, also bleiben wir erstmal bei unserem Countryman.

Platz für vier

In der Mini-Limousine konnte man bisher auch schon zu viert fahren. Aber die Passagiere mussten sich in den Fond zwängen und fühlten sich dann eingemauert – Platz für Gepäck gab es sowieso nicht. Das hat sich mit dem Countryman gründlich geändert. Selbst wenn vorne große Menschen sitzen, sind die Platzverhältnisse im Fond noch okay. Allerdings gibt es zwischen den Sitzen vorne und hinten einen himmelweiten Unterschied: In der ersten Reihe wird moderater Seitenhalt für Beine und Rücken geboten, hinten sitzen wir auf dem Gestühl drauf, nicht drin. Und wenn wir schon beim Kritisieren sind: Das 1950 Euro teure Navigationssystem navigiert zwar einwandfrei, aber die Sprachansage ist dürftig. Die oft schlimme Verballhornung, die selbst Großstädte wie Hannover (Navi-Sprech: Heneffer) nicht verschont, ist des heftigen Aufpreises nicht würdig.

Die Innenraum-Verarbeitung wirkt fast perfekt. Hinterschäumte Oberflächen verbreiten ein hochwertiges Flair und lassen sich nicht so leicht zerkratzen. Einziger Wermutstropfen: Die Umrandung des riesigen Zentral-Instruments wird aus sichtbar billigem Hartplastik gefertigt. Hier würde uns eine Klavierlack-Applikation um Welten besser gefallen. Allerdings war dies anscheinend eine Budget-Frage: Stecke ich es lieber ins Fahrwerk oder in den Innenraum? Die Frage beantwortet sich bei einer BMW-Tochter wie Mini natürlich in Richtung Fahrwerk. Ob`s dann fahrwerksmäßig passt, sehen wir gleich. Was auf jeden Fall gefällt: Der Countryman kann sich jede Menge Gepäck schnappen: 350 Liter können mitkommen, bei umgelegten Rücksitz-Lehnen stehen 1170 Liter zur Verfügung. Die hinteren Sitze lassen sich zudem einzeln um 13 Zentimeter in Längsrichtung verschieben. Eine durchgehende Rückbank mit drei Plätzen gibt es gegen Aufpreis.

Kart-Feeling erhalten

Zum Mini-Gefühl gehört nicht nur dieses sehr individuelle Design, sondern auch das sportliche Fahrempfinden, was an das Heizen mit einem Go-Kart erinnern soll. Bei Limousine, Clubman und Cabrio funktioniert das ganz prima. Und beim Riesen-Mini? Da geht das auch. Zwar nickt er in der schnell gefahrenen Kurve ein ganz klein wenig stärker nach schräg vorne ein als seine kleineren Modell-Geschwister, aber sonst fährt sich der Countryman zu 100 Prozent wie ein Mini. Knackig rollt der Wagen über den Asphalt, sportlich geht es um die Ecken. Der Aufwand hinsichtlich der Mehrlenker-Hinterachse mit leichten Aluminium-Längslenkern macht sich bezahlt: In Sachen Agilität können VW Polo und Audi A1 mit ihren Verbundlenker-Hinterachsen nicht mithalten. Die elektromechanische Lenkung ist zudem ein Gedicht, direkt und ohne Spiel hilft sie uns beim "Um-die-Kurven-pfeifen".

Der Name Countryman ist bei Mini nicht neu, bereits in den frühen 60ern gab es ein Modell gleichen Namens. Bekannt sind die kleinen Kombis von damals besonders für ihre Holzbeplankung am Heck, die aufpreispflichtig war und den Wagen den Spitznamen Woody einbrachte. Damals stand der Name wohl dafür, dass man mit Sack und Pack ins Grüne fahren konnte und auf der Wiese neben seinem Picknick-Platz parkte. Um die Geländegängigkeit des neuen Countryman ist es ein wenig besser bestellt. Die Bodenfreiheit von 15 Zentimeter lässt zwar nur Feldwege zu, aber dort wühlt sich der große Kleine mit seinem Allradantrieb gut durch den tiefen trockenen Sand. Und bei sich rechts und links abwechselnden Spurrillen erleben wir beinahe sowas wie eine niedliche Verschränkung. Aber darum geht es bei den Allrad-Versionen des Countryman nicht – er liefert einfach eine gute Traktion auf allen Untergründen. Die voll variable Kraftverteilung zwischen vorne und hinten hilft dabei.

Raum vs. Leistung

Für den Vortrieb im Countryman ist der neue Cooper-S-Motor mit Twin-Scroll-Turbo zuständig, der 184 PS und ein maximales Drehmoment von 240 Nm bereitstellt. Im Boost-Betrieb, also bei kurzzeitigem Vollgas, sind sogar 260 Nm drin. Dem stehen allerdings 1,45 Fahrzeuggewicht entgegen. Bisher war der Clubman mit 1,2 Tonnen der schwerste Mini. Dennoch: In 7,9 Sekunden geht's von null auf 100 km/h. Ein guter Wert, den wir mehr an der zügig ziehenden Tacho-Nadel sehen, als ihn selbst zu spüren. Hoch geht es bis 210 km/h, ab 150 km/h setzen an den Außenspiegeln und den C-Säulen die Windgeräusche heftig ein.

Der Cooper S hängt spontan am Gas, entfaltet willig seine Leistung. Turbolöcher gibt es nicht und sowohl der Twin-Scroll-Turbo, der mit getrennten Abgasimpulsen arbeitet, als auch die beim manuellen Schalter serienmäßig mitgelieferte Start-Stopp-Automatik helfen, den Verbrauch im Zaum zu halten. Mini spricht beim Cooper-S-Motor vom effizientesten Triebwerk seiner Klasse. Der Vierzylinder-Reihenmotor mit 1,6 Liter Hubraum gibt sich im Schnitt mit 6,7 Liter Super auf 100 Kilometer zufrieden (Werksangabe). Das Start-Stopp-System funktioniert übrigens tadellos, äußerst spontan springt der Motor nach einem Ampelhalt wieder an, sobald ich die Kupplung trete.

Sechs Gänge manuell

Für 1540 Euro Aufpreis gibt es den Cooper S Countryman auch mit einer Sechsstufen-Automatik. Unser Exemplar war mit der manuellen Sechsgang-Schaltung ausgerüstet, die sich sehr präzise sortieren lässt. Wer flott und trotzdem sparsam unterwegs sein möchte, hält sich an die Hochschaltempfehlungen, die aus dem Rundinstrument hinter dem Lenkrad grüßen.


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