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Beetlejuice

Zelectric: Neuer Saft für alte Käfer

News Florian Pillau
Zelectric

Zelectric trägt, wenn man will, ein “select” im Namen. Tatsächlich hat das Unternehmen, das in San Diego, Kalifornien residiert, sogar eine ziemlich strenge Auswahl getroffen. Es elektrifiziert vormals luftgekühlte Volkswagen- und Porsche-Modelle, aber auch von denen nur ganz bestimmte

Zelectric trägt, wenn man will, ein “select” im Namen. Tatsächlich hat das Unternehmen, das im kalifornischen San Diego residiert, sogar eine ziemlich strenge Auswahl getroffen. Es elektrifiziert vormals luftgekühlte Volkswagen- und Porsche-Modelle, aber auch von denen nur ganz bestimmte.

Es sind VWs der Baujahre 1958 bis 1967, der T1 mit geteilter Windschutzscheibe, Karmann Ghias der 1960er sowie die technisch ähnlichen, frühen Porsche-Modelle. Außerdem der VW Typ 181 von 1973-74 (!). Ja, der, den sogar Enthusiasten fälschlicherweise gern als „Kübelwagen“ bezeichnen und der in den USA ganz offiziell als „The Thing“ in der Volkswagen-Preisliste stand.

Dieser nicht ganz passgenau als „Retrofuture“ bezeichnete Elektrifizierungsgedanke kam dem Firmenchef David Bernardo vor 12 Jahren, 2006. Retrofuturismus bezeichnet eigentlich die Vorstellung der Zukunft, wie sie in der Vergangenheit vorherrschte. Lassen Sie sich nicht verwirren. Bei Zelectric [1] soll der Begriff bedeuten, dass man Vergangenheit und Zukunft miteinander verbinden will. Den ersten Käfer elektrifizierte er in diesem Sinne aber erst vor fünf Jahren, nachdem er eine Mannschaft aus Spezialisten für alte VWs und solchen in Sachen moderne Elektrik aufgebaut hatte.

Sind fliegende Käfer Retrofuturismus?

Warum gerade diese Autos? Erstens sind sie auch in den USA einigermaßen bekannt und verbreitet. Zweitens sind sie dort mindestens so „Kult“ wie in Europa, und heute prognostiziert ihnen Zelectric die höchsten Wertsteigerungsraten. Drittens sind diese frühen Modelle technisch einfach genug, um wirklich nur den Motor umrüsten zu können, ohne Rücksicht auf die Peripherie.

So muss Zelectric keine elektrische Vakuumpumpe einbauen, um den Bremskraftverstärker anstelle des Verbrennungsmotors mit Unterdruck zu versorgen. Diese frühen Volkswagen benötigten dank selbstverstärkender Trommelbremsen an allen Rädern schlicht keine Bremskraftverstärker. Selbst der 50-PS-Golf war bis 1975 komplett trommelgebremst und wurde nur gegen Aufpreis mit Scheibenbremsen vorn und pneumatischer Bremshilfe geliefert.

Zudem kann die retrofuturistische Manufaktur an diesen Autos die Umrüstung ohne Karosserieblech-Änderungen durchführen. Das bedeutet, dass wirklich nur der Motor getauscht wird. Und auch die Traktionsbatterien finden Platz, wo er bereits vorhanden ist und nicht erst geschaffen werden muss. Beim Käfer im Kofferraum, beim T1 unter einer Sitzbank, beispielsweise. Hardcore-Sammler können sich so sogar die Option offenhalten, wieder auf den Verbrennungsmotor zurückzurüsten, falls das etwa ein Käufer mit einem Originalitätsfetisch wünschen sollte.

Sound of Silence

Der Motor, den Zelectric einbaut, ist über ein erleichtertes Motorschwungrad aus dem Verbrennungsmotor und eine verstärkte Einscheiben-Trockenkupplung mit der Getriebeeingangswelle verbunden. Diese minimalinvasive Vorgehensweise der Spezialisten um Bernardo hat einen Grund. Sie ermöglicht, was die Ingenieure heute erst mühsam neu erfinden: Den multimodalen Elektroantrieb mit selektivem Raddrehmoment. Die alten Vehikel haben das bereits serienmäßig. Es nennt sich „Schaltgetriebe“ und ermöglicht dem Fahrer die Wahl des Raddrehmoments.

Mit Betonung auf „ermöglicht“. Denn dank des für E-Motoren typischen „Instant Torque“, also vollem Drehmoment aus dem Stand, fährt das Auto natürlich auch im vierten Gang ohne Schalten und Kuppeln schneller an als vorher mit dem Benziner. Das ist kein Wunder bei den guten 192 Nm Drehmoment des Zelectric-Antriebs anstelle der 75 Nm, die der vormalige 1200er 30-PS-Boxer (nur!) bei 2000/min aufzubringen imstande war. Ein Wunder eigentlich, dass es die alten Getriebe nicht beim ersten Anfahren zerspant. Sie wurden, anders als heute, von Ingenieuren berechnet, hinter denen noch kein Controller mit geladener Waffe stand. Zudem werden sie alle bei Zelectric zerlegt und mit neuen Verschleißteilen (Lager, Synchronringe etc.) wieder zusammengesetzt.

Wenn Sie beispielsweise die volle Beschleunigung am Berg erleben wollen, können Sie auch im Zweiten anfahren und später hochschalten. Oder sich ganz konventionell mit Pedal und Schalthebel durch alle vier Gänge arbeiten. Die Bedienung der Technik im Maschinistenstil involviert Sie ins Fahr-Erleben und fühlt sich natürlich wieder ungemein „retro“ an. Das elegant Lustvolle im Vergleich zum voll elektronenverhirnten, komplett anonym-sterilen Multimodalen E-Getriebe [2] ist jedoch, dass Sie selbst entscheiden können, wann und wie Sie schalten. Oder eben, ob Sie es überhaupt tun. Wem das normale Käfergetriebe dennoch zu oldschool ist, bekommt bei Zelectric ein modernes, aufs Fahrzeug abgestimmtes Zweiganggetriebe.

Plug Out, Turn On, Tune In

Damit aber nicht genug. Denn mit dem gewählten Gang ändert sich ja auch das Rekuperationsverhalten, also die Rückverwandlung von Bewegung in Strom. Der Motor bremst dadurch in den unteren Gängen so kräftig, dass Sie je nach Fahrsituation (Stadt, Autobahn, Gebirge ...) den zum modernen Einpedalfahren passenden Gang wählen können. Und damit nicht genug: Wie bei jedem guten E-Antrieb lässt sich bei Zelectrics Antrieb zusätzlich die Rekuperationsleistung auch über den elektrischen Pfad einregeln.

Dass Sie bis zu 160 km/h erreichen können sollen, wie Bernardo nebenbei erwähnt, sollten Sie schon im Interesse von Reichweite und, wichtiger: Sicherheit, nur als Information mitnehmen. Die alten VWs sind ohnehin keine Bahnburner und über 100 km/h eher angsterregend. Aber im Stadt- oder gemischten Verkehr halten sie mühelos mit. Je nach Bestückung mit Lithium-Ionen-Batterien verspricht Zelectric zwischen knapp 100 und fast 290 Kilometer Reichweite.

Apropos Reichweite: San Diego liegt zwar in Kalifornien, das seinen Namen dem vulgärlateinischen „Calida Fornax“ (heißer Ofen) verdankt. Dennoch bietet Zelectric eine elektrokeramische Heizung bereits an, während man an einer Klimaanlage noch werkelt. Beide dürften bei Benutzung den Radius spürbar einschränken.

Aber solche utilitaristischen Überlegungen sind bei allen zelectrifizierten Autos natürlich völlig fehl am Platz. Diese Objekte sind sicher zu schade, um sie täglich dem Irrsinn des Pendlerverkehrs auszusetzen. Zelectrische Autos sind eher was für Sie, wenn Sie so ein alter Transporter oder Käfer anspricht, Sie aber keine Lust auf eine laute, stinkende Zeitlupen-Beschleunigung haben und auch nicht einsehen wollen, jede dritte Tankfüllung Ventile und Unterbrecher einzustellen. Mit dem Abschmieren des Fahrwerks und den Tücken der Bremsanlage haben Sie ja auch nach einer Zelectrifizierung noch Arbeit genug.


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[1] http://www.zelectricmotors.com/
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/AVLs-multimodaler-Hybrid-Antrieb-2628998.html