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Knutschkugel auf Speed: Wir haben den Italiener über die Fiat-Teststrecke gejagt

Zwergenrennen: Mit dem 500 Abarth am Limit

Fahrberichte sg
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Mit 135 Turbo-Pferdchen und herrlich übertriebener Renn-Optik tritt der italienische Gernegroß an, den Mini das Fürchten zu lehren. Auf der Strecke bleibt er zwar etwas zurück, doch mit seinem Showtalent liegt er klar vorne

Balocco (Italien), 11. Juli 2008 – Bisher beherrschte der Mini die Riege der kleinen Retro-Racer eindeutig, es gab schlicht keine Alternative. Dank Lifestyle-Flair, Retro-Karosserie, edlem Innenraum und Kart-ähnlicher Agilität fährt der bayerische Brite in seiner eigenen Klasse und stellt die aktuell begehrenswerteste Offerte im Kleinwagensegment dar.

Ein Konkurrent für den Cooper

Jetzt allerdings muss sich der Mini warm anziehen. Seit etwa einem Jahr rüttelt der Fiat 500 heftig am Thron des Engländers. Auch der Italiener gibt mit Retro-Hülle, emotionaler Historie, knuffigem Innenraum und umfangreichen Individualisierungsoptionen den Charmebolzen und Frauenversteher. Zwei Schönheitsfehler trübten bisher den Auftritt des Cinquecento: Eine hohe Nachfrage und relativ geringe Produktionszahlen bedeuten, dass Interessenten lange auf den Retro-Italiener warten müssen. Zweites Manko des 500: Bisher endete seine Motorenpalette beim 1,4-Liter-Benziner mit 100 PS. Der sorgt zwar für adäquates Fortkommen, berauschende Fahrdynamik hat der Turiner in dieser Konfiguration allerdings nicht zu bieten. Am Problem Nummer eins wird sich wohl auch in Zukunft wenig ändern, denn Fiat will den Lifestyle-Status des 500 betonen und ihn nicht zum Massenartikel verkommen lassen. Punkt zwei hingegen ist ab dem 19. Juli 2008 Geschichte, denn dann startet in Deutschland der neue 500 Abarth mit 135 Turbo-PS.

Frecher Auftritt

Optisch gibt sich der aufgebrezelte Heißsporn keineswegs dezent. Im Gegenteil: Rotzfrech steht er da und reckt mir seine Front mit vergrößertem Grill entgegen. Die neckischen Lufteinlässe und die hervorstehende Nase lassen den Kleinen noch zorniger dreinschauen und erinnern zudem an verflossene Abarth-Modelle wie den 1000 TC. In der Seitenansicht ziehen dicke Schweller und die 16-Zöller mit 195er-Gummis (optional sind 17-Zöller und 205er-Reifen erhältlich) die Blicke auf sich. Die Schokoladenseite ist aber das knackige Heck. Zwei Endrohre im XXL-Format, ein Pseudo-Diffusor und der große Dachspoiler demonstrieren Power und dürften langsameren Verkehrsteilnehmern zweifelsfrei klar machen, was sie da gerade überholt hat.

Zwergenrennen: Mit dem 500 Abarth am Limit

Fiat? Wer ist das?

Zur Krönung des jugendlich-frechen Auftritts haben die Macher aus Turin zudem sämtliche Fiat-Logos vom Cinquecento verbannt. Stattdessen prangt an Kühler, Heckklappe und auf den Fahrzeugflanken selbstbewusst das legendäre Skorpion-Logo. Dieses Abzeichen steht schon seit den fünfziger Jahren für Renntechnik im Kleinwagenformat. Die Kreationen des Fiat-Tuners Karl Abarth mischten bis in die Siebziger die Rennszene auf und düpierten regelmäßig deutlich stärkere Konkurrenten. Damals reichten 34 PS Gesamtleistung, um vernünftige Fiat 500 und 600 in heißblütige Straßenfeger zu verwandeln. Im Jahr 2008 müssen es hingegen 35 Extra-PS richten: Unter der Haube nämlich sitzt der 1,4-Liter-T-Jet-Motor, dem ein Turbolader insgesamt 135 Pferdestärken und 180 Newtonmeter entlockt. Wer allerdings die Sporttaste am lackierten Retro-Armaturenbrett aktiviert, erhöht nicht nur die Lenkkräfte der Servolenkung und verschärft die Gasannahme, er schaltet auch das wahre Potenzial des Turbo-Aggregats frei: Im Overboost-Modus, also mit kurzzeitig erhöhtem Ladedruck, fließen dann maximal 206 Newtonmeter an die Vorderräder.

Schön herausgeputzt

Beim Thema Leistung steht der knackig aufgeplusterte Kleinwagen also irgendwo zwischen dem Mini Cooper mit 120 und dem deutlich stärkeren Cooper S mit 175 PS. Vom Gefühl her räubert er allerdings eindeutig im Revier des stärkeren Mini. Zu diesem sportlichen Anspruch passt der überarbeitete Innenraum: Die bildschönen Sportsessel mit integrierten Kopfstützen bieten guten Seitenhalt, lassen allerdings im Schulterbereich Unterstützung vermissen. Das Armaturenbrett wird von Lederapplikationen mit roten Ziernähten aufgepeppt und neben dem Zentralinstrument sitzt eine neue Anzeige für Ladedruck und Schaltzeitpunkt. Am Aufbau der verspielten Cinquecento-Uhren ändert sich dadurch leider nichts: Tacho und Drehzahlmesser sind noch immer ineinander verschachtelt und nicht gerade übersichtlich.

Enger Hochsitz

Zusätzliche Sportschmankerl sind der fette Schalthebel, der belederte Griff für die Handbremse sowie Fußstütze und Pedalerie in Alu-Optik. Insgesamt ist die Verschönerungskur rundum gelungen. Das schon beim Ausgangsprodukt edel wirkende Interieur gewinnt deutlich durch die neuen Teile, auch wenn konservative Zeitgenossen Details wie die Abarth-Fußmatten als übertrieben empfinden dürften. Und natürlich sind die grundsätzlichen Ergonomie-Schwächen des Fiat 500 auch im Abarth vorhanden. Die Sitzposition ist ungewöhnlich hoch und aufrecht. Das dient zwar der Übersicht, wirkt allerdings wenig sportlich. Zudem bleibt hinterm Steuer subjektiv zu wenig Raum für mich: Die Fahrertür links und der voluminöse Mitteltunnel rechts nehmen mich in die Zange. Gefühlt bleiben zwischen meiner Schulter und der Seitenscheibe höchstens ein, zwei Zentimeter Luft. Ebenfalls nicht perfekt: Das dick umschäumte Lederlenkrad mit der abgeflachten Unterseite liegt zwar prima in der Hand, lässt sich allerdings nur in der Höhe verstellen.

Zwergenrennen: Mit dem 500 Abarth am Limit

Narrensicher

Auf der Fiat-Teststrecke sind diese Punkte schnell vergessen. Zu gierig röhrt der kleine Vierzylinder, zu zornig trompetet er seine Abgase in den blauen Himmel Norditaliens. Und selbst wenn die Fahrleistungen mit 7,9 Sekunden für den Sprint auf 100 und 205 km/h Spitze im Klassenvergleich nicht dramatisch klingen: Beim beherzten Tritt aufs Gaspedal fühlt sich die kleine Knutschkugel ziemlich wild an – und klingt auch so. Die Schaltung arbeitet präzise, die Wege könnten in diesem Umfeld allerdings einen Tick kürzer ausfallen. Das Sportfahrwerk hingegen verdient sich auf der ebenen und griffigen Teststrecke das Prädikat „narrensicher“. Eine leichte Wankneigung ist zwar spürbar, insgesamt aber bietet das Chassis eine gute Kombination aus Straffheit und Restkomfort. Die standfeste Bremsanlage schafft mit präzisem Druckpunkt und guter Verzögerung zusätzliches Vertrauen. Am Kurveneingang lenkt der Abarth zackig ein, auch wenn das Lenkgefühl um die Mittellage etwas synthetisch erscheint. Zudem könnte das elektrische System mehr Rückmeldung liefern.

Präzisisionsmaschine

Wer sich an das Lenkgefühl gewöhnt hat, kann den kleinen Racker mit hoher Präzision und viel Speed durch die Kehren scheuchen. Die Fiat-Entwicklung TTC („Torque Transfer Control“) agiert dabei als eine Art elektronische Differentialsperre, indem sie durch gezielte Bremseingriffe den Schlupf an der Vorderachse reduziert. Das funktioniert natürlich nicht ganz so gut wie eine echte Differentialsperre, allerdings regelt das TTC feinfühlig und hält so die Dynamik hoch. Der Motor hängt gut am Gas, dreht eifrig bis 6000 Umdrehungen und entwickelt ab etwa 2500 Touren Biss. Im Drehzahlkeller hingegen tut sich nicht allzu viel: Wer mit dem 500 richtig flott unterwegs sein will, muss den Motor auf Drehzahl und somit den Ladedruck hoch halten. Bleibt abzuwarten, wie sich die bereits angekündigte „esseesse“-Version schlagen wird. Neben einer verstärkten Bremsanlage und noch sportlicherem Fahrwerk enthält diese ultimative Ausbaustufe des 500 Abarth ein Motortuning auf satte 160 PS. Noch gibt's nicht viele Details zu diesem Upgrade-Kit, gemunkelt wird allerdings von einem Preis von 3500 Euro – plus Einbau beim Abarth-Händler.

Neutral bis untersteuernd

In der Kehre selbst überrascht auch die Normalversion des kleinen Italieners mit Gelassenheit. Trotz des kurzen Radstands gibt sich das Chassis sehr gutmütig. Für sportlich gepolte Fahrer vielleicht schon eine Spur zu gutmütig: Nur auf der allerletzten Rille lässt sich etwa das Heck per Gaspedal-Lupfen zum dezenten Sidestep überreden. Auch auf der Bremse ist der Abarth eine ehrliche Haut: Lediglich wenn aus hohen Geschwindigkeiten scharf verzögert wird, kommt der Rennknubbel kurz ins Tänzeln. Bedrohlich oder gar gefährlich wirkt dieses Verhalten allerdings nicht. Das Kurventempo ist für einen derart hoch bauenden Fronttriebler erstaunlich flott – vor allem wenn TTC aktiv ist und die Reifen nicht zu heiß sind. Die Elektronik unterdrückt erfolgreich das Untersteuern und sorgt am Kurvenausgang für maximale Traktion. Mit heißen Gummis sieht die Sache allerdings anders aus: Jetzt schmiert der 500 deutlich früher und ungelenker aus der Kurve. Im Alltag und auf öffentlichen Straßen dürfte es allerdings äußerst schwer fallen, die Pneus derart stark aufzuheizen wie bei unserer Testfahrt auf der Rennstrecke.

Zwergenrennen: Mit dem 500 Abarth am Limit

Nicht ganz so scharf wie der Mini

Insgesamt also ist bei der Fahrdynamik alles in Butter – wenn da nicht der Klassenprimus und Maßstab Mini wäre. An dessen messerscharfes Handling kommt der Abarth dann doch nicht ganz heran. Trotz abgesenkter Karosserie ist der Aufbau des Cinquecento nämlich immer noch sehr hoch und trotz kräftiger Stabilisatoren vorne und hinten legt der Wagen eine immer noch deutliche Wankneigung an den Tag. Wirklich störend oder undynamisch wirkt dies allerdings nicht. Insgesamt fühlt sich der 500 sportlich und agil genug an, um seine zahlreichen Skorpion-Wappen mit Stolz tragen zu dürfen.

Kein Schnäppchen, aber nicht zu teuer

Das gilt auch im Hinblick auf die Kosten, denn schließlich stand der Name Abarth schon immer auch für sportlichen Fahrspaß zum bezahlbaren Preis. Mit 18.100 Euro ist der 500 sicherlich kein Sonderangebot. Allerdings ist die Serienausstattung großzügig und fast komplett. Auch bei der Aufpreisgestaltung geben sich die Italiener zurückhaltend. So kosten etwa die 17-Zoll-Räder lediglich 300 Euro extra, die Klimaautomatik gibt's für schlappe 310 Euro. Ein Mini Cooper mit 120 PS kostet bereits nackt 18.300 Euro, kommt allerdings mit deutlich weniger Extras. Beim Abarth sind Dinge wie die manuelle Klimaanlage, ein CD-Radio mit MP3-Funktion oder ein Lederlenkrad serienmäßig an Bord - beim Mini nicht. Für die gebotenen Fahrleistungen fällt der Verbrauch des kleinen Skorpions zudem erfreulich niedrig aus: Im kombinierten Zyklus nippt der 1,4-Turbo laut Hersteller gerade mal 6,5 Liter auf 100 Kilometer aus dem winzigen 35-Liter-Tank. In der Stadt verlangt er für dieselbe Strecke 8,5 Liter und liegt damit gerade 0,3 Liter über seinem ziviler motorisierten Bruder, dem natürlich beatmeten 500 mit 100 PS.


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