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Selektiv variabel

Zylinderselektiv variable Ventilsteuerung von Mahle

Technik Florian Pillau
Mahle variable Steuerzeiten Nfz-Diesel

In Nfz-Motoren erhöht eine leistungsfähige Abgasentgiftung den Verbrauch, andererseits muss gerade jener neuerdings auch noch kräftig gesenkt werden. Vom Zulieferer Mahle kommt nun ein Vorschlag zu einer Schlüsseltechnologie für diesen Bereich

Die Konstrukteure von Nutzfahrzeug-Motoren geraten in einen ähnlichen Zielkonflikt wie die von Pkw-Motoren: Einerseits erhöht eine leistungsfähige Abgasentgiftung den Verbrauch, andererseits muss gerade jener nun auch noch kräftig gesenkt werden. Vom Zulieferer Mahle kommt nun ein Vorschlag zu einer Schlüsseltechnologie für diesen Bereich.

Für schwere Nutzfahrzeugmotoren gilt derzeit die Abgasnorm Euro VI für den europäischen Markt beziehungsweise die EPA-MY2017-Gesetzgebung [1] für die USA. Um die Werte, gemessen im Labor und im Realverkehr, zu erreichen, sind bereits heute unter anderem ein Partikelfilter und eine Entstickung der Abgase mittels SCR-Katalysator nötig. Eine weitere Verschärfung der Grenzwerte ist zu erwarten. In den USA wird über die Einführung von sogenannten Ultra-low-NOx [2]-Emissionsstandards diskutiert, mit dem Ziel des California Air Resource Board (CARB) von 20 mg/bhp-hr (Gramm pro "Brake Horse" mal Stunde, "Brake Horse" entspricht PS; g/bhp-hr = g/kWh : 1,341) als strengstem Grenzwert.

Dazu kommt der geplante Flottenverbrauch für Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen in der EU. Seit 2009 unterliegen in der EU leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen einer CO2-Regulierung. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen sollen durch Flottengrenzwerte [3] 2030 mindestens 30 Prozent unter dem Niveau von 2019 liegen, teilte die EU-Kommission im Mai mit.

Variable Steuerzeiten nun auch im Dieselmotor

Um ein möglichst sauberes Rohabgas mit einem geringen Verbrauch übereinzubringen, werden in Nfz- und Pkw-Motoren ähnliche Technologien eingesetzt. Die Entsprechungen sind hoch, doch gibt es auch Unterschiede, denn Lkw haben ein anderes Anwendungsprofil und Nutzfahrzeugkäufer sind deutlich sensibler in Bezug auf Anschaffungs- und Haltungskosten sowie die Zuverlässigkeit ihrer Maschinen als Pkw-Käufer.

Als ein Königsweg zu mehr Leistung bei verringertem Verbrauch galten variable Steuerzeiten – doch lange Zeit nur beim Ottomotor. Hier konnte man damit ein großes Potential durch die Entdrosselung heben. Die ersten Motoren mit dieser Technik kamen Ende der 80er, Anfang der 90er (Honda VTEC, Toyota VVTi), größere Verbreitung fand sie erst vor wenigen Jahren. Dabei gab es sie schon in den ersten serienmäßig gebauten Ottomotoren: Ihre Lastregelung wurde nicht etwa per Drosselklappe bewerkstelligt, sondern mithilfe einer variablen Ventilsteuerung durch ein auf der Nockenwelle verschiebbares Nockenstück. Man kannte die Variation von Hub und Steuerzeiten zur Lastregelung damals bereits von der Dampfmaschine, in der man so wahlweise das Drehmoment (unter Vollast etwa beim Anfahren) oder unter Teillast (bei konstanter Geschwindigkeit) die Effizienz durch die Expansion des Dampfs in den Zylindern nutzen konnte.

Beim Dieselmotor blieb die Variationsmöglichkeit allerdings lange unbeachtet, denn die Selbstzünder laufen ja mit maximalem Luftüberschuss und benötigten daher noch nie eine Drosselung. Erstmals in Serie kamen variable Steuerzeiten beim Diesel-Pkw daher erst 2010, im Mitsubishi ASX Diesel, später auch im leichten Nutzfahrzeug L200 [4]. In solchen Motoren ist der wichtigste Treiber für solche in der Produktion teure Lösungen die Rohabgasgüte. Die Variabilität bietet die Möglichkeit, Motor und Katalysatoren schneller auf Betriebstemperatur zu bringen, sie nicht so schnell auskühlen zu lassen und die Regeneration des Partikelfilters durch eine Heraufsetzung der Abgastemperatur zu begünstigen.

So kommt ein frühes Öffnen des Auslassventils einer zusätzlichen Heizmaßnahme für die Abgasnachbehandlung gleich, die man zur Absenkung der NOx-Emission im kalten Motor einsetzen kann. Eine Variabilität in den Steuerzeiten ermöglicht auch eine Warmhaltefunktion in Leerlaufphasen, um ein unerwünschtes Auskühlen der Abgasreinigung zu verlangsamen. Dazu kommt die Möglichkeit im quasistationären Teillastbetrieb (etwa auf der Autobahn) die Expansion zu nutzen und damit den Kraftstoffverbrauch zu senken. Im sogenannten Miller-Zyklus ist der Expansionshub länger ist als der Verdichtungshub, was mit einem frühen Einlassschluss erreicht wird. Millers Patent wurde 1947 eingereicht. Im von James Atkinson bereits 1882 erfundenen Zyklus bleibt das Einlassventil länger geöffnet, mit dem gleichen Effekt eines verkürzten Kompressionshubs und verbesserter Effizienz.

Der Zulieferer Mahle hat nun eine Ventilsteuerung vorgestellt, die es erlaubt, je Kipphebel zwei verschiedene Nockenprofile zu verwenden. Das ist im Prinzip ähnlich wie bei den allerersten Viertaktern der Geschichte, kommt aber ohne die damals übliche Verschiebung eines Nockenstücks aus. Es ermöglicht den wahlweisen Betrieb mit Miller- oder Atkinson-Steuerzeiten sowie die Anpassung der Abgastemperaturen an Belastung und Abgasentgiftung. Zudem kann der Motor damit als verschleißarme Zusatzbremse genutzt werden. In Lastwagen mit ihrer hohen Zuladung ist das eine willkommene Entlastung der Reibungsbremse.

Geringere bewegte Massen

Die Vorteile der Bauweise sieht Mahle darin, dass bei seinem „Shifting Roller System“ die bewegten Massen deutlich kleiner sind als bei verschiebbaren Nockensegmenten. Dadurch müssen die elektrischen Aktoren niedrigere Verstellkräfte aufbringen und die filigraner auslegbare Konstruktion spart Platz im engen Zylinderkopf. Die elektrische Betätigung kann zudem zylinderselektiv arbeiten, was den Regelbereich zu spreizen hilft, beispielsweise bei der Motorbremsfunktion. Um sie zu erreichen, wird auf eine Zweitakt-Steuerung umgestellt, die Bremswirkung des Motors kommt dabei seiner Antriebsleistung nah. Die zylinderindividuelle Aktivierung ermöglicht eine Anpassung an den tatsächlichen Bedarf an Verzögerungleistung. Die üblichen Komponenten für eine herkömmliche Motorbremse kann man sich so sparen.

Mahle beschreibt außer der Motorbremse zwei weitere Funktionen seiner Steuerung: Erstens, ein Frühes Öffnen der Auslassventile hebt die Abgastemperatur ohne weiteren (fossilen oder elektrischen) Energieaufwand. Heißeres Abgas ermöglicht ein früheres Anspringen des SCR-Katalysators oder die Regeneration des Partikelfilters bei Teillast. Und zweitens: Miller- oder Atkinsonzyklus lassen sich wahlweise durch frühes oder spätes Schließen der Einlassventile fahren. Damit kann man in bestimmten (Teil)lastbereichen das wirksame Verdichtungsverhältnis verringern und die Verbrennungstemperatur senken. Der thermische Wirkungsgrad des Motors verbessert sich.

Ob Mahle bereits Kunden für seine neue Nockensteuerung hat, wurde nicht mitgeteilt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4133657

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.epa.gov/regulations-emissions-vehicles-and-engines/final-rule-model-year-2017-and-later-light-duty-vehicle
[2] https://www.arb.ca.gov/msprog/hdlownox/hdlownox.htm
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/EU-Register-fuer-Klimagasausstoss-von-Lastwagen-4006178.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Im-Test-Mitsubishi-L200-DI-D-4WD-3329913.html