Alles "open" oder was?

Google-Chef Eric Schmidt versucht seit über einem Jahr, mit dem Begriff "open" sein Smartphone-Betriebssystem Android gegen das iPhone in Stellung zu bringen. Die Offenheit von Google sei das Gegenteil des geschlossenen Apple-Models. Doch die Formel Android = open = gut und iPhone = closed = schlecht stimmt von hinten bis vorne nicht.

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Von
  • Christoph Dernbach

Wenn man wie ich schon ein paar Semester in der IT-Berichterstattung auf dem Buckel hat, lässt man sich von bestimmten Kampfbegriffen nicht mehr beeindrucken. Ich kann mich noch gut an die Anfangsjahre der PC-Branche erinnern, als neben Microsoft noch eine Reihe von anderen Softwareunternehmen für sich in Anspruch nahmen, den goldenen "Industrie-Standard" gesetzt zu haben. "Standard" war das Zauberwort, das die Portemonnaies der Kunden öffnen sollte. Aber wer kann sich heute noch an das Office-Paket WordPerfect oder das Betriebssystem OS/2 für den "IBM-Standard-PC" erinnern, die damals mit im Rennen waren?

In den aktuellen Debatten der IT-Industrie spielt das Kampfwort "Standard" nur noch eine untergeordnete Rolle. Das hat sicherlich damit zu tun, dass Microsoft sich in fast allen "Standard"-Fragen durchgesetzt hat. Aber spätestens seit der "Think different"-Kampagne von Apple erscheint es vielleicht auch nicht mehr besonders erstrebenswert, der "Standard"-Fraktion anzugehören. Im Web-2.0-Zeitalter hat nun "offen" (open) das S-Wort als Kampfbegriff abgelöst. Auch Microsoft bezeichnet sein jüngstes Office-Format paradoxerweise als "offen" (Office Open XML).

Google-Chef Eric Schmidt versucht seit über einem Jahr, mit dem Begriff "offen" sein Smartphone-Betriebssystem Android gegen das iPhone in Stellung zu bringen. Die Offenheit von Google sei das Gegenteil des geschlossenen Apple-Models. Schmidt muss es ja wissen. Schließlich saß er lange genug im Verwaltungsrat (Board) von Apple: "Man muss ihre Entwickler-Werkzeuge verwenden, ihre Hardware, ihre Software. Und wenn man eine Anwendung veröffentlichen möchte, muss man sich ihre Zustimmung einholen."

Mal abgesehen davon, dass Apple inzwischen sehr wohl den Einsatz von anderen Developer-Tools zulässt, stimmt die Formel von Android = open = gut und iPhone = closed = schlecht von hinten bis vorne nicht. So haben die meisten Android-Anwender keine Möglichkeit, zu einem beliebigen Zeitpunkt auf die längst aktualisierte Version der Google-Smartphone-Software umzusteigen, sondern sind auf das Wohlwollen ihres Providers und/oder des Hardware-Herstellers angewiesen – und müssen dann manchmal feststellen, dass mit dem Update unnützer Tand auf dem Smartphone installiert wurde.

Auch im jüngsten Streit um Video-Standards im Web berief sich Google-Manager Mike Jazayeri, Produktmanager des Chrome-Projektes, auf das Zauberwort "offen", als er, die Unterstützung des H.264-Codecs für das HTML5-<video>-Videoelement aus Chrome zu entfernen.

Als Alternative preist der Google-Mann die WebM-Technologie an, die bekanntlich aus dem Videocodec VP8 und dem Audiocodec Ogg Vorbis besteht. Immerhin hat der Suchmaschinengigant vor einem Jahr 134 Millionen Dollar in die Firma On2 Technologies gesteckt, die den Videocodec VP8 entwickelt hatte (übrigens ohne jegliche Beteiligung der Community, während H.264 im Rahmen der MPEG-Gremien als öffentlicher Standard entwickelt wurde). Im Kern stört sich Google vor allem daran, dass für eine kommerzielle Verwendung von H.264 in Software Lizenzzahlungen an die MPEG-Patentinhaber fällig werden. Diese gehen an das US-Unternehmen MPEG LA, in dem Firmen wie Microsoft und Apple ihre Patente gebündelt haben, aber auch die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft, Siemens, Bosch und Philips sowie etliche asiatische Konzerne wie Fujitsu, Hitachi, LG, Mitsubishi, Panasonic, Samsung, Sony und Toshiba

"Obwohl H.264 eine wichtige Rolle im Videobereich spielt, ist es unser Ziel, offene Innovation zu ermöglichen", schrieb Jazayeri. Daher werde man den H.264-Support entfernen und mit allen Ressourcen "komplett offene Technologien" unterstützen. Würden bei Google die in vielen deutschen Bürogemeinschaften gültigen Anti-Sprücheklopfer-Regeln gelten, hätte Jazayeri an dieser Stelle spätestens einen Geldschein in die Kaffeekasse stecken müssen – zumal ihm bei seinem "Open"-Plädoyer die Unterstützung einer proprietären Technologie wie Adobe Flash offenbar keine Probleme bereitet.

Interessant ist auch, dass die von Google gekaufte WebM-Technologie in den abgeriegelten Büros von On2 Technologies entwickelt wurde, nicht etwa in einem "offenen" Prozess. Außerdem kann Google nicht garantieren, dass der "offene Standard" WebM nicht doch gegen eines der vielen Video-Patente verstößt. Patentklagen kann man nämlich nicht aus dem Weg gehen, indem man patentgeschützes intellektuelles Eigentum unter eine Open-Source-Lizenz stellt.

Ich möchte hier aber gar nicht auf alle Widersprüche der Google-Strategie imeingehen. Mit welchen Methoden der Konzern die Verbreitung seines Chrome-Browsers fördern möchte, könnte mir auch eigentlich egal sein. Wenn Chrome H.264 nicht mehr unterstützt, nehme ich halt Safari oder den aktuellen IE. Aber Google ist nicht nur ein Suchmaschinenbetreiber und Softwarehersteller, sondern ein "800-Pfund-Gorilla" bei den Web-Inhalten. Schließlich betreibt der Gigant mit YouTube die größte Videothek im Web. Daher frage ich mich wie viele, ob Google als Nächstes den Support für H.264 auf YouTube einstellen wird, auf den die Anwender eines iOS-Geräts (iPhone, iPad, iPod touch) angewiesen sind. Das hätte dann weniger mit "Offenheit" und "Innovation" zu tun, sondern mit knallharter Geschäftspolitik auf dem Rücken der User.

Letztlich wird meiner Ansicht nach auch WebM nicht von der Google-Politik profitieren. Die Betreiber von Video-Portalen wie Hulu.com werden sehr bald erkennen, dass man eigentlich nur zwei Videostandards unterstützen muss, um möglichst viele User zufrieden zu stellen. Und neben H.264 wird das Flash sein, mit dem man H.264-Videos auch auf dem Firefox oder Opera zum Laufen bekommt – und nicht WebM. (se)