Berater-Elite oder Borgs?

Im Urlaub habe ich ein Buch über die Unsitten um Umtriebe der großen Unternehmensberatungen gelesen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Bernd Oestereich

Dieses Jahr hatte ich viele kleine Urlaube von immer maximal einer Woche, was ich aber mag. Am liebsten bin ich ja auf Amrum, da kann ich sofort abschalten, im Teehaus sitzen und den ganzen Tag lesen. Neben einem Krimi hatte ich diesmal ein Sachbuch dabei "Beraten und verkauft – McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater" von Thomas Leif. In Deutschland soll es 14 000 Consulting-Unternehmen mit insgesamt 68 000 Mitarbeiter geben. Da ich selbst Inhaber eines solchen Unternehmens bin, wenngleich mit 30 Mitarbeitern deutlich kleiner als "McKinsey & Co.", wollte ich mal erfahren, wie die Branche von außen gesehen wird, wie die Kollegen "bluffen" und ob ich mich auch zu denen zählen muss, die in dem Buch angegriffen werden.

Der Buchrücken ist bereits geschmückt mit den Vorwürfen "Machtmissbrauch", "elitärer Habitus", "Lobbyismus", "Fehlinvestitionen in Millionenhöhe" etc. und das Ganze deklariert als "Insider-Bericht". So spannend war es dann aber doch nicht. Der ganze hintere Teil des Buches ist einfach eine Wiedergabe populärer Highlights aus Bundesrechnungshofberichten. Die grandios gescheiterten Projekte bei der Bundesagentur für Arbeit, bei der Bundeswehr etc. So etwas lese ich auch in Zeitungen immer wieder gerne, man kann so schön lästern. Eigentlich sollte einmal im Jahr ein "Best Of Rechnungshofberichte" herausgegeben werden. Vielleicht könnte der Bundesrechnungshof die Rechte daran auch an eine Satire-/Comedy-Serie im Fernsehen verkaufen. Lachen befreit.

Am Anfang des Buches berichtet eine junge Journalistin über ihre Bewerbung bei McKinsey. Sie ist verwundert darüber, dass sie offenbar ohne angemessenes Vorwissen genommen würde und ein aus ihrer Sicht exorbitant hohes Einstiegsgehalt von 67.000 Euro geboten bekam. Wobei sie so unqualifiziert gar nicht sein kann, schließlich hat sie systematisch eine Analyse über den Berufseinstieg bei McKinsey erarbeitet und wirksam aufbereitet. Sie berichtet auch ausführlich über das sie erwartende Beraterleben bei McKinsey mit 12 bis 16 Stunden Arbeit pro Tag. Für Journalistikanfänger mag es ja viel sein, und 67.000 wäre bei "normaler" Arbeitszeit von 8 bis 12 Stunden pro Tag als Einstieg auch gut. Ein Blick in die Gehaltsvergleiche beispielsweise bei Informatikern würde aber zeigen, dass Gehälter in dieser Größenordnung bei guter Qualifikation und Leistung nicht ungewöhnlich sind. Zwischen den Zeilen klingt viel Neid heraus bei gleichzeitigem Mitleid über die hohe Arbeitsbelastung.

Die menschliche Charakterisierung der Berater ist aber gut getroffen, sofern es "den" Berater überhaupt gibt. Sehr gut dargestellt wird auch, mit welchem Aufwand und auf welchen Niveau die großen Beratungshäuser (es geht hier nicht alleine um McKinsey, sondern ebenso auch um Roland Berger, IBM, Accenture, Boston etc.) ihre jungen Mitarbeiter zu formen und einzunorden versuchen. Das ist elitär. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, als wäre eine Elite etwas Verwerfliches. Dann hätten wir diesen Sommer vielleicht auch auf Jürgen Klinsmann mit dem Finger zeigen müssen, der mit ähnlichen Mitteln gearbeitet hat. Zunächst einmal finde ich zumindest die Erziehung und Einflussnahme hin zu einem guten Selbstbewusstsein angenehm. Gerade wo in Deutschland immer noch so viel gejammert wird, wie schlecht alles sei (Sozialstaat, Wirtschaft, Politik etc.).

Das Buch beinhaltet viele Interviews mit Führungskräften und Beratern der großen Beratungshäuser, die interessant aber nicht unbedingt überraschend sind. Beispielsweise, welche Fähigkeiten Berater haben müssen ("in Hypothesen denken, Hypothesenräume schaffen, gepaart mit der Fähigkeit, von der Analyse in die Realität umzuschalten"). Dass gute Berater den Kunden nicht nach dem Mund reden und hart bleiben müssen, wenn ein Kompromiss zu weit geht und aus einem guten ein schlechtes Konzept wird. Dass das Herausfinden, was der Kunde braucht, nur die halbe Arbeit ist. Die andere Hälfte besteht darin, es so aufzubereiten, dass es dem Kunden einleuchtet und ihn motiviert.

An anderer Stelle im Buch wird dieses Aufbereiten als hochgradig manipulativ und unseriös dargestellt. Was sich für mich merkwürdig anfühlt, weil ich finde, dass das Buch selbst auch zu indoktrinieren versucht (indoktrinieren ist hier gemeint als Vorgang, jemanden zur Annahme bestimmter Überzeugen zu bewegen).

Es gibt in einigen Beratungsunternehmen "ein fundamentales Wissen über Organisationssoziologie und über die Mechanismen, die mit Veränderungsmanagement zu tun haben". Genau das ist der Bereich, der mich am meisten interessierte, der aber leider nicht vertieft wird. Solches Wissen kann nämlich im Sinne des Kunden angewendet werden, um mit machtvollen organisationssoziologischen Interventionen eine notwendige Veränderung voranzutreiben, die im Interesse des Kunden ist und ihn beispielsweise strategisch weiterbringt. Es kann aber natürlich auch für die Eigeninteressen des Beraters missbraucht werden, um beispielsweise einfach möglichst viel abzukassieren und noch eine weitere Busladung Berater beim Kunden zu platzieren.

Weil das ein heikles Thema ist, möchte ich explizit vorweg sagen: Bei den Beratern und Projekten von McKinsey oder Berger, die ich kennengelernt habe, habe ich diese extreme Form nie wahrnehmen können. Ich schicke das vorweg, weil in dem zitierten Buchtitel McKinsey namentlich genannt wird. Die aus meiner Sicht organisationssozioligischen Mißbräuche habe ich vor allem bei anderen Unternehmen kennengelernt, die ich hier lieber nicht namentlich nenne.

Solche Berater beginnen beispielsweise, alle relevanten Entscheidungsträger im angestrebten Einflussbereich durch "Coaches" zu doppeln, mit eigenen Leuten eine Schattenstruktur nachzubilden, die alle Entscheidungen vorbereitet und dann wie die Borgs gesteuert zeitgleich an allen wichtigen Stellen entsprechend Einfluss nehmen. Gut beeinflussbare Kundenmitarbeiter werden entsprechend gefördert. Einflussresistente interne Führungskräfte werden dann systematisch gemobbt, von Informationen abgeschnitten oder kaltgestellt, gegeneinander ausgespielt, notfalls auch tief unter der Gürtellinie. Dazu bedarf es der gezielten und zentralen Sammlung von Informationen über Kundenmitarbeiter und konkurrierende Berater, gerne auch über private Probleme mit der Gesundheit, der Ehe oder der privaten wirtschaftlichen Situation. Kleine und große Geschenke, Bestechung etc. sind dann auch nicht weit. Die Berater selbst sehen zwar nach außen gleich aus, haben aber intern eine fast militärische Hierarchie vom Informationssammler bis zum Herrscher. Am Ende dieses Prozesses, der meistens 6 bis 15 Monate dauert, steht ein Teil der Kundenorganisation unter völliger Kontrolle des "Beratungshauses", was den möglicherweise letzten Schritt einleitet, das komplette Outsourcing des Bereichs. Der Kunde kann es ja schließlich selbst gar nicht mehr steuern. Zumindest aber führt es oftmals dazu, dass die sozialen Strukturen, Vertrauen und gute Arbeitsbeziehungen beim Kunden nachhaltig zerstört wurden, von denen sich der Kunde so schnell nicht erholt.

Manchmal entspricht die organisationssoziologisch gewaltsame Veränderung inklusive des Zurücksetzens, des Outsourcings oder der Vernichtung bestimmter Organisationsbereiche sicherlich dem inoffiziellen Auftrag, sodass vom Berater eigentlich "nur" auftragskonform gehandelt wird. Ich kenne aber selbst genügend Fälle, bei denen ich nicht glaube, dass dieses Vorgehen im Sinne des Auftraggebers war. Zu diesen Aspekten steht leider nichts im Buch. Es hätte mich aber sehr interessiert, da mir als zu diesem Ansatz konkurrierender Berater diese unseriösen und zu sehr im Eigeninteresse geführten Veränderungsprozesse leider immer mal wieder bei Kunden begegnen. ()