Das gläserne Handy

Superharte Gläser wie Dragontrail oder Gorilla machen Furore, seit Apple sein iPhone 4 mit einer Glasrückwand ausgestattet hat. Der japanische Hersteller AGC wird inzwischen von Anfragen nach solchen Handy-Chassis überrollt.

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Von
  • Martin Kölling

Superharte Gläser wie Dragontrail oder Gorilla machen Furore, seit Apple sein iPhone 4 mit einer Glasrückwand ausgestattet hat. Der japanische Hersteller AGC wird inzwischen von Anfragen nach solchen Handy-Chassis überrollt.

Als ich auf einer Ceatec vor ein paar Jahren die erste Designstudie eines durchsichtigen Handys sah, dachte ich noch: Was für ein Quatsch. Inzwischen trage ich selbst den ersten Urahn solcher Glashandys in der Brusttasche, das iPhone 4. Bei dem ist nicht nur der Bildschirm, sondern auch die Rückseite aus Glas gefertigt. Das verwendete chemisch gehärtete Material gibt sich zwar extrem hart und flexibel, lässt sich ziemlich weit biegen bevor es bricht, und überlebt auch leichte Hammerschläge und Stürze. Aber ich bin immer noch skeptisch.

Denn im Gegensatz zu Plastik oder Metall bricht es bei zu roher Krafteinwirkung nicht nur lokal (wie meine Kompaktknipse, die mir aus Augenhöhe auf den Asphalt gefallen ist und noch immer einwandfrei funktioniert), sondern splittert großflächig. Aber die Hersteller sind gänzlich anderer Meinung und reißen sich um Handy-Chassis aus Glas, versicherte mir diese Woche der Chefentwickler von Dragontrail, einem der härtesten Gläser der Welt. "Wir werden von Anfragen überschwemmt", sagt Takahiro Ikezaki, Vize-Präsident der Abteilung Elektronikanwendungen von Asahi Glass Co. (AGC), Japans führendem Glashersteller.

Ikezaki sieht darin einen neuen großen Trend, der ultraharten Gläsern ganz neue Märkte jenseits der Displays erschließt. Es geht nicht mehr allein darum, noch stabileres und flexibleres Glas für die Fronten von Displays zu entwickeln. Die neuen Spezialgläser von AGC und der Konkurrenz erfüllten die Anforderungen der Hersteller derzeit. "Design wird reizvoll", sagt Ikezaki. Denn für die Handy-Produzenten wird es immer schwieriger, sich über Funktionen von der Konkurrenz abzusetzen. Das glatte, schimmernde Gefühl von Glas erlaubt es ihnen nun, den Geräten einen bislang unbekannten Premium-Look (und "Touch") zu verpassen. Die geformten Glasstücke, die ich anfassen durfte, fühlten sich wirklich nett an. Auch die Reflexionen sahen schön aus. Ok, das Argument kaufe ich.

Doch auch außerhalb der Elektronikindustrie geht AGC inzwischen auf Kundenfang: Auch in der Auto- und der Solarindustrie wittert der Konzern großes Potenzial. So wäre es beispielsweise vorstellbar, Polykarbonat (das derzeit in Scheinwerfer-"Gläsern" zum Einsatz kommt), beidseitig mit ultrahartem Glas zu beschichten und so auch für Anwendungen mit hoher mechanischer Belastung, also für Front- oder Türscheiben, zu verwenden. Man hätte dann ein leichtes, kratzfestes Glas: Interessant besonders für Elektroautos, wo jeder Gewichtsgewinn sich sofort in mehr Reichweite übersetzt, meint Ikezaki. Aber auch Solarzellen sollen profitieren. Bisher werden die mit etwa drei Millimeter dicken Glasscheiben geschützt und sind damit zu schwer, um nachträglich auf älteren japanischen Häusern installiert zu werden. Auch hier könnten teure ultraharte Gläser auf Nachfrage stoßen.

Das große Wachstumspotenzial lockt immer mehr Hersteller in den Markt. Der Platzhirsch ist Corning aus den USA mit seinem legendären Gorilla-Glas. AGC ist ein Neuling mit großen Plänen. Bis 2012 will der Konzern 30 Milliarden Yen (oder 360 Millionen US-Dollar) mit Dragontrail-Glas einnehmen. Seit Mai spielt auch Schott aus Deutschland mit seinem "Xensation Cover 3D" in der Liga der chemisch gehärteten Gläser mit. Ich bin nun kein Glasexperte. Aber ich habe aus meinem Gespräch den Eindruck gewonnen, dass sich die Gläser nicht so wahnsinnig stark unterscheiden. Aber ich mag falsch liegen.

Worin sie sich auf jeden Fall voneinander abheben, ist die Produktionstechnik. Corning und Schott verwenden einen Draw-Down-Ansatz, bei dem das geschmolzene Glas schwerkraftunterstützt nach unten hauchdünn ausgerollt wird. AGC hingegen nutzt den Float-Prozess, bei dem das Glas aus dem Ofen horizontal durch eine Art Fließband herausgezogen wird. Die Draw-Down-Technik ermöglicht generell dünnere Gläser. Aber AGC holt auf. Diese Woche hat der Glashersteller ein neues, nur 0,1 Millimeter dickes Spezialglas vorgestellt. Als Vorteil seiner Technik sieht AGC hingegen, dass es längere und breitere Produktionsstraßen bauen und damit leichter höhere Stückzahlen herstellen kann. Mit bis zu vier Meter Breite soll sich das Glas am Band ausziehen lassen. Derzeit arbeite man mit 1,20 Meter Breite, sagt AGC-Chef Kazuhiko Ishimura.

Aber auch an noch härteren Gläsern wird gewerkelt. Generell werden diese Spezialgläser chemisch durch Ionenaustausch gestärkt. Dazu wird das Glas durch eine Salzlösung gezogen, wobei zum Beispiel an der Glasoberfläche Natrium- durch größere Kaliumionen ersetzt werden. Man könnte andere Elemente verwenden, die die Dichte und damit die Druckspannung des Glases erhöhen. Damit würden die Gläser noch flexibler. Aber gleichzeitig müsste man auch darauf achten, dass die Dicke der chemisch behandelten Schicht nicht schrumpft. Denn von der hängt die Kratzfestigkeit ab.

Alles eine Frage der Nachfrage. Doch ob der Markt wirklich noch härtere Gläser will oder sich mit dem heutigen Niveau zufrieden gibt, will Ikezaki von AGC nicht voraussagen. Aber weiter entwickeln will er auf jeden Fall. Möglicherweise wolle ein Hersteller ein Glas-Handy haben, das man gegen die Wand werfen könne. Naja, ich wäre jedenfalls nicht abgeneigt. (bsc)