Fortschreitende Zerstörung unserer Wissensgesellschaft

Die europäische Richtlinie zur Informationsgesellschaft soll nach dem Willen deutscher Politik umgesetzt werden und macht Autoren und Verlegern Sorgen.

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Von
  • Bernd Oestereich

Letztens schrieb ich über die GE, heute ein ähnliches Thema, nämlich die "europäische Richtlinie zur Informationsgesellschaft".

§52a des Urheberrechtsgesetzes erlaubt Institutionen der Forschung und Lehre, Teile von Büchern und Zeitschriften einzuscannen und in Intranets zu verbreiten. Mal davon abgesehen, dass im Gesetz eine "angemessene Vergütung" dafür vorgesehen ist, die noch nie gezahlt wurde, klingt das ja noch nicht weiter kritisch.

Ach so, vielleicht sollte ich vorher meine Interessenslage deutlich machen: Ich bin Autor. Trotz der Vielzahl von beinahe 20 Bücher in den letzten 15 Jahren, an denen ich irgendwie beteiligt war, aber dennoch eher Hobby-Autor. Ganz praktisch heißt das, ich verbringe sehr viel Zeit damit, Fachthemen so aufzubereiten, dass andere sich dort besser hineinfinden können. Dafür bekomme ich vor allem Ansehen und Anerkennung. Das ist zugegebenermaßen auch ein schönes Gefühl. Manchmal berechtigte Kritik, aus der ich lernen kann. Auch das ist gut.

Und ich bekomme auch Geld dafür. Vom Verlag und von der VG Wort (das ist die GEMA der Schriftsteller). Da ich ein Vielschreiber bin, bekomme ich schon ein wenig mehr als ein "Taschengeld". Vielleicht liegt der Betrag sogar über dem Existenzminimum. Wenn ich mir aber den Stundenlohn ausrechne, den mir das Schreiben bringt, muss ich doch feststellen, dass ich mit den meisten anderen Tätigkeiten die mir möglich sind, einfacher Geld verdienen könnte. Also bin ich glücklich, nicht davon leben zu müssen, wie reine Journalisten und hauptberufliche Autoren.

Das ist aber gar nicht mein Thema heute, sondern die aktuellen gesetzlichen Entwicklungen zum Urheberrecht.

§52b des Urheberrechtsgesetzes erlaubt es Bibliotheken, die vollständigen Texte von Büchern und Zeitschriften aus ihren Beständen auch ohne Genehmigung zu zeigen. Die Verleger haben dem zugestimmt mit der Maßgabe der Bestandsbindung, das heißt es dürfen auf verschiedenen Bildschirmen immer nur so viele Exemplare gleichzeitig sichtbar gemacht werden, wie die Bibliothek auch physisch Exemplare besitzt.

Dies soll jetzt wegfallen. Also muss eine Bibliothek immer nur noch ein Exemplar besitzen und kann unbegrenzt digitale Kopien bereitstellen.

Auch die Vergütungsabgaben auf Scanner, Brenner, Drucker et cetera weden immer mehr begrenzt und sorgen für sinkende Einnahmen bei Verlegern, Produzenten und Autoren.

Hierbei handelt es sich nur um zwei herausgegriffene Beispiele in einer ganzen Entwicklungskette, die letztendlich eine kumultative Enteignung von Autoren und Verlagen bedeutet. Als Nutzer des Internets freue ich mich ja auch über jedwede elektronisch verfügbare Publikation, keine Frage. Wenn ich als Autor entdecke, dass eines meiner Bücher vollständig eingescannt auf dem Server einer Uni liegt, freue ich mich nicht mehr. Obgleich ich Verständnis dafür habe, wegen der armen Studenten, die sonst nichts lesen könnten. Da ich als Autor ja sowieso keine großartige Vergütung erhalte, könnte man also vielleicht denken, naja, dann trifft es eben nur die Verlage, das ist halt Pech. Die haben ja mehr Geld als die Studenten.

Das eigentliche Problem sehe ich woanders. Wenn ich ein Buch herausgebe, dann mache ich das nie alleine. Es sind immer viele andere Personen daran beteiligt. Es gibt ein Lektorat, dass mich dabei unterstützt, überhaupt das richtige Buch zu schreiben. Ist der Themenschwerpunkt richtig? Ist die Gliederung sinnvoll? Dazu verteilt der Verlag mein Exposé an andere Fachleute und holt Gutachten, Meinungen und Ratschläge ein, die ich zurückbekomme. Die fertig geschriebenen Teile werden dann auch noch einmal begutachtet. Diese Fach-Reviews führen manchmal dazu, ganze Abschnitte völlig neu zu schreiben. Fast immer aber werden viele inhaltliche Fehler aufgedeckt und gute Ideen und Ratschläge beigebracht, die das Buch erst zu einem guten Buch machen. Das Problem beim Schreiben ist ja, dass man das Geschriebene auch lesen können soll. Und welcher Autor liest schon, was er schreibt? Die Verlagsaufgaben gehen dann weiter mit dem Copy-Editing, bei dem die Rechtschreibung und viele andere formale Fehler und Inkonsistenzen korrigiert werden, bis hin zur Umschlaggestaltung, der Produktion und dem Vertrieb.

Wenn nun die Verlage kein Geld mehr verdienen, werden sie einige dieser Leistungen nicht mehr erbringen, vor allem die, bei denen es nicht sofort auffällt. Das führt dazu, dass die Bücher immer schlechter werden und zunehmend vor allem auch inhaltliche Fehler enthalten. Für den Leser bedeutet dies, dass er zwar möglicherweise viel mehr Texte zur Verfügung hat, deren Relevanz und Qualität aber gar nicht mehr bemessen kann. Schlimmstenfall wird er in die Irre geführt oder wird absolutem Schund ausgesetzt. Ein Verlag ist eine filternde und qualitätsunterstützende Instanz.

Letztendlich zerstören wir also mit solchen Gesetzen eine Infrastruktur, die wir als Informations- und Bildungsgesellschaft für unsere Zukunftssicherung benötigen. Die qualitätssichernden und –fördernden Schritte im Geschäftsprozess der Fachpublikationen werden dann von niemandem mehr honoriert. Auf rein ehrenamtlicher Basis wird es aber vermutlich auch nicht funktionieren, denn die Hauptantriebskraft der Fachbuchautoren, nämlich Anerkennung zu bekommen, wird bei den anderen wichtigen Helfern und übrigen Beteiligten kaum vorhanden sein.

Anders als bei ähnlichen Problemen in der Musikbranche, in der es viel mehr um Unterhaltung und Vergnügen geht, ist der Schutz des Urheberrechtes für Fachpublikationen für mich eine Basis unserer Wissensgesellschaft. Für mich persönlich verändert sich zunächst nur wenig durch solche neuen Gesetze. Gesellschaftlich tun wir uns damit keinen Gefallen! ()