Geheimzeit

Moderne Armbanduhren zeigen nicht mehr einfach an, wie spät es ist. Sie lassen sich decodieren. Nach den uhrzeitverweigernden Uhren kommen nun crowdgefundete Smartwatches.

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Von
  • Peter Glaser

Moderne Armbanduhren zeigen nicht mehr einfach an, wie spät es ist. Sie lassen sich decodieren. Nach den uhrzeitverweigernden Uhren kommen nun crowdgefundete Smartwatches.

Moderne Uhren verleihen nicht Zeitgefühl, sondern neue Arten von Status. Man kann auf vielen nicht mehr einfach die Zeit ablesen, denn sie sind stilverschlüsselt. Man muss geometrische Lichtzeichen, Bläschen oder oszillierende Balken decodieren. Die Zeit erschließt sich einem erst, wenn man die geometrischen Zeichen auf dem Display zum Beispiel als stilisierte Buchstaben und Ziffern liest. Es sind Uhren, die nicht mehr einfach anzeigen, wie spät es ist. Sie bringen uns wieder in Berührung mit dem Geheimnis der Zeit.

Richtige Erfinder geben sich damit aber noch lange nicht zufrieden. Der englische Tüftler James Larsson ist bereits mit seiner ungewöhnlichen Garnelensandwich-Uhr aufgefallen. Sie zeigt an, in welcher zeitlichen Verfassung sich ein Sandwich befindet. Der Gedanke, dass man mit Hilfe von Sensoren und eines Computers jederzeit feststellen könnte, wie frisch ein Sandwich ist, hatte ihn nicht mehr losgelassen: "Es hat mich fasziniert, dass alles sich mit der Zeit verändert – speziell Sandwiches." Da sich die elektrische Leitfähigkeit sowohl der Garnelen, als auch der Mayonnaise und des Brots verändert, war es ein Leichtes, ein Sensorium für die Sandwichuhr zu basteln. Genau genommen müsste man sie als Garnelensandwich-Stoppuhr bezeichnen, da sie sozusagen einen Frische-Countdown laufen lässt.

Und Larsson sucht weiter nach ungewöhnlichen Zugängen zur Zeitmessung. Ein Hack war auch sein Umbau eines alten VHS-Videorekorders, der danach als timer-gesteuerte Katzenfütteranlage fungierte. Die Vielfalt an uhrzeitverweigernden oder -verkomplizierenden Uhren, die es inzwischen gibt, ist erstaunlich. Nicht nur Smartphones machen der puren Uhr die Nützlichkeitsfunktionen streitig. Futuristische Entwürfe für armbanduhrähnliche Vielzweckschöpfungen weisen nicht nur Start Trek-Fans darauf hin, dass wir in der Zukunft angekommen sind. Hightech-Armbandgadgets enthalten nicht mehr nur Uhren, sondern MP3- und Videoplayer, Fotoalben etc. pp.

Und womöglich erleben wir mit dem überraschenden Erfolg der sogenannten Smartwatches gerade eine hypermoderne Renaissance der Armbanduhr. Die Gerätchen verfügen über ein wenig Intelligenz, halten per Bluetooth die Verbindung zum Smartphone und zeigen auf ihrem Display neben der aktuellen Uhrzeit an, ob es neue Mails zu checken gibt, Nachrichten über entgangene Anrufe eingetrudelt sind oder Termine anliegen. Für die Produktion einer Smartwatch namens Pebble wurden auf der Finanzierungsplattform Kickstarter bisher atemberaubende 10,2 Millionen Dollar eingesammelt – angezielt waren 100.000 Dollar. Es ist das bislang erfolgreichste Projekt dieser neuen Art von Geldbeschaffung.

Ein ähnliches Unterfangen ist ebenfalls bereits überfinanziert: Mehr als 300.000 Dollar statt der avisierten 150.000 haben Zeit-Interessierte für die Smartwatch Cookoo zusammengelegt, eine Art Kuckucksuhr für's digitale Zeitalter. Sie zeigt Minisymbole auf dem Zifferblatt, wenn eine neue Mail, ein Tweet oder ein Anruf auf dem Smartphone eingegangen ist. So soll das manchmal nervtötende Nachschauen auf dem Handydisplay durch einen wie gewohnt diskreten Blick auf die Uhr ersetzt werden. Die Cookoo soll in einer Verpackung ausgeliefert werden, die später als Vogelhäuschen weiterverwendet werden kann. (bsc)