KI in der Softwareentwicklung: Überschätzt

Das Ende ist nah: Bald wird KI die Softwareentwicklung übernehmen. Das ist übertrieben und zeigt, wie unklar ist, worum es Softwareentwicklung wirklich geht.

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(Bild: Login/ Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Eberhard Wolff
Inhaltsverzeichnis

Zunächst: KI hilft beim Produzieren von Code. Das ist zweifellos ein signifikanter Fortschritt und wird vieles ändern. Jeder kann die zahlreichen Werkzeuge ausprobieren und sich davon selber überzeugen, wie mächtig diese Werkzeuge sind.

Continuous Architecture – Eberhard Wolff

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Eberhard Wolff

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Eberhard Wolff ist Head of Architecture bei SWAGLab und arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Architekt und Berater, oft an der Schnittstelle zwischen Business und Technologie. Er ist Autor zahlreicher Artikel und Bücher, u.a. zu Microservices und trägt regelmäßig als Sprecher auf internationalen Konferenzen vor. Sein technologischer Schwerpunkt sind moderne Architektur- und Entwicklungsansätze wie Cloud, Domain-driven Design und Microservices.

Aber auch wenn es zunächst paradox erscheint: Code zu produzieren, ist nicht das wesentliche Problem bei der Entwicklung von Software. Das wirkliche Problem ist, herauszufinden, welcher Code geschrieben werden muss. Dazu müssten die fachlichen Anforderungen bekannt sein. Anforderungen sind in der Praxis aber meist viel zu unklar, um daraus erfolgreich Software entwickeln zu können. Selbst wenn sie klar scheinen, stellt sich oft später im Prozess heraus, dass es doch Missverständnisse gab. So kommt der Interaktion mit Domänenfachkundige eine zentrale Rolle zu. Entwickler und Entwicklerinnen müssen so viel über die Domäne lernen, dass sie die passende Software für die fachlichen Fragestellungen entwickeln können.

Außerdem ändern sich die Anforderungen. Durch die Entwicklung der Software, den Einsatz der neuen Software und den damit zusammenhängenden Diskussionen reflektieren User und Domänenfachleute über die Nutzung der Software und kommen so zu neuen Anforderungen. Auch an diesem Prozesse müssen Developer teilnehmen, um zu verstehen, was zu entwickeln ist. Zudem können sie Feedback geben, falls Anforderungen besonders leicht oder schwierig umsetzbar sind - oder Änderungen an den Anforderungen die Umsetzung deutlich vereinfachen.

Bei den Anforderungen erkennt man schon die Bedeutung des Faktors Mensch. Er ist ebenfalls zentral: Softwareentwicklung findet immer im Team statt. So ein Team besteht üblicherweise aus mehreren Developern, aber auch andere Rollen wie UX-Experten, Architektinnen oder POs. Damit kommt der Kommunikation eine zentrale Rolle bei der Entwicklung zu: Aufgaben müssen verteilt und organisiert werden. Und die Organisation beeinflusst auch die Software: Das Gesetz von Conway besagt, dass die Architektur der Software den Kommunikationsbeziehungen des Teams entspricht. Wenn das soziale Gefüge so einen starken Einfluss auf die Entwicklung hat, dann sind in diesem Bereich auch die zentralen Herausforderungen. Und so haben die meisten Probleme in den Projekten auch ihre Ursache in der menschlichen Ebene. Hier kann KI nicht helfen.

Es wäre möglich, dass durch KI die Produktivität so sehr erhöht wird, dass eine Person statt eines Teams für ein Softwareprojekt ausreicht und so der Faktor Mensch weniger wichtig wird. Das erscheint unwahrscheinlich. Und die Interaktion mit Menschen zur Klärung von Anforderungen ist immer noch notwendig. Außerdem gab es auch schon vor den KI-Tools Fortschritte bei der Produktivität. Das hat aber nicht zu kleineren Teams geführt. Die Größe der Software-Teams steigt subjektiv eher, um noch kompliziertere Systeme zu realisieren und noch mehr Bereiche mit Software zu unterstützen. Wenn sich der Trend fortsetzt, werden wir mit KI ebenfalls noch komplexere Systeme bauen und nicht etwas kleinere Teams.

iX-Workshop mit Rainer Stropek: Programmieren mit Github Copilot und ChatGPT

Mit GitHub Copilot und ChatGPT kann man produktiver programmieren, wenn man die KI-basierten Tools richtig einsetzt, die Grenzen kennt und die Risiken abwägt. Am 29. November 2023 erklärt Rainer Stropek in seinem Workshop Produktiver programmieren mit Github Copilot und ChatGPT, wie GitHub Copilot auf Basis der zugrundeliegenden Algorithmen und Daten funktioniert, wo die Grenzen liegen und wann es besser ist, auf ChatGPT zurückzugreifen.

Das Produzieren von Code zu vereinfachen, ist auch nichts Neues. Im Gegenteil: Es gibt eine lange Historie von technischen Ansätzen, um Softwareentwicklung zu vereinfachen. Typischerweise heben diese Ansätze die Entwicklung auf eine neue Abstraktionsebene. Begonnen hat Softwareentwicklung damit, dass man Binärcode direkt in den Speicher der Computer geschrieben hat. Assembler hat dann Befehle definiert, die den Binärcodes entsprechen, aber einfacher zu merken und zu verstehen sind. So wurde vom Binärcode abstrahiert. Hochsprachen führen Konzepte ein, die von Assembler abstrahieren und mit denen Algorithmen und Logik noch einfacher ausdrückbar ist. Parallel sind Aufgaben in die Infrastruktur gewandert und wurden so für Entwicklungsteams: Betriebssysteme und Datenbanken bieten Lösungen für Persistenz, Speicher- und Prozessverwaltung. Libraries und Frameworks bieten auf Code-Ebene fertige Lösungen für typische Teilfunktionalitäten an. Und die Cloud bietet eine Abstraktion über viele vorhandene Infrastrukturelemente wie Datenbanken oder Computer, sodass Infrastruktur für Projekte einfacher umgesetzt werden kann.

KI ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Tatsächlich sind die Fortschritte so beeindruckend, dass man sicher von einer neuen Abstraktionsstufe sprechen muss. Es gibt prototypische Werkzeuge wie GPT Engineer, die eine ganze Anwendung anhand einer Spezifikation erstellen und dabei Rückfragen stellen, falls Anforderungen unklar sind (Video). Nur wie zuvor erwähnt: Softwareentwicklung mit klaren Anforderungen ist nicht das Problem. Also wird der weniger problematische Teil der Softwareentwicklung durch KI vereinfacht und nicht der Kern.

KI führt sogar zu Gefahren: Eine Studie hat das Verhalten von Entwicklerinnen und Entwicklern beim Schreiben von sicherheitsrelevantem Code ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass diejenigen mit KI-Unterstützung ihre Lösungen als sicherer einstufen als solche ohne. Nur ist in der Realität genau das Gegenteil der Fall: Ihr Code ist weniger sicher. Und das ist offensichtlich gefährlich: Es geht eben nicht darum, Code zu produzieren, sondern ein Problem soll gelöst werden. Und sicherheitsrelevante Software mit Sicherheitsprobleme schafft in Wirklichkeit neue Probleme. Gerade der Unterschied zwischen der subjektiven Bewertung und der objektiven Realität kann verheerend sein: Man glaubt, die Software sei sicher. Das stimmt aber nicht. Sicherheitslücken sind nur leider anders als fachliche Fehler oder Performance-Probleme nicht offensichtlich und so kann der Schaden ganz im Verborgenen entstehen. Solche Risiken zu managen und Lösungen zu entwerfen, welche die Qualitäten beispielsweise bei Sicherheit bieten, kann eine KI ebenfalls kaum lösen. Au!

Das nächste Problem: Es geht meist nicht um das Produzieren von Code, sondern um das Ändern. Das bedeutet auch, dass Entwicklerinnen und Entwickler vorhandenen Code lesen und verstehen müssen, um ihn sinnvoll zu ändern. Offensichtlich wird Code am Anfang einmal geschrieben, aber öfter geändert und damit auch gelesen. Dann ist das größere Optimierungspotential aber nicht beim einmaligen Produzieren, sondern beim Lesen, Verstehen und Ändern, das viel öfter stattfindet. Aber auch in diesem Bereich kann KI helfen: Tatsächlich kann man ChatGPT darum bitten, Code zu erklären. Dabei geht es eher um kleinere Codeschnipsel. Aber das Potenzial ist sicher groß: Gerade für Legacy-Code könnte eine speziell auf ein System trainierte KI ein interessantes Werkzeug sein, um das Verständnis des Systems zu verbessern und damit Änderungen zu vereinfachen.

Das Problem der Softwareentwicklung ist nicht, Code zu produzieren, sondern zu verstehen, was implementiert werden soll. Die Produktivitätsvorteile durch KI lösen dieses Problem nicht. KI wird Softwareentwicklung wesentlich ändern, aber nicht das Kernproblem lösen.

(rme)