Nichts ist unmöglich

Wenn das Klima sich aufheizt, warum kühlen wir es nicht künstlich wieder ab? Eine naive Vision des Atomzeitalters erlebt eine überraschende Renaissance. In vorderster Front: Nobelpreisträger Paul Crutzen

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Von
  • Matthias Urbach

Es gab eine Zeit, da galt die Technik als Lösung für alles. Kein Problem, nicht mal das Klima, war zu groß für einen guten Ingenieur. Der Mars ist unbewohnbar? Gut, dann verpassen wir ihm atembare Luft und erwärmen seine Atmosphäre ein wenig mit Treibhausgasen. Die Erde heizt sich zu sehr auf? Na gut: Dann schatten wir sie mit Satelliten etwas ab. Im Atomzeitalter der Fünfziger und Sechziger schien nichts unmöglich.

Noch in den Siebzigern und Achtzigern grübelten Forscher wie der Russe Michail Budyko oder der Amerikaner Wallace Broecker über solche Klimatechnik in Übergröße. Als unsereiner den Treibhauseffekt noch bestenfalls mit Tomaten in Verbindung brachte, wollten sie kühlende Schwefelpartikel in die Luft bringen, um einer möglichen Erderwärmung entgegen zu wirken. Ende der Neunziger schließlich brachte sich das letzte Fossil der Moderne, Edward Teller, so gegen die Klimaschützer in Stellung. „Sonnenlichtstreuende Partikel“ seien die billigste Abhilfe gegen ein „Problem, das vielleicht gar nicht existiert“.

Seit ein paar Jahren gehört der (versehentlich) menschengemachte Treibhauseffekt zur Allgemeinbildung. Weil aber die Nationen nur zögerlich ihren Ausstoß an Treibhausgasen angehen, denken immer mehr über den Plan B nach. Für die meisten heißt der: Anpassung von Siedlungen, Getreide und Lebensweise an höhere Temperaturen, gegebenenfalls gar Evakuierung von tiefliegenden Inselstaaten und Küstenstreifen.

Andere hingegen greifen aufs Atomzeitalter zurück: Paul Crutzen schlug im Februar auf einer Fachtagung überraschend vor, dem Pfad von Budyko und Co zu folgen. Im August will Crutzen die Idee mit einem Artikel in Climate Change erläutern. Sein Plan: Ein paar Tausend Ballons mit Schwefelwasserstoff (ja, diese Stinkbombenchemikalie) sollen von den Tropen aus in die Stratosphäre geschickt werden. Zehn bis fünfzig Kilometer über den Boden soll das Gas verbrannt werden zu Schwefeldioxid, das sich wiederum in Sulfate umwandelt. Das würde die Atmosphäre merklich abkühlen. Schwefeldioxid ist auch ein Nebenprodukt von Vulkanausbrüchen, sowie der Verbrennung von Kohle und Öl - und verantwortlich für den „Sauren Regen“. Nötig sei, rechnet Crutzen vor, etwa ein Hundertstel der Menge, die derzeit weltweit von Autos und Kraftwerken herausgepustet wird.

Was ist nun das Neue daran? Erstens: Paul Crutzen ist nicht irgendwer. Der Holländer vom Max-Planck-Institut in Mainz ist vielleicht der berühmteste Atmosphärenchemiker der Welt. Geadelt durch den Nobelpreis für die Mitaufklärung des Ozonlochs. Und bislang technischer Allmachtsphantasien völlig unverdächtig. Zweitens: Wir wissen inzwischen viel mehr über die Vorgänge in der Atmosphäre als noch vor dreißig Jahren.

Aber wissen wir genug? Als Experte für den Ozonabbau durch FCKWs kennt Crutzen die Risiken der Klimatechnik nur zu gut. Diese Verbindungen aus Fluor, Chlor, Kohlenstoff und Wasserstoff wurden schließlich in den Dreißigern als ideales Kühlmittel eingeführt, weil sie so wunderbar stabil und weder brennbar noch giftig sind. Leider erreichen sie deshalb weltweit nach Gebrauch so wunderbar hohe Luftschichten, wo sie nun die Ozonschicht zerkauen. Crutzen verweist gern auf das „großes Glück“, dass damals die Ingenieure das Kühlmittel mit Chlor entwickelten - und nicht mit Brom. „Hätten sie Brom gewählt, hätten wir bereits in den 1970ern ein katastrophales Ozonloch überall in zu allen Jahreszeiten gehabt.“

Bevor wir die Stratosphäre gezielt schwefeln, will Crutzen die Idee deshalb genau ausgeforscht wissen. Wichtig sei ihm aber, dass „Climatic engineering“ künftig „nicht mehr tabuisiert“ werde. Crutzen stellt dabei die Motivation von Budyko, Broecker und Teller vom Kopf auf die Füße: Er will die Atmosphäre nicht schwefeln, weil wir Menschen die Erde technisch so leicht beherrschen können, sondern sucht eine Notbremse, weil wir sie unfreiwillig bereits so stark verändert haben. „Das wichtigste Ziel“, sagt Crutzen, sei nach wie vor, „die Kohlendioxidemissionen zu reduzieren“.

Trotzdem ist mir nicht recht wohl dabei, das Klima so direkt zu manipulieren. Eine Reihe von Nebenwirkungen wollen sorgfältig abgewogen sein. (Eine gute Übersicht findet sich in diesem Blog.) Und wer entscheidet eigentlich darüber, ob und wie stark es gemacht wird? Schließlich haben solche Eingriffe immer nur für bestimmte Länder Vorteile. Andere, zum Beispiel Russland, würden vielleicht vom ungebremsten Treibhauseffekt profitieren. Die neue Klimatechnik könnte unversehens zur Waffe mutieren. (Tatsächlich haben Russland wie die USA lange an Wettermanipulation geforscht. Die Amerikaner versuchten gar im Vietnamkrieg, den Regen gezielt zu verstärken, um den kriegswichtigen Ho-Chi-Minh-Pfades im Morast versinken zu lassen.) Da ist es fast beruhigend, dass die Kosten von Crutzens Vorschlag in der Gegend von 25 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt werden. So eine Summe ist nur schwer mobilisierbar. Zumal Aerosole ein paar Jahre in der Atmosphäre bleiben, Kohlendioxid aber Hunderte von Jahren – die künstliche Abkühlung also Jahr für Jahr verstärkt werden müsste, um Schritt zu halten.

Es bleibt ein ungutes Gefühl: Die Lage muss ziemlich ernst sein, wenn ökologisch denkende Forscher wie Paul Crutzen auf solche Visionen verfallen. (wst)