Occupy Science
Der Zürcher Professor Lawrence Rajendran hat die neue Open-Access-Plattform ScienceMatters eröffnet. Wer Interesse an Forschung hat, kann dort Forschungsergebnisse nachlesen oder selbst einen Beitrag leisten.
- Inge WĂĽnnenberg
Der Zürcher Professor Lawrence Rajendran hat die Open-Access-Plattform ScienceMatters eröffnet. Wer Interesse an Forschung hat, kann dort Forschungsergebnisse nachlesen oder selbst einen Beitrag leisten.
Während die deutsche Gesellschaft immer wieder Meldungen über mangelhafte Doktorarbeiten erschüttern, stolpert die internationale Wissenschaftsgemeinde regelmäßig über manipulierte, fehlerhafte und nicht reproduzierbare Veröffentlichungen. Eine 2012 erfolgte Studie, die rund 2.000 seit 1973 zurückgezogene Publikationen aus dem Bereich der Biomedizin untersucht hatte, stellte einem Bericht des Deutschlandfunks zufolge fest, dass bei vier Fünfteln der Beiträge offensichtlich ein wissenschaftliches Fehlverhalten vorlag. Doch während geisteswissenschaftliche Falschmeldungen eventuell wenig konkreten Schaden anrichten, ist auf dem medizinischen Sektor mit dem Wohl der Patienten nicht zu spaßen!
Das Wissenschaftssystem fördert Betrug
Der Erfolgsdruck, der in unseren Gesellschaften herrscht, lastet jedoch nicht zu knapp auch auf den Forschern. Alle warten auf den großen Durchbruch: DAS Heilmittel gegen Krebs, Alzheimer, Parkinson, Diabetes und viele andere weit verbreitete Krankheiten mehr. Um sich Anerkennung und Weiterkommen im Job zu sichern, müssen die Forscher kontinuierlich neue Erkenntnisse veröffentlichen. Wer bei den großen prestigeträchtigen Fachmagazinen landen will, ist somit im Vorteil, wenn er mit bahnbrechenden Untersuchungsergebnissen aufwarten kann. Daher wundert es nicht, dass gerade die prominenten Magazine besonders häufig Studien zurückziehen müssen, weil sie Opfer eines Forschungsbetrugs wurden. Es ist leider eine entscheidende Tücke des Systems, dass es Hochstaplern ihre bombastischen Erfolgsstorys nur allzu gern abkauft.
Um die Latte niedriger zu legen, hat der in der Schweiz ansässige Zellbiologe Lawrence Rajendran jetzt das begrüßenswerte Open-Access-Online-Journal ScienceMatters gegründet. Gerade erst hat der Alzheimerforscher eine Studie über einen Wirkstoff, der ein Alzheimer-Enzym blockiert, auf der Website von Cell Reports mit veröffentlicht. Nun tritt der Professor der Universität Zürich für eine grundlegende Veränderung des wissenschaftlichen Publikationssystems ein. In ScienceMatters hat er beispielsweise laut einem Artikel auf der Website von Science etwa 160.000 Dollar seines Privatvermögens gesteckt.
Peer-Review innerhalb von zwei Wochen
Denn dem gebürtigen Inder geht es nicht ums große Geld. Eher das Gegenteil ist der Fall. Während die großen Wissenschaftsverlage die bei ihnen veröffentlichten Studien bisher meist nur gegen eine hohe Gebühr zugänglich machen, kann die Open-Access-Plattformen – ganz demokratisch – jedermann nutzen. Einen Beitrag hier zu veröffentlichen, ist wesentlich leichter: Innerhalb von zwei Wochen sollen die eingestellten Ergebnisse in einem dreifach-blinden Verfahren von Kollegen begutachtet werden.
Immerhin stellen renommierte Verlage als Antwort auf Plattformen wie Sci-Hub, die jüngst heiß diskutierte "Schattenbibliothek" der kasachischen Wissenschaftlerin Alexandra Elbakyan mit rund 50 Millionen frei zugänglichen wissenschaftlichen Aufsätzen, ihre Texte inzwischen zum Teil umsonst im Internet zur Verfügung. Damit verlagern sie jedoch die Kosten. Denn dann verlangen sie fürs Publizieren Geld vom Autor. Hier können laut Recherchen von Deutschlandradio Kultur durchaus "schnell einige Tausend Dollar fällig werden". ScienceMatters dagegen wird nach den ersten 500 (kostenfreien) Einträgen 150 Dollar von Universitäten wie anderen gemeinnützigen Organisationen verlangen, kommerzielle Unternehmen sollen 300 Dollar beitragen.
Von den Häppchen zum großen Wurf
Auf der Plattform sollen Rajendran zufolge auch Forscher aus ärmeren Gegenden Beiträge leisten können, die zwar keinen Zugang zu einem Hightech-Labor haben, aber trotzdem "gute Beobachtungen machen können". Ihnen will er faire Rahmenbedingungen ermöglichen. Außerdem will Rajendran die Veröffentlichungspraxis verändern. Es soll auf ScienceMatters nicht nur möglich sein, Ergebnisse zu veröffentlichen, die andere Untersuchungen bestätigen oder widerlegen: ein vom derzeitigen System selten honoriertes Unterfangen. Darüber hinaus sollen Daten publiziert werden können, auch ohne parallel die große neue Theorie mitzuliefern.
Eine endgültige Absage an die gute Story, die jeder Forscher gern erzählen möchte, sei das trotzdem nicht: Für Rajendran kann sie sich ebenso erst am Ende von mehreren Veröffentlichungen ergeben – und kann dann immer noch erzählt werden. Ein Happy End ist also keineswegs ausgeschlossen. (inwu)