Sayonara Smartphones
Nippon war einst das Mekka der Handy-Industrie - bis das iPhone kam. Nun verabschiedet sich eine Ikone der japanischen Elektronikindustrie nach der anderen aus dem Geschäft.
- Martin Kölling
Nippon war einst das Mekka der Handy-Industrie – bis das iPhone kam. Nun verabschiedet sich eine Ikone der japanischen Elektronikindustrie nach der anderen aus dem Geschäft.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, als die Handy-Welt neidisch nach Japan blickte. Es ist sogar noch gar nicht lange her. Bis 2007 das iPhone auf den Markt kam, konnten nämlich die Japaner all das in Farbe, wovon Handynutzer in anderen Märkten nur träumten: Filme angucken, Musik aufs Handy laden, im mobilen Internet einkaufen, im Web Surfen und vieles mehr. Japaner hatten schon Smartphones, bevor es diesen Namen gab. Doch nur fünf Jahre nach Apples Vorstoß ist die japanische Handy-Industrie mit einigen Ausnahmen so gut wie tot.
In den letzten Wochen hat nach NEC auch Panasonic angekündigt, sich aus dem Geschäft in Nippon zurückzuziehen. Als letzter großer Player mit globalen Ambitionen und Chancen ist nur noch Sony aktiv. Wie nur konnten die Japaner ihren Vorsprung dermaßen verspielen?
Das Trauerspiel hat eine lange Geschichte. Es begann vor Jahrzehnten mit der politischen Entscheidung, in Japan nicht den GSM-Mobilfunkstandard einzuführen, sondern auf eigene Technik zu setzen. Damit hielten die Japaner Nokia, den damaligen Wal im globalen Teich, aus ihrem heimischen Tümpel fern. (Die Finnen zogen sich vor einer Dekade aus Japan zurück, nachdem der Konzern Handys nur in homöopathischen Dosen absetzen konnte.) Im Gegenzug erschwerten sich die Japaner aber den Vorstoß in Übersee. Doch immerhin hegten die Hersteller noch globale Ambitionen.
Ich erinnere mich auch noch an eines meiner ersten Interviews zu dem Thema mit Panasonic Mobile im Jahr 2000. Die Manager hofften damals, mit den neuen, schnellen und global leidlich standardisierten Datennetzen (je nach lokaler Sprachregelung "3G" oder "UMTS" genannt) weltweit vorzustoßen. Das Problem: Sie scheitern spektakulär darin, ihre Pläne in die Praxis umzusetzen.
Ein Grund ist aus meiner Sicht, dass die Netzbetreiber in Europa im Gegensatz zu ihren Kollegen in Japan mit hohen Gebühren für Inhalteanbieter und Kunden die Entwicklung des mobilen Internets und damit die Nachfrage nach High-End-Handys mit großen Displays und schnellen Prozessoren anfangs stark bremsten. Japans Topgeräte hatten daher anderswo keinen Markt.
Aber auch am eigenen Marketing haperte es. In Japan waren die Handy-Hersteller wenig mehr als Auftragslieferanten der Mobilnetzbetreiber. Dementsprechend schwer taten sie sich auf den anderen Weltmärkten, starke Marken zu entwickeln. Das Ergebnis dieses Faktorencocktails wurde in der Industrie als Galapagos-Effekt bekannt: Die Japaner entwickelten Telefone, die sich nur auf dem eigenen abgeschiedenen Archipel verkaufen ließen, aber nicht auf anderen Märkten der Welt.
Dazu kam noch eine Eigenschaft, die sich die Japaner allerdings mit anderen Handy-Herstellern der Welt teilten: Keiner zeigte wirklich das Verständnis und den Mut, ein benutzerfreundliches Betriebssystem inklusive des notwendigen Ökosystems völlig neu zu entwickeln. Denn alle – die Japaner wie Nokia – waren eher Hardware-Hersteller, die versuchten, bestehende Betriebssysteme so zu modifizieren, dass sich damit eher schlecht als recht die technischen Möglichkeiten der Telefone wie des Internets nutzen ließen. Den Sprung ins mobile Internet-Zeitalter wagte erst Apple – mit großem Erfolg.
Damit kommen wir zu einem weiteren Problem: Selbst wenn ein Japaner das iPhone erfunden hätte, wäre es wahrscheinlich kein solcher Hit geworden, weil sie global nicht die Ausstrahlung und Bekanntheit von Apple mitgebracht hätten. Und sie schafften es nicht einmal, auf den fahrenden Smartphone-Zug aufzuspringen: Während Samsung seine Energien und Finanzen darauf konzentrierte, sich vom Zulieferer von Handy-Bauteilen und Billiggeräten zu einem High-End-Smartphone-Anbieter zu entwickeln, drehten die Japaner weiterhin kleine Räder. Panasonic beispielsweise kündigte 2012 mit großem Getöse an, mit einem schicken und vor allem wasserdichten Telefon in den europäischen Markt neu einsteigen zu wollen. Doch statt mit einer massiven Marketing- und Produktwelle den Markt zu überschwemmen, tröpfelte der Vorstoß nur vor sich hin. Wenige Monate später erdolchte der Konzern sein Projekt aus Mangel an Erfolg.
Den letzten Nagel hämmerte nun Japans größter Mobilnetzbetreiber NTT Docomo in den Sarg der japanischen Hersteller. Der früher unangefochtene Marktführer ist bei Smartphones hinter den iPhone-Anbietern Softbank und AU nur noch dritte Wahl. Daher entschloss sich Docomo zur Überraschung der japanischen Hersteller gerade, sein Marketing und auch die Subventionen nur noch auf die Top-2-Handys seiner Verkaufsstatistik zu konzentrieren. Und das sind Samsungs Galaxy und Sonys Xperia.
Das war zu viel für Panasonic und NEC. Wie viel Durchhaltevermögen Kyocera, Fujitsu und Sharp noch haben, die auch recht stark bei Softbank und AU unterwegs sind, muss jetzt abgewartet werden. Aber so wie es aussieht, wird die einst blühende japanische Handy-Landschaft zu einer Monokultur – mit Sony als einzigem Anbieter mit globaler Reichweite.
Der Konzern versucht jetzt nachzuholen, was bisher versäumt worden ist. Die Japaner kauften ihren bisherigen Joint-Venture-Partner Ericsson aus dem Geschäft heraus und haben Smartphones zu einer Top-Priorität ernannt. Es gibt bereits erste Anzeichen des Erfolgs: Die Verkäufe springen an. Es wird interessant, ob Sony es vielleicht in den kommenden Jahren doch noch schafft, das Erbe und die Ehre der japanischen Handy-Industrie in die nächste Generation der mobilen Internet-Nutzer zu retten. (bsc)