Teamkultur und FĂĽhrung: Hat dein Team einen Captain?

FĂĽhrung ist nicht immer mit der FĂĽhrungsposition gleichzusetzen. Die Silent Leaders im Team sind wichtig.

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Ausbildung von Rettungsschwimmern am Strand

(Bild: Margarida CSilva/Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Mintert

Moin.

Escape the Feature Factory: Stefan Mintert

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Stefan Mintert

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Stefan Mintert arbeitet mit seinen Kunden daran, die Unternehmenskultur in der Softwareentwicklung zu verbessern. Das derzeit größte Potential sieht er im Leadership; unabhängig von einer Hierarchieebene. Die Aufgabe, dieses Potential zu heben, hat er sich nach einem beruflichen Weg mit einigen Kurswechseln gegeben. Ursprünglich aus der Informatik kommend, mit mehreren Jahren Consulting-Erfahrung, hatte er zunächst eine eigene Softwareentwicklungsfirma gegründet. Dabei stellte er fest, dass Führung gelernt sein will und gute Vorbilder selten sind. Es zeichnete sich ab, dass der größte Unterstützungsbedarf bei seinen Kunden in der Softwareentwicklung nicht im Produzieren von Code liegt, sondern in der Führung. So war es für ihn klar, wohin die Reise mit seiner Firma Kutura geht: Führung verbessern, damit die Menschen, die die Produkte entwickeln, sich selbst entwickeln und wachsen können. Für Heise schreibt Stefan als langjähriger, freier Mitarbeiter der iX seit 1994.

Die sogenannten Führungskräfte, also die Vorgesetzten eines Teams, sind oft nicht nah genug am Geschehen, um im Arbeitsalltag etwas steuern zu können. Innerhalb der Gruppe ist das leichter zu erkennen. Hier wird Führung gebraucht. Wer soll das machen?

Im Sport gibt es dafür den Mannschaftskapitän. Im Fußball ist die Rolle an der Armbinde zu erkennen. Bemerkenswert ist, dass die Kapitänsbinde ganz einfach übergeben wird, wenn der Kapitän ausgewechselt wird. Während er im Fußball einige formale Aufgaben und Pflichten hat, gibt es in manchen Sportarten keinen offiziellen Captain.

Der Autor Sam Walker hat in seinem Buch The Captain Class die Leistung und die Erfolge von Sportmannschaften untersucht und bei den herausragenden Teams einen bestimmten Typ von Captain identifiziert. Dabei handelt es sich nicht automatisch um den offiziellen Kapitän oder den besten Einzelathleten, sondern um Teammitglieder, die durch bestimmte Verhaltensweisen auffallen. Sport funktioniert anders als Softwareentwicklung. Kann man aus den Erkenntnissen der einen Welt etwas für die andere lernen? Diese Frage behandle ich in einer lockeren Reihe von Beiträgen. Walker hat sieben Verhaltensweisen von Teamkapitänen erkannt, heute geht es um eine davon.

Der Autor bringt das Phänomen des sozialen Faulenzens ins Spiel. Der Gegenbegriff heißt soziale Erleichterung. In beiden Fällen geht es um Leistungssteigerung beziehungsweise Leistungsabfall von Mitgliedern einer Gruppe. Es spielt eine Rolle, ob Einzelleistungen sichtbar sind oder nicht und ob es sich um "einfache" (bekannte, trainierte) oder "schwierige" (neue, komplexe) Aufgaben handelt.

Will man die Leistung des Teams im Fall der sogenannten einfachen Aufgaben steigern, hilft es, die individuelle Leistung sichtbar zu machen. Bei manchen Sportarten wird das ohne großen Aufwand gemacht, bei anderen ist das nicht oder nur schwer möglich. So sind bei Schwimmstaffeln sowohl die Teamzeiten als auch die Einzelleistungen für jeden Beobachter mit einer Stoppuhr messbar. Bei einem Ruder-Achter sieht man nur das Teamergebnis. Folglich lässt sich soziales Faulenzen bei Ruderern, aber nicht bei Schwimmstaffeln beobachten.

Komplexe Aufgaben unter individuellem Leistungsdruck auszuführen, funktioniert laut der These nicht gut. Wenn man jedoch "im Team unsichtbar" werden kann, sorgt das für eine reduzierte Anspannung. Diese trägt zu besseren Ergebnissen bei Herausforderungen bei, die nach Kreativität und Experimenten verlangen und die zu gelegentlichem Scheitern führen.

Wie kann ein Teamkapitän das Phänomen des sozialen Faulenzens oder der sozialen Erleichterung nun nutzen, um die Teamleistung zu verbessern? Für den Mannschaftssport, der in die Kategorie "bekannte, trainierte Aufgaben" fällt, stellt Walker fest, dass die (offiziellen oder tatsächlichen) Kapitäne keinen Zweifel daran lassen, dass sie alles geben. Sie faulenzen nie, auch dann nicht, wenn ihr Team in Führung liegt. Sie leben die individuelle Leistung vor und regen damit zum Nachmachen an. Sie beißen sich an Aufgaben fest und lassen nicht locker.

Da die Entwicklung von Softwareprodukten meist eine sehr komplexe Aufgabe ist, ist es nicht gut, immer auf voller, individueller Auslastung zu arbeiten. Die damit verbundene Anspannung trägt eher nicht zu guten Ergebnissen bei komplexen Aufgaben bei. Das deckt sich mit Erfahrungen, die vermutlich jeder Mensch schon einmal gemacht hat: Die guten Ideen kommen, wenn man weniger angespannt ist, unter der Dusche, beim Sport, beim Spaziergang im Wald oder am Strand.

Jemand, der die Rolle eines Kapitäns in einem Software-Team übernimmt und als Vorbild agieren möchte, sollte deshalb sehr genau darauf achten, in welchen Fällen er "alles gibt" und wann er "es mal langsamer angehen lässt". Und er sollte seinem Team klar kommunizieren, wann und warum er wie handelt. Im Daily kann das zum Beispiel lauten: "Ich gebe heute nochmal richtig Gas, um vor dem Sprintwechsel die Dokumentation auf dem aktuellen Stand zu haben." Oder: "Ich habe keine Idee mehr, wie ich der Ursache für den Bug auf die Spur komme. Deshalb mache ich mal den Kopf frei und gehe eine Stunde spazieren." Vorleben und Aussprechen signalisieren allen im Team, dass beide Verhaltensweisen ok sind. Alles zu seiner Zeit lautet eine Redewendung.

  • Ich wollte wissen, was eine FĂĽhrungskraft ĂĽber einen Team-Captain im oben genannten Sinne denkt. Dazu habe ich ein Gespräch mit dem Manager Marco Gerlach gefĂĽhrt. Einen Mitschnitt hörst Du in der Podcast-Folge "Silent Leaders im Team".
  • Heise-Leser, die ihre FĂĽhrungsskills ausbauen möchten, bekommen mit dem Promocode “2024heise10” bei der Buchung des Workshops Leading self-organized Software-Teams einen Nachlass von 10 Prozent. Der Code ist fĂĽr Buchungen innerhalb von zwei Wochen ab dem Erscheinen des Artikels gĂĽltig.

(rme)