Wer profitiert vom Quantencomputing?

  • Beitrag vom 09.12.2019

Googles Quantenrechner war der Vorreiter – und vielleicht sind die ersten Quantenmaschinen bald praktisch nutzbar. Doch welche Anwendungen profitieren davon?

Seit Jahren geistert der Begriff Quantencomputing durch die IT-Szene. Wissenschaftler und Praktiker erhoffen sich von Quantenmaschinen, dass sie bestimmte Rechenaufgaben um ein Vielfaches schneller ausführen als klassische Computer. Doch bislang waren die Forschungen zum Quantencomputing eher theoretischer Natur.

Das hat sich im Herbst dieses Jahres schlagartig geändert. Am 23. Oktober verkündete Google die „Quantum Supremacy“ erreicht zu haben. Dieser Begriff bezeichnet den Moment, in dem ein Quantencomputer erstmals herkömmlichen Rechnern bei einer bestimmten Aufgabe überlegen ist.

Der Sycamore-Prozessor, den Googles Forscher entwickelt haben, kann eine Aufgabe, für die selbst der derzeit schnellste Supercomputer 10.000 Jahre benötigen würde, in 200 Sekunden lösen. Dieser Durchbruch wird durch die vollständige Abkehr von der Arbeitsweise digitaler Computer ermöglicht.

Quantencomputer arbeiten auf der Basis quantenmechanischer Prinzipien. Während im klassischen Computing ein Bit nur den Zustand 0 oder 1 annehmen kann, können die sogenannten QuBits im Quantencomputing mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen. Für kürzere Zeit sind auch Zustände zwischen 0 und 1 – das ist die sogenannte Supraposition – möglich und fallen dann wieder zurück auf 0 und 1. Aufgrund dieser völlig neuen, quantenmechanischen Prinzipien ist ein solcher Computer in der Lage, wesentlich mehr Rechenoperationen simultan durchzuführen.

Wie werden Quantencomputer bereitgestellt?

Dass Google anhand eines rein akademischen Problems die Überlegenheit des Quantenrechners zeigt, heißt allerdings nicht, dass eine Markteinführung in Kürze bevorsteht. Im Gegenteil: Das Anwendungspotenzial von Quantencomputern ist heute schwer vorauszusagen. Zu viele ungelöste Probleme müssen noch bewältigt werden. Pessimisten rechnen mit einer breiteren Verfügbarkeit erst in etwa 10 Jahren, Optimisten sprechen von wenigen Jahren.

Dennoch zeichnen sich bestimmte Einsatz- und Anwendungsszenarien ab. So werden Quantencomputer mit Sicherheit nicht on-premise vor Ort eingesetzt werden. Sie werden allenfalls durch Nutzung über Cloud-Dienste das Anwendungsspektrum für PCs und andere IT-Geräte erweitern könnten, schreibt das „Büro für Technikfolgenabschätzung“ beim Bundestag in einer Broschüre. Die technischen Herausforderungen für das Funktionieren von Quantenprozessoren – etwa die massive Kühlung bis zum absoluten Nullpunkt von -273 Grad und der Betrieb in einer Vakuumkammer – seien einfach zu anspruchsvoll, als dass sie lokal bei einem Unternehmen vor Ort einsetzbar wären.

Auch werden Quantencomputer klassische Computer nicht ablösen, sondern eher ergänzen. Marktübliche Rechner haben eine im Vergleich zu Quantenrechnern deutlich geringere Störanfälligkeit und sind in vielen Anwendungsbereichen überlegen. Wahrscheinlich – so die Experten für Technikfolgenabschätzung – werden für Quantencomputer Rechenzentren entstehen, auf die von extern über ein Netzwerk zugegriffen werden kann.

Problem des Handlungsreisenden

Was die praktisch lösbaren Aufgaben betrifft, kommen für Quantencomputer vor allem zwei Typen in Frage: Ein Typ ist die schnelle Suche in riesigen, ungeordneten Datenmengen. Die zweite ist das rasante „Faktorisieren“ und Bereiche, bei denen die „kombinatorische Explosion“ eine Rolle spielt.

Das Standardbeispiel für die kombinatorische Explosion ist das Travelling Salesman Problem: Ein reisender Händler will etwa 16 Städte besuchen, um seine Waren zu verkaufen. In welcher Reihenfolge sollte er die Städte besuchen, um möglichst viel Zeit zu sparen? Bei 16 Städten gibt es schon mehr als tausend Milliarden mögliche Wegkombinationen – und mit jeder Stadt mehr expandiert das Problem exponentiell. Klassische Computer, die alle möglichen Kombinationen ausprobieren, brauchen dafür laut der Berechnung eines Informatikers der Uni Trier mit dem einfachsten Algorithmus 20 Jahre, und mit einem optimierten Verfahren immer noch 4,7 Stunden.

Ein Quantencomputer würde – statt alle möglichen Kombinationen nacheinander auszuprobieren – die Reisezeit aller möglichen Wege gleichzeitig berechnen. Selbst wenn eine oder mehrere Städte zusätzlich in die Rechnung einbezogen würden, vergrößert dies die Schwierigkeit und die Lösungszeit für den Quantencomputer zwar, aber nicht exponentiell wie beim klassischen Computer. Die Lösung wäre in Sekundenbruchteilen verfügbar.

Praktische Anwendungen 1: Von Big Data bis Materialdesign

Das Beispiel zeigt, wohin der Hase läuft: Seinen größten Nutzen hat Quantencomputing überall dort, wo es um komplexe Berechnungen geht, bei denen eine Vielzahl an Möglichkeiten in Erwägung gezogen wird. Daraus ergeben sich die praktischen Anwendungsmöglichkeiten, in denen Quantencomputing ihr Potenzial entfaltet.

  • Big Data und Datenbanken: Unternehmen, die große Datenbanken betreiben und riesige Datenmengen verarbeiten, könnten von Quantencomputing profitieren. Ein klassischer Computer muss beim Durchsuchen großer Datenmengen jeden Datenpunkt einzeln betrachten. Ein Quantencomputer könnte die Suche enorm beschleunigen und die Antwortzeit stark reduzieren.
  • Verkehrslenkung: Die künftige Mobilität erfordert die Bewältigung hochkomplexer Abläufe, die aktuelle Rechnergenerationen an ihre Grenzen bringen. Tritt ein Verkehrsstau auf, so melden heutige Systeme lediglich den Stau. Mit der Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers kann für jedes einzelne Auto in Echtzeit berechnet werden, wann es besser rechts oder links abbiegen sollte, um das Aufkommen eines Staus vorab zu verhindern. VW hat bereits in einem Forschungsprojekt gezeigt, dass Quantencomputer zur Verkehrslenkung effizient eingesetzt werden können.
  • Materialdesign und -optimierung: Mit dem Quantencomputer kann ein Unternehmen z.B. in der Fertigungsindustrie effizienter neue Materialien entwickeln oder Mischverhältnisse optimieren. VW beispielsweise erprobt laut einem Handelsblatt-Bericht die Materialoptimierung für Batterien von Elektrofahrzeugen. So sollen in Zukunft Molekülflüsse mithilfe von Quantencomputern simuliert werden können.

Praktische Anwendungen 2: Von Genforschung bis Finanzindustrie

  • Genforschung und Biologie: Mit der Rechenleistung von Quantencomputern kann man in Genforschung und Biotechnologie völlig neue Möglichkeiten erschließen. Penicillin ist zum Beispiel ein relativ großes Molekül, kein Supercomputer ist in der Lage, ein Molekül dieser Größe zu simulieren. Ein Quantencomputer benötigt hingegen nur 286 Qubits, um so ein Molekül repräsentieren und simulieren zu können. Für die Pharmabranche sind solche Simulationen von großem Wert, da sie sich materialintensive und teure Tests sparen können.
  • Künstliche Intelligenz: Machine Learning anhand großer Datenmengen gestaltet sich mit Quantencomputing deutlich effizienter. Das heute übliche Deep Learning – „tiefe neuronale Netze“ – ist mit harten kombinatorischen Optimierungsproblemen verknüpft. Diese können von Quantencomputern weitaus schneller und besser gelöst werden als von klassischen Computern – was Maschinen um ein Vielfaches schlauer machen könnte.
  • Finanzindustrie: Quantencomputer können im Hochfrequenzhandel von Wertpapieren klassische Rechner übertrumpfen. Die Kopplung von Quantenrechnern mit KI kann darüber hinaus noch genauere Ergebnisse zur Entscheidungsunterstützung im Trading liefern. Banken können Quantenrechner auch im Profiling ihrer Kunden zur Betrugserkennung oder Optimierung von Investmentportfolios nutzen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es viele weitere Anwendungsmöglichkeiten geben, die jetzt überhaupt noch nicht im Blickfeld sind. Vorerst heißt es also abwarten. Prof. Kristel Michielsen, Leiterin Quanten-Informationsverarbeitung am Forschungszentrum Jülich, brachte die Lage in einem ZEIT-Interview auf den Punkt: „Ich würde Googles Quantenrechner mit einem Heißluftballon vergleichen, der gerade aufsteigt: Er fliegt irgendwo hin – nur die genaue Richtung kennen wir noch nicht. Aber dass der Quanten-Ballon überhaupt fliegt, ist der eigentliche Durchbruch.“