Die Corona-Lockdowns haben es gezeigt: Die Digitalisierung des Schulunterrichts steckt in Deutschland in den Kinderschuhen. Das hat nicht nur technische Gründe.
Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei, behaupten viele Eltern neidisch. Im Corona-Homeschooling haben sie allerdings selbst erlebt, dass der Lehrerjob doch kein Zuckerschlecken ist. Und dass es um die Digitalisierung der deutschen Lehranstalten nicht so gut bestellt ist. Es fehlt an allen Ecken und Enden – von der fehlenden Hard- und Software über stabile Lernplattformen bis hin zu überzeugenden pädagogischen Konzepten fürs digitale Lernen.
Das ist nicht nur so ein Gefühl, sondern eine belegbare Tatsache. Das Institut für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie der Pädagogischen Hochschule Zug in der Schweiz hat dazu Lehrer in Deutschland befragt. Die gaben an, dass sie einige – manchmal sogar fast alle – Schüler nicht auf digitalem Weg erreichen könnten. 56 Prozent halten die technische Ausstattung an ihrer Schule für unzureichend. Und die Hälfte bietet pro Woche exakt null Stunden Online-Präsenzunterricht an. Mit diesen Werten liegt Deutschland im Vergleich weit hinter Österreich und der Schweiz. Nur ein Drittel der Lehrer berichten, dass die Schüler zuhause aktiv an ihren Aufgaben arbeiteten. In den beiden anderen Ländern sind es rund zwei Drittel.
Technische Probleme, veraltete Kommunikation
Wenig überraschend, dass auch die Eltern Kritik üben. Knapp 1.000 von ihnen hat der Branchenverband Bitkom 2021 befragt. Positiv ist, dass die Hardware-Ausstattung in den Haushalten überwiegend gut ist – zwei von drei Kindern haben Zugang zu einem Notebook, wenn auch nicht immer zu ihrem eigenen. Die befragten Eltern spielen den Ball zurück an die Lehrenden. 59 Prozent würden im Unterricht Apps nie oder nur in Ausnahmefällen einsetzen und am liebsten über traditionelle Kommunikationsmittel wie E-Mail oder Telefon Kontakt zu ihren SchülerInnen aufnehmen. Hinzu kommen technische Probleme wie zeitweise nicht erreichbare Lernplattformen (71 Prozent) und nicht funktionierende Apps (31 Prozent). Ein Lichtblick: Die Eltern sehen dank Corona deutliche Fortschritte in der Digitalisierung des Unterrichts. Insgesamt gaben die Eltern den Schulen ihrer Kinder bei der Digitalisierung die Note 4+.
Wie lassen sich die Defizite beheben? Die Antwort der Politik lautet, wie häufig in Deutschland: mit Geld. Acht von zehn Eltern fordern mehr Investitionen in die IT-Ausstattung der Schulen. Und mit den sogenannten Sofortprogrammen als Zusatzvereinbarungen zum Digitalpakt liefert die Politik großzügig ab: Je 500 Millionen Euro gibt es für die Anschaffung von Geräten für SchülerInnen, für Lehrkräfte sowie für die Betreuung der Infrastruktur.
Ein digitales Arbeitsblatt ist ein Arbeitsblatt
Damit dürfte das Problem schon bald gelöst sein, oder? Leider nein. Denn nicht alle digitalen Lücken lassen sich mit Geld zuschütten. Jörg Dräger, bis Ende 2021 Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung und ehemaliger Co-Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, betont: „Die digitale Revolution in der Schule ist eine pädagogische, keine technische Revolution.“ Lerninhalte müssten individuell an die Bedürfnisse und Fortschritte der SchülerInnen angepasst werden. Dafür gibt es adaptive Lernsoftware, die jedoch vielen Lehrenden nicht ins traditionelle Lehrkonzept passt. Für sie bedeutet Digitalisierung, ein Arbeitsblatt einzuscannen und es dann an die SchülerInnen zu mailen. Aber ein digitales Arbeitsblatt ist immer noch ein Arbeitsblatt. Mit interaktivem und individuellem Lernen hat das nichts zu tun.
Wer wissen will, wie digitaler Unterricht – auch für die Zeit nach Corona-Homeschooling – aussehen kann, kann sich zum Beispiel den Blog „Digitales Klassenzimmer“ von Julia Klossek anschauen. Die Deutsch- und Englischlehrerin an einem Gymnasium in Düsseldorf zeigt dort sehr praxisnah, wie sie digitale Inhalte in ihrem Unterricht verwendet. Die interaktive Tafel Padlet nutzt Klossek für eine Unterrichtseinheit zu Lessings „Nathan der Weise“ und das Flinga Whiteboard für eine Arbeit in Kleingruppen zu Dürrenmatts „Die Physiker“. Eine interaktive Englischeinheit zu Tieren im Regenwald basiert auf der Software Genially.
Keine Frage des Alters
Wo digitale Schule schon gut funktioniert, steckt häufig die Eigeninitiative einzelner Lehrender dahinter. Wie an der Obersee-Schule, einer Grundschule mit 400 SchülerInnen in Alt-Hohenschönhausen im Berliner Bezirk Lichtenberg. Dort unterrichtet Diana Romianowski in ihrer 6b Deutsch, Englisch, Geografie, Kunst und noch einige andere Fächer. Dazu nutzt sie die Plattform Cling, die ein wenig an Trello erinnert, aber einfacher zu bedienen ist. Manche Schüler seien regelrecht aufgeblüht, vor allem schüchterne Schüler würden sich mehr trauen und zum Beispiel ein Gruppenarbeitsboard erstellen. Das Pilotprojekt war so erfolgreich, dass nun alle 20 Lehrkräfte ihren Unterricht damit digitalisieren, auch die älteren Semester im Kollegium.
Überzogene Hoffnungen sollte man allerdings nicht an solche Tools knüpfen, sie könnten nicht alle Probleme lösen, warnt Romianowski, das zeigen die Erfahrungen aus dem Distanzunterricht. Einige Schüler seien im Lockdown auf der Strecke geblieben, die psychische Gesundheit habe bei manchen schon gelitten. Doch auch hier kann die Digitalisierung helfen: Mit Kollaborations-Tools wie Microsoft Teams kann sie Lehrenden den Freiraum geben, mehr auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes einzugehen.
Bester Satz: „Die digitale Revolution in der Schule ist eine pädagogische, keine technische Revolution.“
Das Dumme in D ist nur, dass die Organisation der Pädagogen (also die Kultusminister, Schulämter, Direktoren, Lehrer) und die meisten Menschen der Meinung sind, dass die digitale Revolution in der Schule eine technische wäre. Deshalb ist die Digitalisierung des Schulwesens auch nicht Aufgabe der Pädagogischen Organisation, sondern die der Schulträger.
Bestes Beispiel: Wer ist in D dafür zuständig, dass ein Lehrer einen persönlichen Laptop zur Verfügung hat?
Der Arbeitgeber?
Nein, Nein, wo kämen wir da hin. Da würde der Arbeitgeber ja direkt zugeben, dass er vielleicht doch für die Digitalisierung des Schulwesens verantwortlich sein könnte.
Also ist auch da wieder der Schulträger der Schuldige.
Wer sind denn so die Schulträger in D und wer macht bei denen die IT?
Nun, das sind mehrheitlich die Kommunen. Und deren schlecht bezahlte IT-Abteilung nimmt dann irgendwelche noch schlechter zahlenden IT-Firmen unter Vertrag, die mehr oder minder sinnvoll irgendwelchen IT-Kram in die Schulen schleppen.
Ich komme wieder auf den grandiosen Eingangssatz zurück: Die digitale Revolution in den Schulen/im Bildungswesen ist eine Pädagogische.
Man kann keine so große Organisation mit ca. 800.000 Hochschulabsolventen, wie die unserer Pädagogen, digitalisieren, indem man ihnen IT-Equipment vorsetzt. Das kann nur funktionieren, wenn die Organisation die Digitalisierung als ihre eigene Aufgabe annimmt.
Wir dürfen gespannt sein, ob die pädagogische Revolution irgendwann beginnt.
Aber wir reden hier von einer Beamtenorganisation.
Da ist mir auf die schnelle kein historisches Beispiel bekannt, in dem sich eine Beamtenorganisation von allein auf veränderte Anforderungen eingestellt hätte.