Beschleunigung der Medikamentenzulassung mit KI

Tiffana Tiono_Quadrat
Autor Tiffana Tiono
  • Beitrag vom 19.03.2019
  • Views: 27.300

Wenn ein Pharmaunternehmen ein neues Medikament zulassen oder eine neue Studie beantragen will, dann fallen dafür in der Regel Hunderttausende Dokumente an. Dokumente, die häufig in manueller Form vorliegen und digitalisiert werden müssen. Das Münchner Unternehmen Cunesoft hat eine Lösung basierend auf Künstlicher Intelligenz entwickelt, mit der dieser Prozess um gut 80 % beschleunigt werden kann.

Bei der Medikamentenwicklung erzeugt die Pharmaindustrie Dokumentationen in einem kaum vorstellbaren Volumen. Und oft sind diese Daten sehr unstrukturiert geschrieben – mal schreiben Ärzte etwas, mal Wissenschaftler. Wenn es nach meist Jahren der Entwicklung und Abertausenden Dokumenten schließlich um die Zulassung geht, müssen Daten aus verschiedensten Quellen und in verschiedensten Formaten nicht nur strukturiert und analysiert, sondern zunächst einmal extrahiert werden. Weit gefehlt, wer denkt, dies sei ein Prozess, der auf Knopfdruck passiere. Bisweilen kann es Jahre dauern, bis unzählige Arbeitskräfte in Billiglohnländern Daten, beispielsweise aus Studien, in strukturierte Form überführt haben. Hört sich unglaublich an, ist in der sog. Life-Sciences-Branche aber gang und gäbe. Noch. Die Cunesoft GmbH hat eine Lösung entwickelt, die diesen Umstand ändern und Unternehmen damit nicht nur Unsummen an Geld, sondern auch Monate bis Jahre an Zeit sparen kann. Wahrscheinlich kann das Startup deswegen bereits einige der Top 50 der weltweiten Pharma-Unternehmen seine Kunden nennen. Und vermutlich auch deswegen wurde es 2018 mit dem Gründerszene Award für „Unternehmertum, Mut und Innovation deutscher Digitalunternehmen“ ausgezeichnet.

Data Mining mit Natural Language Processing

Die cune-Distiller Data-Mining-Plattform von Cunesoft bietet ein ausgefeiltes Machine-Learning-Framework, das es ermöglicht, spezifische Daten aus unstrukturierten Datenquellen zu extrahieren, einschließlich Textdokumenten, Websites und anderen, für Menschen lesbaren Datenquellen. Die Software verwendet dabei mehrere verschiedene Extraktionsverfahren parallel: neuronale Netze, Fuzzy-Logik, Deep Learning ebenso wie Natural Language Processing (NLP, natürliche Sprachverarbeitung). Bei richtiger Kombination können Informationen aus praktisch jedem elektronischen Dokument extrahiert werden. Dabei nutzt die Software die Computing Power der Azure Rechenzentren ebenso wie die Azure Cognitive Services Translator-API.

„Speziell, wenn es darum geht, unstrukturierte Daten aus Studien o.ä. zu extrahieren, kam Software bisher an Ihre Grenzen“, berichtet Rainer Schwarz, CEO von Cunesoft. „Je nach Problemstellung verwenden wir unterschiedliche Algorithmen: Mustererkennungs-Algorithmen bei einfachen Problemen, Spracherkennungs-Algorithmen aus dem Bereich der natürlichen Sprachverarbeitung bei Fließtext mit unstrukturierten Informationen. Die Kombination aus modernen KI-Technologien mit regulatorischem Know-how macht unsere Software einzigartig.“

Schneller lernen als der Mensch

Der Kern jeder KI-Software ist die Machine-Learning-Komponente. Dabei ist es wie beim Menschen: Anfänglich muss man die „Maschine“ mit Informationen darüber füttern, was richtig und was falsch ist. Mit der Zeit lernt sie dann eigenständig und immer schneller. Je mehr Daten man einer Maschine gibt, desto rascher lernt sie. „Beim Menschen ist es genau umgekehrt“, sagt Rainer Schwarz: „Gibt man einem Menschen 5 Bücher zum Lesen, benötigt er dafür wahrscheinlich fünf Mal so lange wie für ein Buch. Gibt man einer Maschine 1000 Bücher zum Einlesen, ist sie dabei schneller als ein Mensch mit nur einem Buch.“ Genau diesen Effekt macht sich Cunesoft zunutze. Das Unternehmen trainiert Algorithmen und erstellt regulatorische Trainingsmodelle vorab, die bei Kunden schnell zu beeindruckenden Ergebnissen führen. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, umso genauer kann die Software arbeiten. „Deshalb lohnt sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz insbesondere bei großen Datenmengen. Je größer das Problem, desto besser kann die Maschine arbeiten“, erklärt Schwarz.

Ablauf der cune-Distiller Software: Je nach Aufgabe sucht sich die Software den geeignetsten Algorithmus aus der eigenen Bibliothek von Algorithmen.

Überzeugender Return-on-Investment

Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Die cune-Distiller Software ermöglicht die Automatisierung schwerfälliger manueller Prozesse mit einem Zeit- und Prozesseinsparpotenzial von 80 % und mehr. Die Kosten liegen bei kleineren Projekten bei 150.000 Euro, bis zu 500.000 Euro. Demgegenüber stehen Einsparungen in Millionenhöhe auf Kundenseite, was auch daran liegt, dass die Maschine deutlich schneller arbeitet. „Bisher mussten unsere Kunden die Arbeit mit einer Vielzahl an externen Dienstleistern manuell erledigen. Oft haben bis zu 100 Personen aus Hundertausendenden Dokumenten monatelang manuell Daten extrahiert. Diesen Vorgang reduzieren wir auf ein paar Tage,“ so Daniel Koppers, CTO bei Cunesoft. Laut Cunesoft erreichen ihre Projekte in der Regel innerhalb von weniger als 12 Monaten einen Return-on-Investment.

Die Zukunft vorausdenken

Die Anwendungsmöglichkeiten sind dabei vielfältig. In der Pharmaindustrie entstehen täglich Millionen von Dokumenten, nicht erst bei der Zulassung von Medikamenten, sondern schon in den Jahren zuvor bei der Forschung. „Der nächste Schritt in der Entwicklung ist für uns der Einsatz von Predictive Analytics“, so Rainer Schwarz. „Denn sobald die Daten extrahiert sind, lassen sich unterschiedlichste Analysen damit vornehmen. Auch im Medikamentenvertrieb finden diese Daten Anwendung. Beispielsweise erarbeiten wir gerade mit einem Kunden gemeinsam eine global automatisierte Erstellung des Beipackzettels in allen erforderlichen Sprachen.“

Mit digitaler Innovation stehen Unternehmen alle Wege offen. Eine Einführung in Künstliche Intelligenz bietet beispielsweise dieser Kurs der Microsoft Virtual Academy. In der „AI School“ von Microsoft bzw. der „AI Business School“ (nur auf Englisch verfügbar) sind ausführliche Informationen und Lernpfade zum Thema zu finden. Weitere Informationen, Anwendungsbeispiele und aktuelle Veranstaltungen rund um künstliche Intelligenz bietet diese Webseite von Microsoft.


2 thoughts on “Beschleunigung der Medikamentenzulassung mit KI

  1. DoKuFan

    Sehr geehrte Frau Koch,

    Sie schreiben in Ihrem Artikel von Zitat: „unstrukturierte Daten aus Studien“. Vermutlich haben Sie noch nie etwas von Medizinischer Dokumentation gehört, oder? Was nutzt der beste Algorithmus, wenn die Daten fehlerhaft oder falsch erhoben wurden – es geht auch um die Qualität der Daten. Algorithmen können viel, aber (noch) nicht alles!

    1. Daniel Koppers

      Vielen Dank für Ihren Kommentar.

      Natürlich haben Sie prinzipiell recht, dass die Basis-Daten-Qualität stimmen muss. Allerdings erfolgt die Studiendatenaufbereitung in der Praxis heute noch primär auf Basis von handschriftlichen Dokumenten und E-Mails. Diese muss entweder manuell durch Mitarbeiter oder durch Algorithmen wie unsere erfolgen, damit das von den Behörden geforderte Format eingereicht werden kann. Ein automatisierter Ansatz hat hier bei gleichbleibenden Ausgangsparametern eine bessere Datenqualität bestätigt, da eine weitere Fehlerquelle, die manuelle Extraktion von 100.000en Dokumenten, optimiert werden konnte. Weiterhin erlaubt es unseren Kunden ihre Expertise dann auf kritische Datenbereiche zu konzentrieren, was wiederum zu einer Erhöhung der Gesamtqualität geführt hat.

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