Mit künstlicher Intelligenz gegen Mangelernährung

In 10 Schritten digital – bitkom
Autor Frank Maenz
  • Beitrag vom 05.12.2018
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Welthungerhilfe, Munich Re, Social Impact Partners und Microsoft Deutschland haben im Rahmen des Digitalgipfels der Bundesregierung in Nürnberg eine mobile App vorgestellt, die dabei helfen soll, den Hunger auf der Welt effektiv zu bekämpfen. Die App Child Growth Monitor hilft künftig dabei, die Mangelernährung von Kindern frühzeitig zu erkennen, sie gezielt zu versorgen und mit gleichem Mitteleinsatz mehr Bedürftigen helfen zu können.

Weltweit hungern nach Erkenntnissen der UNO-Ernährungsorganisation FAO 821 Millionen Menschen. Jeden Tag sterben 15.000 Kinder an den Folgen von Unterernährung. Zudem leiden 22 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren, insgesamt 151 Millionen, unter ernährungsbedingten Wachstumsverzögerungen.

Mangel- und Unterernährung beeinflussen auch die Bildung von Kindern

Ein Ansatz für effiziente Hilfe besteht darin, die Kinder unter fünf Jahren genauer als bisher zu identifizieren, die unter Mangelernährung leiden, um sie gezielt mit geeigneten Nahrungsmitteln zu versorgen. Denn oft ist eine einseitige Ernährung der Grund für den Mangel an lebenswichtigen Stoffen. Hilfe gerade in diesem Alter ist besonders wichtig, denn die körperliche Entwicklung in dieser Zeit entscheidet auch darüber, wie gut die Kinder später lernen können. „Es ist erwiesen, dass Mangel- und Unterernährung die Bildung von Kindern und deren künftiges Einkommen stark beeinflusst – und damit auch die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes“, erklärt Dr. Michael Menhart, Chefvolkswirt von Munich Re. „Wir haben ein starkes Interesse, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und Ländern, Familien und Kindern zu helfen, dem Hunger und der Armut zu entkommen.“

Mit herkömmlichen Mitteln ist es schwer zu erkennen, ob ein Kind unter Mangelernährung leidet; von Hand wiegen und messen ist fehleranfällig. Geeichte Spezialgeräte sind zudem sehr empfindlich und eignen sich schon aufgrund ihres Gewichts nicht für den Transport in entlegene Gebiete.

Frühzeitige und effiziente Hilfe durch KI

Hier kommt der Child Growth Monitor ins Spiel. Die mobile App nutzt Kamera und Infrarotsensor von Smartphones und erstellt 3D-Scans der Kinder aus Millionen von millimetergenauen Messungen. So dauert ein genauer Scan gerade einmal eine Minute. Die erfassten Daten werden anonymisiert in die Cloud-Plattform Microsoft Azure übertragen. Ernährungswissenschaftler und IT-Spezialisten werten die Daten mit Deep-Learning-Modellen aus den KI-Diensten von Azure aus und speisen sie wieder in die App ein. So lernt die Anwendung, ihre Datenmodelle und damit ihre Vorhersagen über den Gesundheits- und Ernährungszustand der Kinder kontinuierlich zu verbessern. Voraussichtlich werden mehr als hunderttausend 3D-Scans von Kindern benötigt, um valide Prognosen erstellen zu können. „Um diese große Datenmenge analysieren zu können, sind wir auch auf externes Wissen angewiesen“, sagt WHH-Manager Moninger. „Und Munich Re ist als weltweit größter Rückversicherer ein führender Spezialist auf dem Gebiet der Datenanalyse.“

Nicht nur das: Munich Re engagiert sich auch im nachhaltigen Risikomanagement und bei innovativen Finanzlösungen. Dafür hat das Unternehmen mit der Hollard Insurance Group ein Joint Venture gegründet: Social Impact Partners (SIP). Kernaufgaben von SIP ist es, als Bindeglied zwischen Munich Re und Nichtregierungsorganisationen (NGO) maßgeschneiderte Finanzierungs- und Versicherungslösungen für alle Arten von Social-Impact-Organisationen zu ermöglichen. „Durch den Child Growth Monitor ist ein weiterer Schritt gemacht, dem ‚Zero Hunger‘ Ziel der Sustainable Development Goals näher zu kommen. Diese innovative Lösung ermöglicht nicht nur eine bessere Nutzung bestehender Ressourcen, sondern auch, die Effizienz von Maßnahmen zu messen. Hierdurch werden neue Finanzierungsmöglichkeiten in NGO Bereich überhaupt erst möglich“, sagt Hanna Grewe von Social Impact Partners.

Die große Menge an komplexen Daten erfordern modernste Technologien, um sie für die Welthungerhilfe nutzbar zu machen“, ergänzt Susanne Mehrtens, Senior Industry Marketing Manager von Microsoft. „Mit den KI-Services von Azure bieten wir Lösungen, die sich ständig verbessern und selbstständig Entscheidungen treffen.“

Prototyp im praktischen Einsatz

Die von der Welthungerhilfe entwickelte App existiert momentan als Prototyp und wird in Indien getestet, wo zwölf Teams mit mobilen Endgeräten ausgestattet und trainiert werden, um Daten im Feld aufzunehmen. Diese Daten werden bereits für die Untersuchung von Kindern genutzt. „Der ‚Child Growth Monitor‘ zeigt, dass neue Technologien dank Microsoft AI eine zuverlässige Datenerfassung in Entwicklungsländern und eine hochwertigere Datenanalyse ermöglichen“, sagt Dr. Michael Menhart.

Insgesamt erzielt das Projekt schon heute eine hohe Wirkung und zeigt, dass moderne Technologien bei der Bekämpfung von Hunger einen echten Unterschied machen können: Der Child Growth Monitor ermöglicht es, deutlich mehr Kinder nicht nur zu erfassen, sondern vor allem korrekt zu messen. Das heißt, die Zahl kann von 35 Prozent auf 85 Prozent steigen, sodass mehr als doppelt so viele Kinder Ernährungshilfe erhalten können. Durch die effizientere Hilfe werden allein in Indien mehrere hundert Millionen Euro frei, die für humanitäre Zwecke investiert werden können.

„Make Your Wish“-Kampagne – Ideen, die die Welt verändern

Microsoft Deutschland sucht weitere Ideen für KI-Projekte wie den Child Growth Monitor – sowie Entwickler und Partner, die sie verwirklichen. Die Kampagne „Make Your Wish“ ist ein Aufruf, um gemeinsam Wünsche für eine bessere Zukunft mit künstlicher Intelligenz zu realisieren. Ob spontaner Einfall oder langgehegter Zukunftswunsch: Vorschläge können in wenigen Schritten über die Online-Plattform von Make Your Wish eingereicht werden. Die Teilnahme ist kostenlos. Nach erfolgter Prüfung und Bestätigung des Wunsches können sich Partner, Entwickler oder Startups für das Projekt melden und die Umsetzung starten.

 


2 thoughts on “Mit künstlicher Intelligenz gegen Mangelernährung

  1. Einer Dersichwundert

    Wow – das nenne ich mal perfide.
    Eine App: „Der ‚Child Growth Monitor‘ zeigt, dass neue Technologien dank Microsoft AI eine zuverlässige Datenerfassung in Entwicklungsländern und eine hochwertigere Datenanalyse ermöglichen“

    Wenn man zum Erkennen von Mangelernährung eine App und Massendaten braucht – statt z.B. Menschenverstand, dann freut es mich für sie, dass auf unserem Planeten genug potentielle Daten zur Verfügung stehen.

    *facepalm*

    1. triesenhuber Beitragsautor

      Hallo Einer Dersichwundert!

      Die Welthungerhilfe treibt zurzeit ihr wichtigstes Innovationsprojekt den Child Growth Monitor in Indien als Piloten voran: die Entwicklung einer App, mit der eine Mangel- oder Unterernährung von Kindern im kritischen Alter zwischen 0 und 5 Jahren erkannt werden soll, um den Betroffenen rechtzeitig die richtige Hilfe zukommen zu lassen. Die App läuft auf modernen Smartphones mit Infrarot-Sensoren, mit denen die Kinder vermessen werden. Ein Algorithmus wertet mithilfe künstlicher Intelligenz die unzähligen Datenpunkte aus, sodass zielgerichtet ermittelt werden kann, ob bei einem Kind Handlungsbedarf besteht. Auf Basis der generierten Daten sollen die betroffenen Kinder in spezielle Ernährungsprogramme aufgenommen werden, um einer drohenden Entwicklungsverzögerung entgegenzuwirken.

      Mit den klassischen Erfassungsmethoden (Wiegen und Messen) kann das Kernproblem bei der Bekämpfung von Hunger – nämlich die Identifizierung der Hilfebedürftigen – nicht effektiv gelöst werden. Zum einen werden lediglich 70 Prozent der Kinder überhaupt vermessen und gewogen, und zum anderen entstehen durch die manuellen Prozesse und die technisch anfälligen Geräte hohe Fehlerquoten, sodass bis zu 50 Prozent der Daten nicht nutzbar sind. Zugleich sind die Abläufe zu langwierig und wenig transparent: Die Listen mit den erfassten Daten erreichen die Hilfsorganisationen nicht selten mit zweijähriger Verspätung und eine Verlaufsbeobachtung individueller Personen ist ebenfalls nicht möglich. Hier sind objektive Messkriterien und einfach zu bedienende Werkzeuge gefragt, und genau da setzt der Child Growth Monitor der Welthungerhilfe an.

      Ich durfte mit der Welthungerhilfe im Oktober in das Projektgebiet im Bundesstaat Madhya Pradesh reisen. Für mich persönlich die einprägsamste Erfahrung war und gleichzeitig die Wichtigkeit des Projekts einmal mehr unterstreicht: Mangel- oder Unterernährung ist mit dem bloßen Auge nicht erkennbar – und doch betrifft sie allein in Indien bis zu 40 Prozent der Kinder. Fakt ist, dass manche Kinder zwar zunächst „normal“ ernährt aussehen, jedoch eine ungünstige Weight-to-Height-Ratio aufweisen, die sich nachteilig auf ihre kognitive Entwicklung auswirken kann. Äußerliche Anzeichen wie Kleinwüchsigkeit oder Apathie sind lediglich Indizien, aber noch keine handfesten Messgrößen. Ebenso gibt es eine Reihe von sehr aktiven und fröhlichen Kindern, die dennoch ernährungsseitig Hilfe benötigen.

      So schließt sich der Kreis. Denn der Child Growth Monitor sorgt nicht nur für eine bessere, kostengünstigere und schnellere Erfassung der Daten, sondern auch für eine präzisere Auswertung und kontinuierliche Nachverfolgung, damit die Hilfsangebote zielgerichtet eingesetzt werden können und die richtigen Kinder erreichen.

      Susanne Mehrtens

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