Atom-Handys

Schon lange will Intel seinen Atom-Prozessor auch in Smartphones und anderen kleinen Mobilgeräten sehen, doch erst die jetzt vorgestellte Z600-Modellreihe ist dafür energieeffizient genug. Dafür musste Intel alte Zöpfe abschneiden – nicht zuletzt die Windows-Kompatibilität.

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Von
  • Florian Müssig
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Obwohl der Netbook-Prozessor Atom N450 mit seiner maximalen Abwärme von 5,5 Watt zu den sparsamsten x86-Prozessoren gehört, ist das für Smartphones und dergleichen zu viel, weil sie so viel Wärme nicht abführen können. Der Atom Z600 soll Intel nun helfen, vom stark wachsenden Smartphone-Markt, der von ARM-Prozessoren dominiert wird, ein Stückchen abzubekommen.

Technische Ausgangsbasis ist die zweite Atom-Generation Pine Trail [1] , die mit Grafikeinheit und Speicher-Controller bereits wichtige Funktionseinheiten auf dem Prozessor-Die enthält. Während der weiteren Prozessor- und Chipsatzentwicklung wurde die unter dem Namen Moorestown entworfene Z600-Schiene allerdings ausschließlich auf den Smartphone-Einsatz getrimmt – ohne Rücksicht auf PC-Kompatibilität. So fehlen nicht nur IDE- und SATA-Schnittstellen, sondern auch ein klassisches BIOS und die modernere Variante EFI. Windows läuft daher nicht, außer der hauseigenen Linux-Distribution MeeGo nennt Intel nur Android als mögliches Betriebssystem.

Auf welchen Betrag diese Maßnahmen die maximale Abwärme gedrückt haben, verrät Intel allerdings nicht: Eine TDP (Thermal Design Power) ließe sich nicht mehr sinnvoll ermitteln, weil sich viele Teile des Prozessors einzeln abschalten lassen und es keinen aussagekräftigen Anwendungsmix gibt, um zu beurteilen, welche der 19 genannten Power Islands gleichzeitig in Betrieb sind. Intel geht mehr auf zwei neue Tiefschlafmodi S0i1 und S0i3 ein, die für die Laufzeit und Standby-Zeit wichtiger sind. Im S0i1 schläft der x86-Kern im C6-Modus, von den restlichen Funktionseinheiten werden nur die tatsächlich benötigten mit Strom versorgt. Im S0i3 ist fast das gesamte Die stromlos, einzig die Zellen des Arbeitsspeichers werden noch refresht.

Die Steuerung übernimmt das Handy-Betriebssystem. S0i3 ist für den Standby vorgesehen und S0i1 für Phasen ohne Last, etwa wenn nur der Home-Bildschirm angezeigt wird. Im S0i3 soll der Z600 nur noch läppische 0,1 mW aufnehmen und die gesamte Plattform lediglich 21 mW, was für die x86-Welt beachtlich ist, für Smartphone-Prozessoren aber schlicht notwendig, um Standby-Zeiten von mehreren Tagen zu erreichen.

Hitzebild des Moorestown-Die: Im S0i1 schaltet der Z600 sich schon fast komplett aus, im S0i3 zieht er nur noch ein zehntel Milliwatt.

Intel wird zwei Versionen der Z600-Familie herausbringen: für Smartphones mit bis zu 1,5 GHz und Low-Power-Speicher (LPDDR1-400) sowie für größere Tablets mit bis zu 1,9 GHz und DDR2-800-Speicher. Diese Taktfrequenzen sind nicht die Nominalraten, sondern analog zu Turbo Boost bei Intels Core-i-Prozessoren die jeweils maximale Frequenzstufe. Intel nennt die Technik beim Atom Burst Performance, hier steuert das Betriebssystem (und nicht der Prozessor selbst) die Stufen und überwacht die Temperaturschwellwerte.

Hyper-Threading sowie der Grafikkern GMA 600 auf Power-VR-Basis ist beiden Ausführungen gemein. Auf letzteren ist Intel besonders stolz, da er bei 1080p-Videos nicht nur das Baseline-Profil von H.264 unterstützt, sondern auch die deutlich anspruchsvolleren Profile Main und High – das kann laut Intel derzeit kein anderer Smartphone-Prozessor.

Anstelle einer klassischen Southbridge (etwa der NM10 beim Atom N450) koppelt Intel den Companion-Chip MP20 an. Er enthält Funktionseinheiten wie einen Bildprozessor für Kameras (bis 5 Megapixel), Audioeinheiten für die verschiedenen GSM- und UMTS-Codecs und eine Krypto-Einheit, aber auch Schnittstellen wie einen USB-2.0-Controller oder einen HDMI-Ausgang. Statt SATA oder IDE ist ein Flash-Controller für bis zu 64 GByte NAND-Speicher an Bord.

Dritter Chip im Bunde ist ein Mixed-Signal-IC (MSIC), welches Funktionen wie Akku-Laden und Spannungsversorgung übernimmt sowie die Signale aller Sensoren, Knöpfe und Schalter auswertet. Intel hat den MSIC entworfen, Vertrieb und Kundenanpassungen übernehmen Zulieferer wie Freescale, Maxim oder Renesas. Für die Funkschnittstellen UMTS, WLAN und Bluetooth sieht Intel nur Chips von Drittfirmen wie Ericsson oder Marvell vor.

Auf einer Presseveranstaltung in London hatte Intel zwei Prototypen im Gepäck: den 7-Zoll-Tablet OpenTablet von Open Peak mit Moblin und das 3,8-Zoll-Smartphone Virta von Aava. Von letzterem gab es Ausführungen mit Moblin und Android, doch mehr als ein paar Demos zu 3D- und Videofähigkeit wurden nicht vorgeführt. Das Riesen-Smartphone LG GW990, das Intel bereits Anfang Januar auf der CES gezeigt hatte, fehlte hingegen – und kommt nach derzeitigem Stand der Dinge nicht auf den Markt. Schon bemerkenswert, dass Intel nun gar keinen großen Gerätehersteller mehr vorweisen konnte, haben sich doch an MIDs mit den Vorgänger-Chips immerhin Hersteller wie Compal, Gigabyte oder Asus versucht, die auf der Computex voriges Jahr noch groß getönt hatten, dass ihre Moorestown-Prototypen quasi fertig seien und sie nur auf die Prozessoren warten würden. Einige von denen haben nun Tablets mit ARM-Prozessor und Android angekündigt.

Offensichtlich hinkt vor allem die Software hinterher, denn sonst hätten die Hersteller nicht Geräte mit Moblin gezeigt, sondern mit dem im Februar angekündigten und mit Nokia entwickelten Nachfolger MeeGo. Auch hätte man sich eine etwas aussagekräftigere x86-Version von Android gewünscht, waren doch die ersten Versuche der Netbook-Hersteller wenig überzeugend [2] . Seriengeräte mit dem Atom Z600 sollen frühestens im Herbst erscheinen. Bis dahin haben die Softwareentwickler Zeit zu beweisen, dass die von Intel vielbeschworene x86-Kompatibilität bei Smartphones und Tablets überhaupt irgendeinen Vorteil bringt oder auch in der reduzierten Form des Z600 eher hinderlich ist.

[1] Florian Müssig, Christof Windeck, Atom 1.5, Intel überarbeitet die Netbook- und Nettop-Prozessoren, c’t 1/10, S. 24

[2] Christian Wölbert, Touchscreen verzweifelt gesucht, Acer Aspire One D250 mit Windows XP und Android, c’t 7/10, S. 74 (mue)