Humpelstilzchen

AMD versucht die enttäuschend niedrigen Taktraten der Phenom-Vierkern-prozessoren mit brandneuen Chipsätzen, schnellen Schnittstellen wie PCI Express 2.0 und HyperTransport 3.0 sowie Gespannen aus bis zu vier Direct3D-10-Grafikkarten zu kaschieren.

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Von
  • Benjamin Benz
Inhaltsverzeichnis

Ursprünglich sollte der erste „echte“ Vierkernprozessor - wie AMD gern betont - schon vor einem halben Jahr erscheinen und mit Taktfrequenzen von bis zu 3,0 GHz die Performance-Krone von Intel zurückerobern. Spätestens seit dem Start des Server-Bruders Barcelona im September [1] war jedoch klar: Die hohen Frequenzen erreicht AMD vorerst nicht. Entsprechend wenig Erwähnung fanden die beiden Phenom-Prozessoren 9500 (2,2 GHz) und 9600 (2,3 GHz) bei der Vorstellung der Spider-Plattform.

Hinter diesem Codenamen - zu einem richtigen Marketingnamen wie „Centrino“ konnte sich AMD bislang nicht durchringen - versteckt sich das Dreigespann aus Phenom-Prozessor, PCI-Express-2.0-Chipsatz der 700er-Serie sowie Grafikkarte der HD3800-Familie. Letztere präsentierte AMD einige Tage vor dem Launch der Plattform und sandte uns auch Testmuster zu. Der Artikel auf Seite 24 in c't 25/07 schildert unsere Eindrücke.

Über die restliche Plattform können wir hier nur unter Vorbehalt berichten: AMD hatte zwar zu einem dreitägigen „Benchmarkfest“ nach Warschau geladen, dort durften wir jedoch nur unter Aufsicht vorkonfigurierte Systeme mit von AMD ausgewählten Benchmarks untersuchen. Eigene USB-Sticks waren Tabu. Wir verzichten daher auch auf Benchmark-Grafiken oder -Tabellen.

Der Phenom-Prozessor ist ein Derivat des bereits vorgestellten Server-Prozessors Barcelona (Opteron 2300/8300, Sockel F). Allerdings passt AMDs erster Vierkernprozessor für Desktop-Rechner in die Sockel AM2 und AM2+, wobei er nur in letzterem seine Fähigkeiten voll ausspielen kann. Dazu gehört die von 4 GByte/s auf 10,4 GByte/s aufgebohrte HyperTransport-3.0-Schnittstelle ebenso wie die Stromsparfunktionen von Cool’n’Quiet 2.0. Mit dieser lassen sich die Spannungen für den Speicher-Controller sowie den L3-Cache auf der einen und die der vier Kerne auf der anderen Seite getrennt einstellen (Split Powerplane). Die Taktfrequenz kann der Phenom dank fünf PLLs sogar für jeden Kern und den Speicher-Controller einzeln einstellen. Die vier Kerne teilen sich einen 2 MByte großen L3-Cache und gebieten jeweils über einen eigenen L2-Puffer von 512 KByte.

Vom Barcelona hat der Phenom übrigens auch einen Bug im Translation Lookaside Buffer (TLB) des L3-Caches übernommen. Allerdings soll dieser laut Aussagen von AMD nur in sehr seltenen Konstellationen auftreten und Daten verfälschen. Umgehen lässt sich der - in allen CPUs im B2-Stepping vorhandene - Fehler nur durch Deaktivieren des gesamten L3-TLBs. Das kostet jedoch laut AMD-Sprecher Dave Everrit mindestens zehn Prozent Performance.

Zentrale und dennoch unscheinbare Bestandteile der Spider-Plattform sind AMDs Chipsätze der 700er-Reihe. Das in einem 65-nm-Prozess hergestellte Flaggschiff 790FX hat satte 42 PCIe-Lanes, die dank PCI Express 2.0 doppelt so schnell sind wie ihre PCIe-1.1-Vorgänger. Der 790FX kann bis zu vier Grafikkarten mit je acht oder zwei mit je 16 Lanes anbinden. Auch andere Konstellationen beispielsweise für Dreifach-Crossfire sind möglich.

Nicht nur die internationale Fachpresse, sondern auch die taiwanischen Mainboard-Hersteller dürften zurzeit nicht gut auf AMD zu sprechen sein: Vor allem die drei „Top-Tier“-Firmen Asus, Gigabyte und MSI haben sich ins Zeug gelegt und opulent ausgestattete AM2+-Platinen mit dem Chipsatz AMD 790FX, vier Grafikkarten-Steckplätzen und umfangreichen Übertaktungsfunktionen entwickelt. Diese Boards dürfte aber in den nächsten Monaten kaum jemand kaufen - wer zahlt schon 230 Euro für ein High-End-Mainboard, wenn die zugehörigen Prozessoren nicht über Mittelklasse-Niveau hinauskommen?

Viel interessanter für die ersten lieferbaren Phenoms sind also preiswerte Boards mit den Chipsätzen AMD 790X (unterstützt Crossfire mit maximal zwei Grafikkarten) und AMD 770. Letzterer sitzt auf Boards aus der Preisklasse zwischen 70 und 130 Euro. Die AM2+-Boards kooperieren auch mit den bisherigen AM2-Prozessoren - wer später einen Phenom kaufen will, kann also auch jetzt schon ein AM2+-Board kaufen. Auch umgekehrt sollten die meisten aktuellen AM2-Boards einen Phenom vertragen; möglicherweise funktionieren dann aber nicht alle Sparfunktionen und auch nicht der Betrieb von DDR2-1066/PC2-8500-Speicher.

Bereits angekündigt wurden von Asus Boards mit AMD 790FX (M3A32-MVP Deluxe, auch in WiFi-AP-Version) und AMD 770 (M3A), von Gigabyte mit AMD 790FX (GA-MA790FX-DQ6, GA-MA790FX-DS5) und 790X (GA-MA790X-DS4) sowie von MSI mit AMD 790FX und 790X (K9A2 Platinum, K9A2 CF-F). Aus diesen Offerten stechen die beiden MSI-Boards hervor, denn sie sind mit 150 beziehungsweise 90 Euro vergleichsweise günstig. AMD-770-Boards wollen aber etwa auch Biostar (TForce TA770) und Jetway (PA77GTA-VT) liefern.

Im nächsten Jahr plant AMD, auch eine Version des Chipsatzes (780 iGP) mit integrierter Grafik (HD2000-Kern) auf den Markt zu bringen. Bis dahin sollte auch die SB700 fertig sein - bislang kommt als Southbridge nach wie vor die nicht mehr ganz taufrische SB600 mit nur vier SATA-Ports zum Einsatz.

Bestückt waren die in Warschau aufgebauten 42 identischen Systeme, an die die Journalisten aus ganz Europa jeweils ein paar Stunden herandurften, mit Entwicklermustern des dann doch nicht vorgestellten Phenom 9700 (2,4 GHz), 2 GByte Speicher und Raptor-Festplatten mit 10 000 Touren. Für die Grafikausgabe sorgten zwei HD-3850-Grafikkarten mit je 256 MByte RAM. Eigentlich hatten wir gehofft, nach dem sogenannten „Benchmarkfest“ eines der Testsysteme für objektive Untersuchungen in unser Labor schleppen zu können. Aber am Abreisetag legte AMD-Kanada - also die ehemalige ATI-Sparte, die für den Chipsatz verantwortlich zeichnet - ein Veto ein: Alle Systeme verschwanden erst einmal in einem englischen Labor zur Durchsicht - und bis zu unserem Redaktionsschluss tauchte auch keines davon wieder auf.

Für eine interessante Koinzidenz sorgte übrigens der Board-Hersteller Asus, der ein bereits an Testredaktionen versandtes Mainboard mit AMD-790FX-Chipsatz wegen Performance-Problemen wieder zurückbeorderte. Auch die in den AMD-Testrechnern verbauten Gigabyte-Boards konnten nicht so richtig überzeugen: Das von AMD angepriesene „Tuning-Werkzeug“ Overdrive konnte auf ihnen nicht einmal die Temperatur des Phenom-Prozessors auslesen. Das angeblich so kinderleichte Tuning - wohlgemerkt: im AMD-Sprachgebrauch heißt es nicht Übertakten - führte bei unserem Testrechner selbst im „Novice-Mode“ zu Abstürzen.

Der Speicher-Controller des Phenom soll DDR2-1066 ansprechen können. Die beiden PC2-8500-DIMMs der Testrechner waren jedoch auf DDR2-800 gedrosselt und liefen mit Standard-Timing-Parametern (5-5-5-18). Trotzdem hatten zumindest einige der Vorführsysteme ihre liebe Mühe damit, Benchmarks wie den Sysmark 2007 (Preview) absturzfrei zu absolvieren. Auf einem anderen System konnten wir jedoch 134 Punkte messen. Zum Vergleich: Ein Core 2 Quad Q9450 von Intel (45 nm, 2,66 GHz, X38, 2 GByte DDR2-800, HD2900XT) kommt auf 158, der QX9650 (45 nm, 3,0 GHz) sogar auf 171 Punkte. Mit einer Taktfrequenz von 3,0 GHz reichen dem Core 2 Duo E6850 sogar zwei Kerne für 152 Punkte.

Noch vor zwei Jahren reklamierte AMD voll Stolz die Performance-Führerschaft für die hauseigenen FX-Prozessoren und wollte damit gut betuchte Gamer und Enthusiasten ködern. Als Intel mit dem Core 2 Duo vorbeizog, erklärte AMD kurzerhand Rechenleistung pro Watt zur Messlatte. Mit den 45-nm-Vierkernprozessoren gewann Intel aber auch in dieser Disziplin. Der Ausweg der Marketing-Abteilung von AMD lautet: Nicht auf den einzelnen Prozessor kommt es an, sondern auf die „Experience“ mit der gesamten Plattform und natürlich den Preis derselben. Aus Endkundensicht handelt es sich dabei sicher um kein falsches Argument und die Preise von 220 Euro für einen Vierkernprozessor klingen verlockend. Unsere „Experience“ mit den von AMD selbst zusammengestellten Systemen war jedoch gelinde gesagt ernüchternd. Selbst hartgesottene AMD-Fans sollten abwarten, bis der Prozessor in einem bugfreien Stepping erscheint und die Treiber in einer finalen Version vorliegen. So bleibt die Frage, welcher Teufel AMD geritten hat, nach monatelanger Verzögerung eine dermaßen unreife Plattform vorzustellen.

[1] Christof Windeck, Vier gegen vier, AMDs Vierkern-Serverprozessor „Barcelona“, c't 20/07, S. 164 (bbe)