Microsofts Minecraft Earth will die reale Welt vermessen
Auf den ersten Blick eifert Microsoft mit seinem Augmented-Reality-Mobilspiel Minecraft Earth lediglich dem Erfolgstitel Pokémon Go nach. Doch dahinter steckt viel mehr.
- Jan-Keno Janssen
Das kreative Open-World-Spiel Minecraft wurde nach seinem Start vor zehn Jahren das meistverkaufte Videospiel aller Zeiten. Die 2,5 Milliarden US-Dollar, die Microsoft 2014 für das schwedische Entwicklerstudio Mojang hingeblättert hat, wirken damit gar nicht mehr so teuer.
Nun will Microsoft den Erfolgstitel in noch lukrativere Sphären heben: Mit einer Augmented-Reality-Version für Android- und iOS-Smartphones hofft das Unternehmen, einen ähnlichen Erfolg zu landen wie das wohl bekannteste AR-Spiel Pokémon Go. Die Betaphase startet im Sommer, c’t hat bereits in Redmond probegespielt. Minecraft Earth ist laut Microsoft ein „Geschenk an die Spieler“ zum zehnjährigen Jubiläum und deshalb „free to play“. Lootboxen soll es nicht geben, einen Echtgeld-Shop aber voraussichtlich schon.
Minecraft Earth nimmt den AR-Ansatz deutlich ernster als Pokémon Go, man kann es nur mit aktivierter Kamera spielen. Um bei Minecraft Earth beispielsweise den Bau-Modus zu aktivieren, benötigt man eine freie Fläche, etwa den Küchentisch. Darauf richtet man das Handy, das dann – nach Erkennung der Freifläche – eine virtuelle „base plate“ auf dem Küchentisch ablegt. Darauf darf man dann die berühmten Minecraft-Blöcke verteilen, Türen einbauen oder „Mobs“ (so heißen hier KI-Kreaturen) platzieren.
Die gebastelten Kleinstwelten kann man in groß in die echte Welt holen – die Pixelschweine sind dann tatsächlich ungefähr so groß wie echte, die Tür einer Burg so, dass man gerade durchpasst. Die eigenen Welten darf man auch mit Freunden gemeinsam bespielen. Nach aktueller Planung gibt es allerdings keine von Spielern generierten Objekte, die allen Minecraft-Earth-Nutzern angezeigt werden.
Eine Version für Microsofts futuristische Hololens-2-AR-Brille soll auf absehbare Zeit nicht veröffentlicht werden, denn Hololens sei nur auf Geschäftskunden ausgerichtet, sagt Microsoft.
Die Technik dahinter
Für das Tracking – gemeint ist damit die Erkennung von Flächen für den Aufbau-Teil der App – nutzt Microsoft die AR-Funktionen der Mobilbetriebssysteme Android (ARCore) und iOS (ARKit). Fürs Mapping, also die Identifikation von Objekten, kommt der eigene Azure-Spatial-Anchors-Dienst zum Einsatz. Dieser stellt auch sicher, dass die AR-Objekte für alle an derselben Stelle platziert werden.
Um sich in der echten Welt zu orientieren, reichen einfache GPS-Daten nicht – laut Alex Kipman, Miterfinder der 3D-Kamera-Kinect und der AR-Brille Hololens, ist GPS „lediglich die Postleitzahl eines Hologramms“ (so nennt Microsoft virtuelle 3D-Objekte). Um diese Objekte zentimetergenau zu platzieren, benötige man Ankerpunkte im Raum. Dazu muss die Software diese Punkte auch erkennen, wenn sich die Welt verändert, etwa durch Jahreszeiten oder Objekte. Die Azure Spatial Anchors müssen also wissen, welche Punkte unverrückbar in die Welt gehören und welche nicht. Dabei helfen durch die Minecraft-Earth-App erhobene 3D-Daten, die in Microsofts Cloud-Service fließen.
Das Füttern des Cloud-Diensts Azure Spatial Anchors ist ein wichtiger Zusatznutzen von Minecraft Earth, denn damit macht Microsoft einen Schritt in Richtung des heiligen Augmented-Reality-Grals: Der AR-Cloud, also einem 1:1-3D-Modell der echten Welt – von der auch die Hololens-Nutzer profitieren, die den Cloud-Service übrigens selbst nicht füttern.
Microsoft verspricht, dass Minecraft Earth niemals Fotos der Spielerumgebungen in die Cloud schickt, sondern lediglich von der App berechnete, niedrig aufgelöste Punktwolken. Diese würden auch nur an vorher festgelegten öffentlichen Orten generiert, nicht auf Privatgrundstücken – oder gar in Wohnungen.
Dieser Artikel stammt aus c't 13/2019. (jkj)