Projekt Hannover

Mit einer ungewöhnlichen hohen Beteiligung von zwei Dutzend Sprechern wertete IBM die 22. DNUG-Konferenz zum IBM Lotus Technical Forum 2005 auf. c't sprach in Hannover mit Lotus General Manager Dr. Ambuj Goyal über die zukünftige Ausrichtung von Lotus Notes.

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Der Tagungsort Hannover sollte zum Codenamen der übernächsten Notes-Version werden. Überraschend stellte IBM während der 22. Konferenz der deutschen Notes-Usergruppe eine Designstudie von Notes 8 vor, die großen Anklang bei den Konferenzteilnehmern fand. Unter der Projektbezeichnung „Hannover“ will IBM eine völlig überarbeitete Notes-Version auf Basis des Eclipse-Frameworks entwickeln, die unter Windows, Linux und Mac OS X lauffähig sein soll. Eclipse entstand als Integrationsplattform für Entwicklungswerkzeuge aus der Freigabe des Source-Codes von IBMs Programmier-Workbench.

IBM verwendet zudem bereits weitgehend entwickelte Bausteine von IBM Workplace, der neuen, ebenfalls auf dem Eclipse-Framework aufsetzenden Technik für so genannte Rich Clients. Sie stellt die Anwendungen und Daten servergesteuert auf einer Vielzahl von Client-Plattformen bereit. Auf Grund der Workplace-Basis ist mit erstem lauffähigen Code Anfang nächsten Jahres zu rechnen. Auf eine Fertigstellung vor Ende 2006 sollten Interessierte jedoch nicht hoffen.

c't: Wenn man sich die Screenshots von „Hannover“ anschaut, dann scheint IBM ja erstmals richtige Interface-Designer auf Notes angesetzt zu haben.

Goyal: [lacht] Ja, aber das ist nicht das Einzige.

c't: Was ist das Besondere an Lotus Notes „Hannover“?

Goyal: Erstens: Wir öffnen den Notes-Client für andere Anwendungen. Bisher war Notes eine geschlossene Umgebung. Den Domino-Server öffnen wir mit Version 7 dadurch, dass jede Domino-Anwendung als Webservice genutzt werden kann. Notes konnte nichts anderes als eine Notes- beziehungsweise Domino-Anwendung verarbeiten. Mit „Hannover“ öffnen wir Notes, sodass Sie zum Beispiel in einer Callcenter-Anwendung kontextbezogen Informationen aus anderen Informationssystemen anzeigen können. Zweitens haben wir festgestellt, dass es eine große Nachfrage nach aktivitätsbezogener Kommunikation gibt. Wenn wir Notes etwa einem Wirtschaftsprüfer, einem Patentanwalt oder einem Ladenbetreiber gezeigt haben, hieß es: „Ja, E-Mail ist wichtig, aber ich will eine Aktivitäten-Inbox“. Drittens haben wir zum ersten Mal eine erstklassige Benutzeroberfläche, etwa bei der Verarbeitung von Adressen, Terminen und Mails. Viertens: Weil alles mit Komponenten realisiert ist, können wir erstmals eine vollständige kontextbezogene Teamarbeit realisieren.

c't: Und wir sprechen hier nicht von einem Portal, sondern von einem Rich Client?

Goyal: Ja, das hat nichts mit Portal zu tun. Das ist das nächste Notes-Release, der so genannte „Hannover Client“. Technisch gesehen betten wir einige Eclipse-Fähigkeiten in Notes ein, sodass wir modulare Anwendungen bauen können.

c't: Bauen Sie jetzt Eclipse in Notes ein oder ist das nicht anders herum zu sehen? Eclipse ist ja schließlich selbst ein Framework.

Goyal: Sie meinen, was ist Container und was ist die Komponente? Das wissen wir noch nicht sicher. Soll eine Ansicht eine Notes-Ansicht und Eclipse der Interaktionsmechanismus sein oder soll Eclipse die Ansicht zeigen und Notes liefert die Daten? Beides ist möglich. Das Team arbeitet an beiden Lösungen. Das Resultat ist das Wichtige: Sie werden bestehende Notes-Anwendungen unverändert laufen lassen können.

c't: Was braucht man auf der Serverseite? Sie verwenden ja einige Techniken aus Workplace. Braucht man dazu noch einen Workplace-Server?

Goyal: Nein, auf der Serverseite haben Sie einen Domino-Server und Sie werden diesen Client mit der nächsten Domino-Version betreiben können.

c't: Wir schauen uns einen neuen Client ja häufig unter dem Gesichtspunkt der eigenen Anforderungen an. Wissen Sie, welche Klassen von Benutzern Sie damit bedienen werden?

Goyal: Ja, wir machen derzeit jede Menge Benutzerstudien. Neben professionellen Nutzern, sei es ein Ingenieur, ein Wirtschaftsprüfer, ein Manager oder ein Designer, gibt es auch einfache Arbeiter, so genannte Blue Collar Worker, und die Frage ist, brauchen Sie dort überhaupt einen E-Mail-Client? Kommen Sie auch mit Webmail aus? Unsere Studien zeigen, dass es Leute gibt, die mit einfachem Webmail besser zurechtkommen, dann gibt es welche, die nur einfache E-Mail und Kalenderfunktionen wollen und dann gibt es welche, die einen integrierten Client brauchen.

c't: Viele Unternehmen haben ja durchaus mehrere dieser Benutzertypen. Werden Sie diese alle mit dem gleichen Server bedienen?

Goyal: Das ist meine Hoffnung, ja. Die Frage ist, wie meine Antwort aussieht, wenn ein Kunde sagt, er wolle nur einen Domino Server oder nur einen Portalserver. Die Technologien, die wir haben, erlauben es mir, sowohl einen einfachen als auch einen professionellen Benutzer mit einem Domino-Server zu bedienen. Aber wir werden sehen, wie wir den Markt segmentieren. Wenn wir zum Beispiel Portal Extend liefern, dann beinhaltet dies zwei Server: den eigentlichen Portalserver und dazu einen Domino-Server mit Teamroom und Instant Messaging. Aber das sieht der Anwender nicht. Das wird einfach so installiert. Es könnte sein, dass wir Ähnliches auch mit dem nächsten Domino-Server tun werden. Wir wissen es einfach noch nicht.

c't: Ihre Kunden werden für die Betreuung der Server aber Mitarbeiter mit ganz bestimmten Qualifikationen haben und deshalb auch genau zu der passenden Serverlösung tendieren.

Goyal: Sie haben Recht. Deshalb ist das Packaging sehr wichtig. Das Hannover Release wird es nicht nötig machen, einen Portal oder einen Workplace Server zu installieren. Das meiste sind einfache Funktionen, wie E-Mail, Kalender, Kontaktmanagement, Präsenz, Instant Messaging. Erst wenn Sie zusammengesetzte Anwendungen bauen, die Komponenten von anderen Servern brauchen, dann müssen Sie diese installieren.

c't: Kann es sein, dass Sie sich in der Kommunikation wieder mehr auf Ihre Notes-Kunden konzentrieren?

Goyal: Wenn Sie sich anhören, was ich schon 2003 gesagt habe, dann bemerken Sie genau das Gleiche, was ich auch heute sage: Notes muss ein clientseitiges Portal werden. Der Unterschied ist, dass ich heute ein konkretes Produkt ankündigen kann, das dies auch realisiert.

c't: Was meinen Sie, wie lange es dauert, bis Sie „Hannover“ fertig gestellt haben?

Goyal: Wir hoffen, dass wir Technology Previews etwa zur Lotusphere [Januar 2006, Anm. d. Red.] zeigen können.

c't: Von einer Demoversion bis zu einem fertigen Produkt dauert es aber doch mindestens noch einmal ein Jahr?

Goyal: Ich werde noch nicht über einen Fertigstellungstermin sprechen. Das hängt sehr von den Tests mit unseren Partnern ab. Wir können bestimmte Teile schneller liefern als andere. Es könnte sein, dass wir bestimmte Dinge in Dot-Releases [7.x, Anm. der Red.] liefern und dann ein weiteres Haupt-Release mit allen Funktionen machen. Nächstes Jahr werden Sie die Teile sehen, und ich werde erst dann ein Produkt ankündigen, wenn ich laufenden Code im Labor gesehen habe. Ich werde kein Cairo ankündigen und es dann auch 16 Jahre später nicht liefern.

c't: Wie man hört, werden Sie DB2 als alternative Datenbank noch nicht vollständig unterstützen?

Goyal: Dazu kenne ich die Details nicht. Ich weiß nicht, ob das ein funktionelles oder ein Testproblem ist. Soweit ich weiß, ist die Entwicklung fertig. Eine wichtige Entscheidung, die ich vor zweieinhalb Jahren getroffen habe, ist, dass DB2 nicht ein Ersatz für NSF (Notes Storage Facility), sondern eine zusätzliche Funktion wird. Es gibt eine Anzahl von Kunden, die sehr große relationale Datenbestände halten und darin suchen. NSF ist dafür nicht gemacht. Für diese Kunden ist das eine wichtige Funktion. Die Entwicklung ist weitestgehend abgeschlossen und es ist jetzt nur noch die Frage, wie wir das verpacken und ausliefern. Und sie haben Recht, es gibt Diskussionen, ob wir das in limitierter Form machen. Aber wir werden liefern. Es gibt keine Absicht, es nicht zu liefern. (jk)