Unschuldig unter Verdacht

Professor Erwin S. sitzt der Schreck noch in den Knochen: Anfang Februar hat die Polizei sein Haus nach Kinderpornos durchsucht und seine Computer beschlagnahmt. S. hatte mit der Sache nichts zu tun; später fand er selbst heraus, warum er fälschlich in Verdacht geraten war.

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Von
  • Urs Mansmann

Als Professor S. gerade Prüfungen abnahm, wurde er von einem Kollegen ans Telefon geholt. Seine Frau wollte ihn dringend sprechen. „Die Polizei ist hier! Sie durchsuchen das Haus! Stell dir vor, sie suchen nach Kinderpornos!“ Sie habe das gar nicht glauben wollen und sich die Dienstausweise zeigen lassen, es sei tatsächlich die Polizei, die da vor der Tür stand. Und der Durchsuchungsbeschluss, den die Beamten präsentierten, richte sich gegen ihn.

S. konnte aber weder lange mit seiner Frau sprechen noch konnte er direkt nach Hause fahren, um dort nach dem Rechten zu sehen, schließlich warteten Studenten auf ihn. S. war klar: Das muss ein Irrtum sein. Er nahm es fatalistisch, ändern ließ sich nun ohnehin nichts mehr.

S. rief in der nächsten Prüfungspause zu Hause an und ließ sich den Einsatzleiter geben. Der bestätigte ihm: Er sei verdächtig, am 29. August 2007 in einer Tauschbörse kinderpornografische Videos zum Download angeboten zu haben. Seinen Laptop und den Desktop-PC nahmen die Beamten mit, seine selbst gebrannten Datenträger durchsuchten sie nur flüchtig, den Rechner seiner Frau ließen sie da. Dafür nahmen sie aber einen alten, defekten MP3-Player zu den Beweismitteln.

S. war ratlos. Niemals war er im Internet auch nur versehentlich über Kinderpornos gestolpert. „Ich habe gerade einmal im Leben eine Tauschbörse genutzt, um Fedora per Bittorent herunterzuladen“, berichtete er c't.

Zur Vernehmung bei der Polizei einige Tage später erschien S. ohne Anwalt. Bereits im Vorfeld hatte er darum gebeten, die Ermittlungsergebnisse technisch bis ins Detail zu diskutieren. „Ich hatte gehofft, den Verdacht widerlegen zu können. Der ermittelnde Beamte hatte auf meine Bitte hin sogar einen Fachmann hinzugezogen. Der zeigte mir mit siegesgewisser Miene die Screenshots des Clients, mit dem das BKA anlassunabhängige Ermittlungen betreibt. Darauf war eine Reihe von Dateinamen und eine IP-Adresse zu sehen. Das sei meine gewesen, sagte der Experte“, erinnert sich S., „die beiden hörten sich meine Argumente zwar an, die nahmen mich auch ernst, aber geglaubt haben sie mir nicht, das konnte ich spüren. Zu diesem Zeitpunkt war der Inhalt meiner Computer auch noch gar nicht ausgewertet.“

Auch ein Alibi hilft in solchen Fällen nichts, stellte S. resigniert fest: „Dass ich zum Tatzeitpunkt nachweislich nicht in der Stadt war, interessierte die Polizei überhaupt nicht. Das ist ja auch logisch, der PC kann ja schließlich auch ohne seinen Anwender in einer Tauschbörse unterwegs sein.“

Nachdem es S. im ersten Anlauf nicht gelungen war, den Verdacht zu entkräften, verpflichtete er einen Strafverteidiger, Udo Vetter aus Düsseldorf. Gemeinsam mit diesem ging er die Ermittlungsakte durch. Auf den ersten Blick sah es nicht gut für S. aus: Die sorgfältige Prüfung seines mit WPA2-verschlüsselten WLANs zu Hause brachte keinerlei Hinweise auf einen unberechtigten Nutzer an den Tag. Das BKA hatte sauber ermittelt und die Ergebnisse korrekt dokumentiert. Die von der Polizei per Internet heruntergeladenen Videos waren eindeutig strafwürdig. Noch während die Internet-Verbindung stand, hatte das BKA den Internet-Provider Arcor ermitteln lassen, wer sich hinter der IP-Adresse verbarg.

Misstrauisch machte Vetter und seinen Mandanten allerdings die formlose Mitteilung von Arcor. Auf das Anfrage-Fax des BKA hatte ein Mitarbeiter des Providers lediglich Namen und Adresse von S. gekritzelt, eine unleserliche Unterschrift und einen Firmenstempel daruntergesetzt und das Ganze ans BKA zurückgefaxt.

S. bohrte nun direkt bei Arcor nach, wie denn die Zuordnung zustande gekommen sei. Er bestand darauf, dass er unschuldig sei und dass es sich um einen Irrtum handeln müsse. Zur Beantwortung setzte er eine Frist. Kurz vor deren Ablauf rief ihn der Datenschutzbeauftragte von Arcor an. Man prüfe den Fall nochmals sorgfältig, versicherte er. Allerdings könne man S. während des laufenden Verfahrens keine Auskunft erteilen.

Wenige Tage später meldete sich überraschend die Polizei. S. könne seine Rechner abholen, der Verdacht habe sich nicht erhärtet. Nun stellte sich heraus: Arcor war gegenüber dem BKA zurückgerudert und hatte eingeräumt, dass die Zuordnung der IP-Adresse zu den Kundendaten nicht korrekt war. Offensichtlich hatte sich bei dem Vorgang ein Übertragungsfehler eingeschlichen. Das Verfahren wurde anschließend zügig eingestellt.

Richtig böse auf Arcor ist S. trotz des Fehlers nicht. „Immerhin hat der Verantwortliche die Größe besessen, das BKA sofort zu informieren, dass hier ein Irrtum passiert war, das rechne ich ihm hoch an. Dass man nicht versucht hat, den Fehler unter den Teppich zu kehren, hat mir eine Menge zusätzlichen Ärger erspart.“ Gegenüber c't war Arcor zu einer Stellungnahme nicht bereit. Rechtsanwalt Vetter berichtete, der Provider habe Besserung gelobt. Man werde solche Fälle künftig sorgfältig mit Screenshots dokumentieren und die Ergebnisse vor Herausgabe nochmals prüfen.

S. zieht Resümee: „Es ist ein schlimmes Gefühl, nach Hause zu kommen und zu wissen, dass die Polizei in jeden Winkel geschaut hat. Mein zehnjähriger Sohn hatte an dem Tag auch noch schulfrei und hat miterleben müssen, wie das ganze Haus durchsucht wird. Für den tut mir das besonders leid.“ Der schlimme Verdacht blieb für S. aber sonst folgenlos. „Meine Frau und meine Kollegen haben zu mir gehalten und mir geglaubt, dass ich damit nichts zu tun habe. Da blieb kein Hauch einer Frage. Was das angeht, bin ich in einer privilegierten Position“, stellt S. fest.

Bei der Ermittlung der Kundendaten zu einer IP-Adresse passieren häufig Fehler, etwa Zahlendreher, Übertragungsfehler oder falsch zugeordnete Zeitzonen. Gerade wenn es um das Tabu-Thema Kinderpornografie geht, kann aber bereits ein vager Verdacht die private und berufliche Existenz von Unschuldigen vernichten. Gegenüber Ehepartnern, Verwandten, Freunden, Kollegen, Arbeitgebern oder Vermietern lässt sich die Unschuldsvermutung eben nicht erzwingen.

Ob der wirkliche Täter nun mit einem Besuch der Polizei zu rechnen hat, war nicht herauszufinden. Da Arcor derzeit personenbezogene Daten sofort nach Ende der Verbindung löscht, kommt derjenige, der den ganzen Wirbel verursacht hat, möglicherweise ungeschoren davon. (uma) (uma)