​Wo es beim Videostreaming-Dienst Disney+ noch klemmt ​

Obwohl Disney den hiesigen Start seines Flatrate-Videostreaming-Dienstes lange geplant hatte, tauchten am Ende doch große und kleine Mängel auf.

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​Wo es beim Videostreaming-Dienst Disney+noch klemmt ​
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Nico Jurran
Inhaltsverzeichnis

Unter welchem Zeitdruck Disney+ in Deutschland gestartet ist, wird beim Last-Minute-Deal mit der Deutschen ­Telekom deutlich: MagentaTV-Kunden bekommen Disney+ sechs Monate gratis, sie können den Dienst mangels passender App aber aktuell gar nicht auf ihrem Media-Receiver benutzen. Wann sie kommt, ist noch nicht bekannt.

Insgesamt hat das Programm noch eine Menge Lücken. So vermissen viele Disney-Fans schmerzlich einige ältere Zeichentrickserien, darunter „Doug“ und „Käpt’n Balu und seine tollkühne Crew“, die in den USA abrufbar sind. Zu den ­Gründen äußerte sich Disney bislang nicht. So bleibt den Fans nur, auf eine Nachlieferung zu hoffen. Recht ausgeschlossen ist die allerdings für „Onkel Remus’ Wunderland“: Nach Vorwürfen, der Film aus dem Jahre 1946 verharmlose die Sklaverei, hat Disney die Verwertung generell gestoppt.

Andere Filme und Serien bekommt man zwar, aber nur mit englischem Ton – darunter „Die Katze aus dem Weltraum“ und die X-Men-Comic-Serie. Von „Avatar“ kriegt man wiederum nur die Synchronfassung, die dafür aber sogar zusätzlich in einer deutschen Fassung ohne „anstößige Sprache“. Hörgeschädigte beklagen wiederum, dass bei einer Reihe von Filmen und Serien die Untertitel fehlen.

Bei der Serie „Die Simpsons“ hat Disney die ersten neunzehn produzierten Staffeln vom Produktionsformat 4:3 auf das Bildverhältnis 16:9 beschnitten. Dadurch fehlen Inhalte am oberen und unteren Rand, sodass nun einige Gags nicht mehr funktionieren.

Der Konzern verspricht hier ebenso Abhilfe wie beim Film „Arielle, die kleine Meerjungfrau“, der bislang nur in der neu synchronisierten Fassung von 1998 abrufbar ist. Künftig soll auch die ursprüngliche deutsche Version verfügbar sein, deren Text und Gesang vielen Fans besser gefiel. Auf einen Zeitrahmen legt sich Disney dabei aber in keinem Fall fest.

Disney+ hat „Arielle, die Meerjungfrau“ in der Eile sogar einen falschen Titel verpasst. Der ist mittlerweile ­korrigiert, die ­deutsche Originaltonspur aber noch nicht ­verfügbar.

Doch es gibt nicht nur Kritik am Inhalt, sondern auch an der Aufbereitung. Das fängt damit an, dass hierzulande der in anderen Regionen verfügbare Reiter „Neu bei Disney+“ fehlt, der über Neuzugänge informiert. Viele Nutzer wünschen sich – gerade bei Serien–zudem eine klare Kennzeichnung, was sie bereits angeschaut haben.

Eltern bemängeln die Umsetzung der Kinderprofile. So zieht Disney+ die Grenze hart an der US-Einstufung „TV-Y7“, also ab 7 Jahren – das ist zu unflexibel für Nutzer mit älteren Kindern. Vor allem lässt sich mangels PIN-Sicherung gar nicht verhindern, dass Kinder heimlich zum Erwachsenenprofil wechseln.

Kritisch für Konten, die von mehreren Personen genutzt werden, ist ein bislang fehlendes „Zwangs-Logout“: Aktuell bleiben alle Geräte dadurch selbst dann angemeldet, wenn der Nutzer sein Passwort ändert. Dies ist auch deshalb besonders tückisch, weil Disney+ bislang die aktuell benutzten Player nicht anzeigt.

Nicht vorwerfen kann man Disney+, dass der hiesige Start in den Zeitraum fiel, in dem sich alle Streaming-Dienste wegen der Corona-Krise zu einer Reduktion der Datenrate um 25 Prozent bereit erklärten. In der Folge bekommen alle Nutzer maximal 5.1-Ton und viele nur ein HD-Bild. Dass die Fire TV der ersten und der zweiten Generation sowie der erste Fire TV Stick nur Stereoton ausgeben, dürfte aber nicht an der Reduktion liegen.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Unter den von c’t ge­testeten Playern lieferten Apple TV 4K, Fire TV Cube und Stick 4K, Nvidia Shield TV (Pro) 2019 und Xbox One (S/X) bei uns trotz Datenreduktion ein 4K-Bild mit Dolby Vision. Dies galt auch für den Chromecast Ultra, der beim US-Ableger von Disney+ nur eine Fehlermeldung ausgegeben hatte.

Und Marvel-Fans können sich freuen, bei Disney+ in Deutschland auch die Iron-Man-Filme zu finden, obwohl die hiesigen Stream-Rechte bei Leonine liegen. Hier hat Disney offenbar kurzfristig die Lizenzen erworben: Die Filme waren jedenfalls noch nicht auf der vor dem Start von Disney+ veröffentlichten Titelliste.

Disney+ wirkt derzeit wie ein US-Angebot, das man eilig für den deutschen Markt umgebaut hat. Sein volles Potenzial wird der Dienst erst ausspielen können, wenn er auch die Bedürfnisse und Wünsche der hiesigen Kunden berücksichtigt.


Dieser Artikel stammt aus c't 9/2020. (nij)