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  • Sergeij2000

mehr als 1000 Beiträge seit 22.10.2001

Das Weihnachtsmärchen vom schnellen Betanken eines Brennstoffzellenfahrzeuges...

In vielen Artikeln (auch in diesem Artikel des von mir sehr geschätzten Autors Christoph M. Schwarzer) wird die kurze Tankzeit als großer Vorteil eines Brennstoffzellenfahrzeuges gegenüber einem batterieelektrischen genannt. Auch diverse Foristen sehen deswegen ein mit H2 betriebenes Brennstoffzellenfahrzeug deutlich im Vorteil.

Die immer wieder angeführte angebliche Tankzeit von 3-5 Minuten ist aber leider nur ein Märchen; in der Praxis dauert das Tanken erheblich länger! Warum das so ist, werde ich im Folgenden ausführen:

Der eigentliche Befüllungsvorgang, d.h. der Transport des H2 von der Tankstelle in die Drucktanks der Fahrzeuge dauert tatsächlich nur 3-5 Minuten. Trotzdem ergibt sich aber bei einer H2-Zapfsäule kein hoher Durchsatz von 150 Fahrzeugen oder mehr am Tag, den diese kurze Tankzeit vermuten ließe. Schauen wir einmal genauer in eine Pressemitteilung über die Inbetriebnahme zweier neuer H2-Tankstellen im Stuttgarter Raum aus dem Juli diesen Jahres:

https://www.topagrar.com/news/Energie-Energienews-Wasserstoff-Tankstellennetz-waechst-auf-32-Standorte-8427506.html

Dort können wir lesen:

Das Betanken ähnelt dem konventioneller Fahrzeuge und ist in drei bis fünf Minuten abgeschlossen. Je 40 wasserstoffbetriebene Autos können ab heute in Sindelfingen und Pforzheim täglich bedient werden.

Nur 40 Fahrzeuge pro Tag? Das bedeutet ja, dass im Schnitt nur 1,67 Fahrzeuge pro Stunde an einer dieser Tankstellen abgefertigt werden können. Wie kann das sein?

Die unangenehme Wahrheit versteckt sich mal wieder im Kleingedruckten der Hochglanzbroschüren aus den Presseabteilungen der Gashersteller und Automobilfirmen, die das Brennstoffzellenfahrzeug im Moment pushen:

Damit das Gas nämlich vom Speicher der Tankstelle in den Speicher des Autos fließt, muss es einen deutlichen Überdruck haben. Deswegen muss das Gas vor dem Tankvorgang auf einen Druck von 850-1000bar vorverdichtet werden - und das kostet Zeit! Ein Kompressor für die Vorverdichtung auf 850bar hat eine stündliche Produktionskapazität von 10,3kg H2 - und ein Speicherreservoir von 20kg H2. Damit ist es also nur möglich, maximal 2 Fahrzeuge von der Größe des Toyota Mirai (5kg H2-Speichervolumen) pro Stunde zu betanken.

Jetzt könnte man ja auf die gute Idee kommen, einfach mehrere dieser Kompressoren pro Zapfsäule aufzustellen und damit den Durchsatz zu erhöhen. Wenn man sich aber mal das Datenblatt eines solchen Gerätes anschaut, dann sieht man, dass das ein relativ komplexes System ist, welches die Abmessungen eines 20ft-Containers hat:

https://www.boconline.ie/internet.lg.lg.irl/en/images/hydrogen-max-fueller-90-data-sheet674_39433.pdf

Davon wird man schon aus Platzgründen nicht allzuviele am Standort einer Tankstelle aufstellen können, ganz zu schweigen davon, dass ein solches Gerät nicht gerade billig ist. Übrigens wird für die Vorverdichtung von 1kg H2 laut Datenblatt eine Energie von 2,43kWh benötigt, d.h. mit der für das Befüllen eines Mirai mit 5kg Speichervolumen benötigten Energie kann ein Elektrofahrzeug bei sparsamer Fahrweise schon fast 100km weit fahren.

40 Fahrzeuge pro Tag - 1,67 Fahrzeuge pro Stunde!

Schauen wir uns nun einmal zum Vergleich einen Supercharger der Firma Tesla an: Mit einer Ladeleistung von 120kW ergibt sich eine durchschnittlichen Ladezeit pro Fahrzeug von 40 Minuten, d.h. es können rund 36 Fahrzeuge pro Tag - oder 1,5 Fahrzeuge pro Stunde geladen werden. An einem Lader! Der Unterschied im Durchsatz zu einer um ein Vielfaches teuereren Wasserstofftankstelle ist also nicht sehr groß - und wird dadurch überkompensiert, dass man an einem Standort sehr einfach mehrere Lader aufbauen kann, ohne dass die Kosten nennenswert steigen, denn der größte Teil der Investitionen fließen in das Legen des elektrischen Anschlusses. Und mit fortschreitender Entwicklung und höheren Ladeleistungen wird sich das Verhältnis noch weiter zu Ungunsten der Wasserstofftankstelle entwickeln. Und dabei hatte ich noch gar nicht die deutlich höheren Fahrzeug- und Brennstoffkosten im Vergleich zu einem batterieelektrischen Fahrzeuges erwähnt - das muss natürlich noch dazu gerechnet werden.

Im Endeffekt wird also eine Technologie forciert, die aufgrund des schlechten Wirkungsgrades deutlich mehr Energie zur Bereitstellung einer kWh Traktionsleistung als ein batterieelektrisches Fahrzeug benötigt - sogar mehr, als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Eine Technologie, die den Aufbau einer hochkomplexen und teuren Infrastruktur erfordert - und bei der die Fahrzeuge komplizierter und wartungsintensiver sind, als bei einem einfachen Elektroauto. Und dann entpuppt sich auch noch der letzte angebliche Vorteil, die kurze Tankzeit, als Märchen aus 1001er Nacht. Nein, so wird das nichts! Meiner Meinung nach ist das wasserstoffbetriebene Auto ein totes Pferd!

Noch ein Wort zum Artikel: Ich hätte mir gewünscht, dass diese Informationen, die meiner Meinung nach unabdingbar für die richtige Bewertung der Technologie sind, im Artikel enthalten hätten sein sollen. Warum das nicht der Fall war, kann ich nur vermuten - und alle Gründe, die mir dafür einfallen, sprechen nicht unbedingt für die Qualität der Recherche zu diesem Thema.

So - und nun steinigt mich, denn ich habe Jehova gerufen :-)

cu/

Sergeij

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (25.12.2017 16:22).

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