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  • Flans

693 Beiträge seit 30.01.2000

DIRAVI

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde, von einer damals für ihre Innovationsfreude bekannten Marke westlich des Rheins, ein Lenkungssystem entwickelt, das 1970 in einem Serienfahrzeug dieses Herstellers debütierte. Es setzte nicht auf Drive-by-wire, sondern auf Drive-by-hydraulics. Auch hier gab es nur für den Notfall eine rein mechanische Verbindung zwischen Lenkrad und Lenkgestänge, ansonsten wurden die am Lenkrad vorgegebenen Richtungsbefehle über ein Hochdruckhydrauliksystem weitergegeben. Dieses System war ohnehin vorhanden, da es auch für Federung, Niveauregulierung und Bremsunterstützung verantwortlich war. Je nach gefahrener Geschwindigkeit variierte die Lenkkraftunterstützung; auch die Rückstellung des Lenkrades erfolgt über dieses System, so dass kein Nachlauf vorhanden sein musste und der Lenkrollradius 0 betrug. So rollten die Räder dorthin, wohin man lenkte, und waren gegenüber äußeren Einflüssen weitgehend immun. Die hydraulikunterstützte Rückstellung der Lenkung und des Lenkrades in Mittelstellung funktionierte auch im Stand, was beim Einparken hilfreich war und den Komfort erhöhte. Diese Lenkung war Teil eines durchdachten Systems, eines ganzen Fahrzeugkonzeptes, das noch vor der Erfindung von ABS und ESP den Effekt dieser Systeme in weiten Teilen ersetzen konnte - obgleich der Hersteller ursprünglich ein elektronisches ABS bereits 1970 zusätzlich hätte einführen wollen, was aber aufgrund ökonomischer Probleme scheiterte.

Der Seitenwindempfindlichkeit wurde nicht durch aktives Gegenlenken der Schrecken genommen, sondern durch einen tiefen Fahrzeugschwerpunkt und entsprechende aerodynamische Gestaltung, die den Wagen von vorneherein weit weniger Anfällig für dieses Phänomen werden ließen. Zudem lag deutlich mehr des Gesamtgewichts des frontangetriebenen Wagens auf der Vorderachse.

Während das 1970 vorgestellte Fahrzeug ein Luxuscoupe war, fand vorgenannte Lenkung und das Konzept, in das diese integriert war, Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts dann Einzug in ein Volumenmodell des Herstellers, von dem während seiner gut 1 1/2 Dekaden dauernden Bauzeit deutlich über 1 Millionen Exemplare entstanden.

Mittlerweile war der Hersteller aber in ökonomische Schieflage geraten und von einem Konkurrenten übernommen worden. Mit dem nachfolgend offenbar unvermeidlichen Abstieg in die Konformität verschwand gegen Ende der 1990er Jahre auch diese Lenkung vom Markt.

Aktuell ist der Verbund dieser beiden Automarken erneut in wirtschaftlicher Bedrängnis. Leider ist nicht zu vermuten, dass ein Ausweg aus dieser Situation in Rückbesinnung auf alte Innovationskraft, ehemals gestalterische Klasse und insbesondere Betonung der formalen, wie technischen Eigenheiten gesucht werden wird - nicht im Sinne allgegenwärtiger Retroprodukte oder aufgesetzter Gimmicks, sondern wiederum als durchdachtes Gesamtkonzept.

Was hat das alles nun mit der von Nissan entwickelten und zur Nutzung in einem Serienfahrzeug beabsichtigten Lenkung zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel, doch auf den zweiten sehr wohl: Viele der Probleme (Seitenwind, Spurrillen), denen das aktiv eingreifende System entgegenwirken soll, ließen sich durch entsprechende Fahrzeugkonzeption von vorneherein deutlich entschärfen - und zwar so, dass die Gesetze der Physik dafür sorgen, dass die Wirkung grundsätzlich und immer vorhanden ist.

Das soll keineswegs ein prinzipielles Argument gegen ein solches System sein. Es sollte nur nicht dazu dienen, Defizite zu kaschieren, die das grundsätzliche Fahrzeugkonzept mit sich bringt. Diesen Effekt gab es aber leider bei der Einführung von ESP und anderen vergleichbaren Systemen, so dass die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen ist, dass mit dem Vertrauen auf ein solches System die Anforderungen an die fahrdynamischen Grundeigenschaften eines Fahrzeuges heruntergeschraubt werden könnten.

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