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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Re: 2 Fragen:

ShabDe schrieb am 28. Juli 2009 13:36

> 1. Inwiefern bedeutet Deiner Ansicht nach denn der Bologna-Prozess
> den "Kahlschlag für die universitäre Forschung"? Ich vermag das nicht
> zu erkennen, bitte kläre mich auf. 

Da der Bologna-Prozeß im Wesentlichen eine Verschulung der Lehre ist,
der aber durch Umbau auch und gerade des Hochschulwesens erfolgt (das
FH-System hat wesentlich weniger Transformationsprobleme) bringt der
Umbau eine Verschiebung des Aufgabenprofils der Hochschulen mit sich.
Auf Kosten des Forschungsauftrages, der wesentlicher Teil des
klassischen Diplom-Systems ist.

> 2. Was soll die "Sozialwirkung der Lehre" sein (ich ahne es, daher:)
> und bist Du sicher, dass wir darüber in D einen Konsens haben?

Keine Ahnung, ob es da einen Konsens gibt. Eine gute
Grundlagen-Ausbildung in theorie und Praxis ist immer auch eine
Ausbildung, die die langfristige Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers zur
Folge hat. Wenn die beruliche Grundlagen-Ausbildung stimmt kann ein
Arbeitnehmer auch noch in 30 Jahren in seinem Beruf eingesetzt werden
und benötigt nur vergleichsweise geringe Anpassungsschulungen.

Die rein schulische Lehre kann keine praktischen Kenntnisse, keine
Erfahrungswerte vermitteln, bleibt auf die Theorie beschränkt. Das
Fehlen einer praktischen Ausbildung bedeutet, daß ein Arbeitnehmer
beim Antreten des ersten Jobs erst mal lernen muß, "wo der Lötkolben
heiß wird" (um es mal bildhaft auszudrücken). Er wird praktisch,
abseits der schulischen Ausbildung, nur und ausschließlich auf den
zukünftigen Arbeitsplatz geschult, seine breite Einsetzbarkeit ist
nicht gegeben. Jemand,d er dann 20 Jahre praktisch denselben Job
gemacht hat ist danach ein Sozialfall - er hat zwar das theoretische
Wissen, kann es aber nicht breit anwenden. Er ist ein Eunuch - er
weiß, wie man es macht...

Das duale Ausbildungssystem in seiner Kombination aus theoreischer
und praktischer Ausbildung ist nicht nur die theoretische Lehre a la
Bachelor, sondern auch praktische BREITE Ausbildung. Diese breite
Ausbildung auch grundlegender praktischer Fertigkeiten ist ein
Sozialfaktor, da der Arbeitnehmer so schneller an geänderte
Jobanforderungen anpaßbar ist.

In einer Gesellschaft, wo man ab 40 zum alten Eisen gehört und wo
nicht über den Zeitraum von einer Legislaturperiode hinausgedacht
wird ist das sicher irrelevant. Aber dieser STANDORTVORTEIL, nämlich
breit ausgebildete Arbeitnehmer, galt früher tatsächlich als das
wichtigste Kapital Deutschlands und als Grundlage des Mythos "Made in
Germany". Und zwar berechtigterweise.

Dieses, die Koexistenz des dualen Ausbildungssystem, das auf breiter
Basis hochqualifizierte und hochflexible Arbeitnehmer bereitstellte
und des universitären Systems, das Forschung und Entwicklung
dominierte war der deutsche Weg. Nicht der Billigste für die
Wirtschaft, zugegeben. Schließlich war sie als Kostenträger der
Ausbildung selbst involviert. Aber das ist IMO nur fair...

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