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  • Goerlitzer

mehr als 1000 Beiträge seit 30.11.2007

Statt der wilden EU-Propaganda von Konicz, hier ein Analyse-Versuch

Mehrfach durfte ich im Tp-Forum darlegen, dass man vieles im heutigen Polen kritisch sehen kann. Über das Abtreibungsurteil des Verfassungsgerichts sind im übrigen auch viele PiS-Politiker incl. des Präsidenten und des MP Morawiecki nicht glücklich, allein weil es der Opposition neuen Auftrieb gab. Deshalb sucht man nach einem pragmatischen Ausweg, wie z. B. dem Duda-Vorschlag, der de facto eher nur Mütter von Föten/Kindern mit Dow-Syndrom vom Recht auf eugenische Indikation ausnehmen würde.

Interessant ist sicherlich die Auseinandersetzung mit der polnischen Mediensituation. Vor dem Antritt der nationalistischen Regierung, Ende 2015, ergab sich ein ähnliches Bild wie im heutigen Deutschland. Grosse Medien-Oligopole, Print wie elektronisch, stützten annähernd geschlossen und auf breiter Linie die Politik der liberal-konservativen "Bürgerplattform"-Regierung, nicht zuletzt aber auch die neoliberale Agenda der EU.

Der mächtigste Medienkonzern in Polen ist bis heute Springer, der die auflagenstärkste Tageszeitung ("Fakt), das i. d. R. auflagenstärkste polit. Wochenmagazin ("Newsweek"), das wichtigste Internet-Nachrichtenportal ("onet.pl"), anteilsmässig eine der 3 überregionalen Zeitungen ("Dziennik - Gazeta Prawna") und zusätzlich ca. 3 Dutzend Zeitschriften-Titel und Sparten-Portale kontrolliert. Der polnische Regional-Zeitungsmarkt wurde bis vor einigen Wochen mit 20 von 28 Titeln von der Passauer Verlagsgruppe ("Polskapress") dominiert. Im TV-Bereich mit mehreren Vollprogrammen gibt es zwei strikt wirtschaftsliberal und transatlantisch ausgerichtete Privat-Sender (TVN u. Polsat) sowie das öffentlich-rechtliche TVP. Dort kamen vor 2015 natürlich auch Oppositionspolitiker zu Wort, aber die politisch Grundausrichtung war die gleiche wie bei den Privatsendern.

Das einzige relevante unabhängige und mitunter regierungskritische Medium vor 2015 war die Tageszeitung "Rzeczpospolita" im Besitz britischer Finanzinvestoren. Als die die Zeitung 2012 verkaufen wollten, arrangierte Donald Tusks Regierungssprecher Pawel Grass persönlich, dass sie in die Hände des regierungsnahen Verlegers Haidarowicz kam.

Wer die Politik eines Landes steuern will, braucht Medienunterstützung. Deshalb ging die PiS nach 2015 rasch daran, ihren Einfluss bei TVP und Polskie Radio massgeblich zu verstärken. Wir haben heute also im polnischen TV-Bereich zwei ausgesprochen regierungskritische Privatsender und den regierungsnahe ÖR. Im Vergleich zu Deutschland sicher eine beneidenswerte Situation.

Im Printbereich kaufte im Rahmen der sog. Re-Nationalisierung Ende 2020 der staatlich kontrollierte Energiekonzern PKN Orlen die Medien der Passauer Verlagsgruppe. Mit welchen Folgen, ist nicht absehbar (man denke an den regierungskritischen Sender "Echo Moskvy", bei dem Gazprom eine Mehrheitsbeteiligung hat).

Trotz grundsätzlicher Medienvielfalt gibt es in einem Bereich ein Gleichschaltung: Der schroffen Konfrontationspolitik gegenüber Russland. Hier bewegen sich nationalkonservative wie liberale Medien auf dem Niveau der EU-Propaganda und -Terminologie (s. Konicz`s Überschrift). Dass sich ansonsten durch die Steuer auf Werbeeinnahmen der Medienkonzerne an der polnischen Medienvielfalt viel ändert, ist nicht abzusehen.

Das Aufbrechen des neoliberalen Medienmonopols ist einer der Gründe, warum sich die jetzige polnische Regierung in der EU so unbeliebt gemacht hat? Doch was spielt noch eine Rolle? Im Unterschied zu Orbans Ungarn gibt es doch keinerlei politische Affinitäten zu Russland. Und wenn es eine Rechtsstaats-Gefährdung in Polen geben sollte, ist sie nicht grösser als in anderen EU-Ländern, incl. der "Eine-Hand-wäscht-die-andere"-Konsensdemokratie Deutschlands. Und ein restriktives Abtreibungsrecht ertrug und erträgt man problemlos in Irland wie Malta.

Es ist Warschaus Wirtschaftspolitik, die Brüssel und Berlin mächtig aufstösst. Polen ist für deutsche Konzerne eine Goldgrube. Zu Ostlöhnen (bis heute ca. 1/3 des Westniveaus) produzieren und zu Westpreisen verkaufen, haben viele zu ihrem Motto gemacht. Grosse Teile des Handels, der Industrie, der Medien Polens sind in deutscher Hand. Dem Empire jenseits des Atlantiks war die deutsche Vormachtstellung in Ost-Mitteleuropa und dem Balkan recht, denn sie war mit der weitgehenden Ausschaltung russischen bzw. später chinesischen Einflusses verbunden.

Nur in Polen selbst sind viele mit der peripheren Rolle ihres Landes als verlängerte Werkbank und Billiglohn-Land nicht einverstanden. Die polnischen Nationalisten wollen ökonomisch und sozialpolitisch zum gleichgewichtigen Partner in der EU aufsteigen,- und bedienen sich dabei staatsinterventionistischer Politik. Man hat u. a.:

-17 Grosskonzerne mit Staatsbeteiligung als "strategisch und unverkäuflich" -deklariert.

- eine (ökonomische) Nationalstiftung als Basis eines nationalen Kapitalstocks gegründet

- eine Bankenabgabe eingeführt.

- vom Handel mit Agrarflächen Ausländer weitgehend ausgeschlossen.

- die Sonntagsschliessung der Läden verfügt (die Öffnung war neoliberales Vorzeigeprojekt).

- das Renteneintrittsalter (war von Tusk gemäss EU-Weissbuch auf 67 heraufgesetzt worden) wieder herabgesetzt.

- geht (halbwegs) entschieden gegen den die EU kennzeichnenden gigantischen Steuerbetrug der Konzerne vor.

- hat den Arbeitsmarkt re-reguliert und mit einer relevanten Sozialpolitik begonnen.
usw. usw.

Dass diese Politik in Berlin und Brüssel auf Missfallen trifft, braucht nicht betont zu werden. Und dass die EU-Propaganda sich in der Auseinandersetzung mit Nationalismus und staatsinterventionischer Wirtschaftspolitik in der EU-Peripherie sich gern "linker" Journalisten wie Konicz oder dem Junge-Welt-Korrespondenten Lauterbach bedient, darf auch nicht überraschen.

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