Auszug aus dem Buch "Die Globalisierungsfalle" von Hans-Peter Martin
& Harald Schumann, 1996 by Rowohlt Verlag GmbH, ISBN 3-498-04381-1
Weitere Lesenproben:
http://www.irwish.de/Site/Biblio/Markt/Martin.htm
Die Offshore-Anarchie
So hat der Verzicht auf (Grenz-)Kontrollen im Kapitalverkehr eine
verhängnisvolle Eigendynamik in Gang gesetzt, die systematisch die
Souveränität der Nationen aushebelt und längst anarchische Züge
trägt. Staaten verlieren ihre Steuerhoheit, Regierungen werden
erpreßbar, und Polizeibehörden stehen kriminellen Organisationen
machtlos gegenüber, weil sie deren Kapital nicht habhaft werden.
Nichts dokumentiert den staatsfeindlichen Trend des Weltfinanzsystems
drastischer als die Entwicklung der sogenannten
Offshore-Finanzplätze. Von der Karibik über Liechtenstein bis
Singapur sind heute schon an die 100 Standorte über den Erdball
verstreut, von denen aus Banken, Versicherungen und Investmentfonds
das Geld vermögender Kunden verwalten und planmäßig dem Zugriff der
Herkunftsstaaten entziehen. Das Konzept der Hafenbetreiber für
Fluchtkapital ist überall gleich: Sie versprechen niedrige oder gar
keine Besteuerung der Einlagen von Ausländern und stellen jede
Preisgabe der Identität der Kontoinhaber unter Strafe, auch bei
Anfragen staatlicher Behörden.
Marktführer unter den Steuerflucht-Plätzen sind die karibischen
Cayman-Inseln, die zu den sogenannten »dependent territories« der
britischen Krone zählen. Auf dem Haupteiland von gerade mal 14
Quadratkilometern Größe mit 14.000 Einwohnern sind über 500 Banken
registriert. Vertreten ist alles, was in der Geldbranche Rang und
Namen hat, darunter auch die zehn größten deutschen Geldhäuser.
Selbst staatseigene Banken wie die Westdeutsche Landesbank oder die
Hessische Landesbank sind sich nicht zu schade, auf den Cayman-Inseln
Fluchtgelder zu akquirieren. Ihre europäischen Kunden sind für die
Steuerhinterziehung freilich nicht auf die Karibik angewiesen. Den
gleichen Service finden sie ebenso auf den europäischen Kanal-Inseln
Jersey und Guernsey sowie in den Fürstentümern Liechtenstein und
Luxemburg.
Zum neuen Kapitalmagneten unter den euphemistisch als »Oasen«
bezeichneten Zentren der internationalen Steuerkriminalität ist seit
einigen Jahren Gibraltar aufgestiegen. Schon mehr als 100.000 Reiche
haben ihr Vermögen pro forma auf den »Affenfelsen« transferiert.
Berater wie Albert Koch, Inhaber der Firma »Marina Bay Consultants«,
vermitteln von der Einrichtung einer anonymen Briefkastenfirma bis zu
den Papieren für eine Scheinauswanderung alles, was
Steuerhinterzieher brauchen. Mit dem Slogan »Kluge Anleger steuern
jetzt Gibraltar an« wirbt auch die deutsche Commerzbank für die
Steuerflucht in den Süden. Bei den 20 Angestellten ihrer Filiale in
der Main Street der britischen Kronkolonie an der Südspitze Spaniens
sind alle Steuerflüchtlinge willkommen, die mindestens 100.000 Mark
auf einem Festgeldkonto anlegen. Wer eine zinsbringende
Vermögensverwaltung wünscht, muß eine halbe Million Mark mitbringen.
Filialleiter Bernd von Oelffen triumphiert: »Hier gibt es noch ein
echtes Bankgeheimnis.«
Der Schaden, den das Offshore-System anrichtet, ist kaum noch zu
ermessen. Für international organisierte Kriminelle könnte es gar
keinen besseren Nährboden geben. Das Aufspüren ihrer illegal
erworbenen Vermögen ist praktisch unmöglich geworden. Ob und wieviel
Gewinne aus Verbrechen aller Art über die Offshore-Plätze in den
legalen Geldkreislauf eingeschleust werden, läßt sich nicht erfassen.
»Darüber gibt es kein empirisches Material«, gesteht Michael
Findeisen, der beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die
Geldwäsche-Bekämpfung deutscher Behörden koordinieren soll. Die
Schweizer Bundespolizei schätzt, daß allein aus Rußland seit 1990
über 50 Milliarden Dollar aus illegalen Quellen in den Westen
verlagert worden sind. Finanztechnischer Brückenkopf der
verschiedenen Russenmafias ist das Offshore-Zentrum Zypern, wo 300
russische Banken pro forma Filialen unterhalten und Jahresumsätze von
zwölf Milliarden Dollar melden. Diese Banken haben auch Zugang zum
elektronischen Zahlungsverkehr in Deutschland, versichert Findeisen.
Für kriminelles Geld steht entgegen den Versicherungen des deutschen
Innenministers und der Bankenlobby das Tor weit auf. Das gleiche gilt
für Österreich. Auf 200 Milliarden Schilling, umgerechnet rund 19
Milliarden Dollar, schätzen Wiener Sicherheitsexperten das Vermögen
aus dem Umfeld der Mafia, das bei Banken der Alpenrepublik angelegt
wurde.
Die Gefahr der Unterwanderung durch multinationale
Verbrecher-Organisationen verblaßt jedoch vor den verheerenden
Verlusten, die die legal organisierte Kapitalflucht den staatlichen
Kassen zufügt. Über 200 Milliarden Mark parkten deutsche
Vermögensbesitzer allein bei den Luxemburger Filialen und
Investmentfonds der deutschen Finanzbranche. Damit entgehen dem
Finanzministerium jedes Jahr Einnahmen in zweistelliger
Milliardenhöhe, etwa die Hälfte dessen, was den Steuerzahlern an
Solidarzuschlag abverlangt wird.
DEN GRÖSSTEN TEIL DES FLUCHTGELDES LEGEN DIE FONDSVERWALTER WIEDER IN
DEUTSCHLAND AN, VIELFACH SOGAR IN STAATSANLEIHEN. DAMIT WIRD DER
STAAT SCHULDNER BEI JENEN, DIE IHN UM SEINE STEUERN BETRÜGEN UND
ZAHLT SOGAR DIE ZINSEN, DIE DEN GLÄUBIGERN EIN STEUERFREIES
ZUSATZEINKOMMEN BESCHEREN.
Dabei ist die Luxemburg-Variante nur einer der Kanäle, durch die der
Staatshaushalt zur Ader gelassen wird. Werden alle Fluchtorte
zusammengerechnet, erreicht der Steuerausfall vorsichtig geschätzt an
die 50 Milliarden Mark pro Jahr, annähernd soviel wie die jährliche
Neuverschuldung des Bundes. Für die Gemeinschaft aller Staaten
addieren sich die Verluste zur permanenten finanziellen Katastrophe.
Ausweislich der Statistik des IWF werden insgesamt über 2000
Milliarden Dollar unter der Flagge irgendwelcher Offshore-Zwerge
verwaltet und sind somit dem Zugriff der Staaten entzogen, in denen
das Geld erwirtschaftet wurde. Cayman allein meldet schon seit einem
Jahrzehnt mehr Einlagen von Ausländern als alle Geldinstitute in
Deutschland zusammengenommen.
Und längst nicht alle Fluchtgelder werden erfaßt. Jahr für Jahr weist
die internationale Zahlungsbilanz ein zweistelliges Milliardendefizit
aus. Das heißt, der Abfluß der Gelder wird noch registriert, aber –
statistisch gesehen – kommen sie nirgendwo an, weil viele Banken an
den Offshore-Plätzen nicht einmal für statistische Zwecke Daten
herausgeben. Bereits 1987 bezifferten Experten der OECD und des IWF
den Umfang der Vermögen, die in diesem Schwarzen Loch der
Weltwirtschaft versteckt sind, auf eine weitere Billion Dollar.
Groteskerweise ist all das keineswegs materiell an jene unscheinbaren
politischen Gebilde gebunden, die der Finanzwelt ihre Flaggen zur
Verfügung stellen und deren nationale Souveränität bestenfalls
geborgt ist. Kaum jemand reist tatsächlich mit Koffern voller Bargeld
in die Karibik oder nach Liechtenstein. Dort gibt es auch fast nie
eine Infrastruktur, wie sie zur Verwaltung der Gelder benötigt würde.
Das ist auch gar nicht erforderlich. Ein Briefkasten und ein
Generalvertreter oder Treuhänder genügen. Den Rest besorgen die
Rechner. Denn physisch realisiert sich das Fluchtgeschäft in den
Computernetzen der Banken und Unternehmen. Deren Zentralen befinden
sich zwar auf deutschem, britischem, japanischem oder amerikanischem
Boden. In ihrer Vernetzung deklariert die Geldbranche aber große
Teile ihrer Festplattenspeicher kurzerhand zum exterritorialen
Gebiet.
& Harald Schumann, 1996 by Rowohlt Verlag GmbH, ISBN 3-498-04381-1
Weitere Lesenproben:
http://www.irwish.de/Site/Biblio/Markt/Martin.htm
Die Offshore-Anarchie
So hat der Verzicht auf (Grenz-)Kontrollen im Kapitalverkehr eine
verhängnisvolle Eigendynamik in Gang gesetzt, die systematisch die
Souveränität der Nationen aushebelt und längst anarchische Züge
trägt. Staaten verlieren ihre Steuerhoheit, Regierungen werden
erpreßbar, und Polizeibehörden stehen kriminellen Organisationen
machtlos gegenüber, weil sie deren Kapital nicht habhaft werden.
Nichts dokumentiert den staatsfeindlichen Trend des Weltfinanzsystems
drastischer als die Entwicklung der sogenannten
Offshore-Finanzplätze. Von der Karibik über Liechtenstein bis
Singapur sind heute schon an die 100 Standorte über den Erdball
verstreut, von denen aus Banken, Versicherungen und Investmentfonds
das Geld vermögender Kunden verwalten und planmäßig dem Zugriff der
Herkunftsstaaten entziehen. Das Konzept der Hafenbetreiber für
Fluchtkapital ist überall gleich: Sie versprechen niedrige oder gar
keine Besteuerung der Einlagen von Ausländern und stellen jede
Preisgabe der Identität der Kontoinhaber unter Strafe, auch bei
Anfragen staatlicher Behörden.
Marktführer unter den Steuerflucht-Plätzen sind die karibischen
Cayman-Inseln, die zu den sogenannten »dependent territories« der
britischen Krone zählen. Auf dem Haupteiland von gerade mal 14
Quadratkilometern Größe mit 14.000 Einwohnern sind über 500 Banken
registriert. Vertreten ist alles, was in der Geldbranche Rang und
Namen hat, darunter auch die zehn größten deutschen Geldhäuser.
Selbst staatseigene Banken wie die Westdeutsche Landesbank oder die
Hessische Landesbank sind sich nicht zu schade, auf den Cayman-Inseln
Fluchtgelder zu akquirieren. Ihre europäischen Kunden sind für die
Steuerhinterziehung freilich nicht auf die Karibik angewiesen. Den
gleichen Service finden sie ebenso auf den europäischen Kanal-Inseln
Jersey und Guernsey sowie in den Fürstentümern Liechtenstein und
Luxemburg.
Zum neuen Kapitalmagneten unter den euphemistisch als »Oasen«
bezeichneten Zentren der internationalen Steuerkriminalität ist seit
einigen Jahren Gibraltar aufgestiegen. Schon mehr als 100.000 Reiche
haben ihr Vermögen pro forma auf den »Affenfelsen« transferiert.
Berater wie Albert Koch, Inhaber der Firma »Marina Bay Consultants«,
vermitteln von der Einrichtung einer anonymen Briefkastenfirma bis zu
den Papieren für eine Scheinauswanderung alles, was
Steuerhinterzieher brauchen. Mit dem Slogan »Kluge Anleger steuern
jetzt Gibraltar an« wirbt auch die deutsche Commerzbank für die
Steuerflucht in den Süden. Bei den 20 Angestellten ihrer Filiale in
der Main Street der britischen Kronkolonie an der Südspitze Spaniens
sind alle Steuerflüchtlinge willkommen, die mindestens 100.000 Mark
auf einem Festgeldkonto anlegen. Wer eine zinsbringende
Vermögensverwaltung wünscht, muß eine halbe Million Mark mitbringen.
Filialleiter Bernd von Oelffen triumphiert: »Hier gibt es noch ein
echtes Bankgeheimnis.«
Der Schaden, den das Offshore-System anrichtet, ist kaum noch zu
ermessen. Für international organisierte Kriminelle könnte es gar
keinen besseren Nährboden geben. Das Aufspüren ihrer illegal
erworbenen Vermögen ist praktisch unmöglich geworden. Ob und wieviel
Gewinne aus Verbrechen aller Art über die Offshore-Plätze in den
legalen Geldkreislauf eingeschleust werden, läßt sich nicht erfassen.
»Darüber gibt es kein empirisches Material«, gesteht Michael
Findeisen, der beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die
Geldwäsche-Bekämpfung deutscher Behörden koordinieren soll. Die
Schweizer Bundespolizei schätzt, daß allein aus Rußland seit 1990
über 50 Milliarden Dollar aus illegalen Quellen in den Westen
verlagert worden sind. Finanztechnischer Brückenkopf der
verschiedenen Russenmafias ist das Offshore-Zentrum Zypern, wo 300
russische Banken pro forma Filialen unterhalten und Jahresumsätze von
zwölf Milliarden Dollar melden. Diese Banken haben auch Zugang zum
elektronischen Zahlungsverkehr in Deutschland, versichert Findeisen.
Für kriminelles Geld steht entgegen den Versicherungen des deutschen
Innenministers und der Bankenlobby das Tor weit auf. Das gleiche gilt
für Österreich. Auf 200 Milliarden Schilling, umgerechnet rund 19
Milliarden Dollar, schätzen Wiener Sicherheitsexperten das Vermögen
aus dem Umfeld der Mafia, das bei Banken der Alpenrepublik angelegt
wurde.
Die Gefahr der Unterwanderung durch multinationale
Verbrecher-Organisationen verblaßt jedoch vor den verheerenden
Verlusten, die die legal organisierte Kapitalflucht den staatlichen
Kassen zufügt. Über 200 Milliarden Mark parkten deutsche
Vermögensbesitzer allein bei den Luxemburger Filialen und
Investmentfonds der deutschen Finanzbranche. Damit entgehen dem
Finanzministerium jedes Jahr Einnahmen in zweistelliger
Milliardenhöhe, etwa die Hälfte dessen, was den Steuerzahlern an
Solidarzuschlag abverlangt wird.
DEN GRÖSSTEN TEIL DES FLUCHTGELDES LEGEN DIE FONDSVERWALTER WIEDER IN
DEUTSCHLAND AN, VIELFACH SOGAR IN STAATSANLEIHEN. DAMIT WIRD DER
STAAT SCHULDNER BEI JENEN, DIE IHN UM SEINE STEUERN BETRÜGEN UND
ZAHLT SOGAR DIE ZINSEN, DIE DEN GLÄUBIGERN EIN STEUERFREIES
ZUSATZEINKOMMEN BESCHEREN.
Dabei ist die Luxemburg-Variante nur einer der Kanäle, durch die der
Staatshaushalt zur Ader gelassen wird. Werden alle Fluchtorte
zusammengerechnet, erreicht der Steuerausfall vorsichtig geschätzt an
die 50 Milliarden Mark pro Jahr, annähernd soviel wie die jährliche
Neuverschuldung des Bundes. Für die Gemeinschaft aller Staaten
addieren sich die Verluste zur permanenten finanziellen Katastrophe.
Ausweislich der Statistik des IWF werden insgesamt über 2000
Milliarden Dollar unter der Flagge irgendwelcher Offshore-Zwerge
verwaltet und sind somit dem Zugriff der Staaten entzogen, in denen
das Geld erwirtschaftet wurde. Cayman allein meldet schon seit einem
Jahrzehnt mehr Einlagen von Ausländern als alle Geldinstitute in
Deutschland zusammengenommen.
Und längst nicht alle Fluchtgelder werden erfaßt. Jahr für Jahr weist
die internationale Zahlungsbilanz ein zweistelliges Milliardendefizit
aus. Das heißt, der Abfluß der Gelder wird noch registriert, aber –
statistisch gesehen – kommen sie nirgendwo an, weil viele Banken an
den Offshore-Plätzen nicht einmal für statistische Zwecke Daten
herausgeben. Bereits 1987 bezifferten Experten der OECD und des IWF
den Umfang der Vermögen, die in diesem Schwarzen Loch der
Weltwirtschaft versteckt sind, auf eine weitere Billion Dollar.
Groteskerweise ist all das keineswegs materiell an jene unscheinbaren
politischen Gebilde gebunden, die der Finanzwelt ihre Flaggen zur
Verfügung stellen und deren nationale Souveränität bestenfalls
geborgt ist. Kaum jemand reist tatsächlich mit Koffern voller Bargeld
in die Karibik oder nach Liechtenstein. Dort gibt es auch fast nie
eine Infrastruktur, wie sie zur Verwaltung der Gelder benötigt würde.
Das ist auch gar nicht erforderlich. Ein Briefkasten und ein
Generalvertreter oder Treuhänder genügen. Den Rest besorgen die
Rechner. Denn physisch realisiert sich das Fluchtgeschäft in den
Computernetzen der Banken und Unternehmen. Deren Zentralen befinden
sich zwar auf deutschem, britischem, japanischem oder amerikanischem
Boden. In ihrer Vernetzung deklariert die Geldbranche aber große
Teile ihrer Festplattenspeicher kurzerhand zum exterritorialen
Gebiet.