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Avatar von aquadraht
  • aquadraht

mehr als 1000 Beiträge seit 17.11.2000

Ich hatte mich ja zurückgehalten mit kommentieren

Nun doch ein paar Anmerkungen.

Erst einmal danke für die Kommentierung der Kommentare. Übrigens finde ich, dass Sie Lorenzer fehlinterpretieren, und Empirie ist mehr als Beobachtbarkeit. Auch die Mathematik ist in dem Sinn ja eine "Geisteswissenschaft". Das aber am Rande. Unter Dualismus verstehe ich im Übrigen etwas anderes, und ´gerade die KI scheint mir dem kartesischen Dualismus verfallen. Dazu vielleicht weiter unten.

Das Plädoyer für ein shitstormfreies Internet ist etwa so sinnvoll und zielführend wie eines für ein kommerzfreies Internet und so weiter. Man kann gleich ein menschenfreies Internet fordern. Das heisst nicht, dass Pöbelei oder gar strafbare Inhalte ok wären, aber dafür gibt es Gesetze, und in Foren etc. Moderatoren.

Mit emotionalen oder arroganten oder auch einfach unzivilisierten Zeitgenossen muss man klarkommen, notfalls sie ignorieren. Aber die Forderung nach keinen Pseudonymen ist nicht akzeptabel.

Sie ist, so leid es mir tut, recht typisch für einen gesichert verbeamteten Hochschullehrer. Sie waren nie in der Situation etwa eines freiberuflichen technischen Experten mit Anschauungen, die denen seiner Auftraggeber möglicherweise zuwiderliefen und -laufen.

Sie sind dann, im Interesse der Aufrechterhaltung der eigenen Tätigkeit und Reputation, gezwungen, ein eher unauffälliges Profil im Rahmen einer tolerierten Diskursbreite zu pflegen und aufrecht zu erhalten, auch wenn sie damit nicht in vollem Umfange konform gehen. Unternehmen sind keine Demokratien. Und gerade das Internet hat ja Informationen über Personen weltweit und einfach verfügbar gemacht, so wie keine Diktatur oder Tyrannei der Vergangenheit auch nur erträumen konnte.

Und gerade in der heutigen Zeit ist der früher eher bei rechtsgerichteten und rechtsradikalen autoritären Charakteren und Strukturen verbreitete Angriff auf die gesellschaftliche und berufliche Existenz (McCarthyismus) auch im liberalen und "linksliberalen" Mainstream angekommen. Und selbst geringe Abweichungen werden da unnachsichtig verfolgt. Sogar hier in den Foren kann man nicht sicher sein, wegen Anmerkungen zu einem Thema der organischen Chemie nicht als "russischer Troll" attackiert zu werden. Bei einer Bewerbung an einer Hochschule oder auch in einem Unternehmen kann das das Aus bedeuten.

Insofern ist jeder Angriff auf das Recht auf Anonymität und Pseudonymität ein Angriff auf den Kern der Meinungsfreiheit und daher inakzeptabel. Das rechtfertigt kein schlechtes Benehmen, aber damit muss man leben, bei Exzessen bietet die Rechtsordnung genügend Instrumente.

Was nun die KI angeht, sehe ich da einen grundlegenden Fehlschluss. Die informationsverarbeitenden Rechnersysteme sind sozusagen Hardware gewordener kartesischer Geistbegriff im Sinne eines Geist-Körperdualismus. Mit Kognition hat das nicht viel zu tun. Fangen wir an bei der Frage, ob ein Bakterium denkt.

Die Antwort ist zunächst einmal klar nein, aber selbst die Monera unternehmen komplexe Formen der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -weitergabe. Es ist, wie wir auch, ein biologischer Homöostat. Ein Computer, wie komplex auch immer, ist überhaupt kein Homöostat, sondern hundertprozentig abhängig von einer hochkomplexen Infrastruktur. Und wir denken nicht nur mit unserem Zentralnervensystem, nicht einmal nur mit dem zentralen plus autonomen Nervensystem. Viele, wenn nicht die meisten unserer Beschreibungen kognitiver Prozesse sind Analogien körperlicher Vorgänge und Aktivitäten: "begreifen", "durchgehen", "einfallen", "verstehen" und so weiter. Und bei unseren kognitiven Prozessen ist das körperliche, endokrine etc. System alles andere als unbeteiligt.

Der Computer ist für uns so verführerisch, da er "reinen Geist" und "pure Logik" darzustellen scheint. Tatsächlich kann er zum Beispiel die Vielschichtigkeit natürlicher Sprachen eher nicht abbilden. Was unsere Wahrnehmung von Farben, Geräuschen/Tönen, Gerüchen, Luftbewegungen etc. angeht, ist das tief verwurzelt in unserer biologischen Existenz, Antworten unseres neuronalen, endokrinen etc. Systems auf Aussenreize, die einem IT-System "beizubringen" nicht nur nutzlos, sondern eher unmöglich wäre.

Gewiss ist es faszinierend, selbststeuernde "lernende" Systeme zu konstruieren, und hat auch eine grosse Zahl sinnvoller Anwendungen. Man sollte aber die Erwartungen daran ein wenig niedriger hängen.

a^2

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (10.10.2020 14:18).

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