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Avatar von Anja Böttcher

mehr als 1000 Beiträge seit 24.08.2014

Was für ein unbedarftes Schaf!

In den vergangenen zwei Jahren gab es unter den vielen hochkarätigen Beiträgen Markus Klöckners die Vorstellung einer Reihe von Medienwissenschaftlern, die auf der Grundlage unterschiedlicher theoretischer Modelle und durch Erforschung unterschiedlicher Faktoren der Mediatisierung die Vermachtungsstrukturen unserer Medien untersuchen. Diese Beiträge ermöglichten Interessierten, einen differenzierten Überblick über ökonomische, politische und diskursive Mechanismen des Bedingungsgefüges unserer institutionalisierten Öffentlichkeit zu erhalten - und boten eine Reihe weiterführender Literaturangaben an, mit deren Hilfe Leser - nach dem Schneeballsystem - sich weiter in die Materie einarbeiten könnten.

In diesem Interview stellt Florian Osrainik dem sich für investigativ haltenden RT-'Praktikanten' des Neon-Magazins dahingehend eine Reihe kritischer Fragen, dass er die Gewissheit des Interviewten testet, in wiefern dieser davon ausgehen kann, hier als Westjournalist aus der Warte eines überlegenen journalistischen Ethos Urteile zu fällen, die Meta-Ebene wird jedoch in diesem Interview nirgendwo deutlich.

Insgesamt stellt sich der Interviewte als ziemliches Schaf da: Unbeleckt selbst von den kritischen Reflexionen, die durch die Rezeption der Kritik an der "Kulturindustrie" durch Adorno, Horkheimer, Marcuse und Habermas eigentlich zum kritischen Standard jedes Studenten der Geisteswissenschaften über Jahrzehnte gehörte, scheint er selbst die Kritik seines eigenen Berufsverband an der durch Konzernkonzentration und Auflösung fester Arbeitsverträge zugunsten "freier Mitarbeit" eingeschränkten Pressefreiheit nicht zu kennen.

Ideologisch voll im Griff eines Mediendiskurses, der auf mit Russland verbundene Phänomene gar nicht anders gucken kann als durch die vorstrukturierte Brille des Schmittschen Freund-Feind-Schemas, 'entdeckt' er alleine bei RT, dass der in Medien zum Ausdruck kommende Blickwinkel durch die Atmosphäre in Redaktionssitzungen mitbeeinflusst wird - und verortet augerechnet bei der deutschen Welle, deren Direktion in den letzten beiden Jahren mit aggressiven Finanzierungsforderungen an die Bundesregierung mit Begründungen, die den Hochzeiten des Kalten Krieges hätten entstammen können, gewandt hat, den Hort der "Neutralität" - da doch in deren Statuten Neutralität gefordert sei.

Der gute Herr Schlak scheint nicht nur über gar keine medienwissenschaftliche Ausbildung zu verfügen, sondern nicht mitbekommen haben, wie massiv nicht nur die populäre, sondern auch die wissenschaftliche Medienkritik eine Verschlechterung deutscher Medien nachgewiesen hat.

Die zahlreichen Programmbeschwerden, mit denen sich der ÖR spätestens seit 2014 konfrontiert sieht, sind ihm entgangen - darunter auch die von renommierten Mitarbeitern des ÖR - wie etwa Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer (Veröffentlichung regelmäßig auf den Seiten von Ulli Gellermanns "Rationalgalerie"), von aktiven Journalisten wie dem Mitarbeiter des Handelsblatts, Norbert Häring, aber auch die vielen, die durch den Verein "Ständige Publikumskonferenz" auf den Weg kamen.

Hier nur das Beispiel einer umfassenden Beschwerde, auf die ich zwei Wochen meiner Ferien verwandt habe, um dafür zu kämpfen, dass der großartige Wortlaut unserer Staatsverträge für den ÖR irgendwann mal wieder irgendetwas mit der Realität der dortigen Beiträge, auch im Bereich der Außenpolitik, etwas zu tun haben könnte. (Hier kann Herr Schlak auch nachlesen, wie wenig fundiert hiesige Warnungen gegen "russische Propaganda" argumentieren - sich also selbst als Propaganda erweisen.)
https://www.publikumskonferenz.de/forum/viewtopic.php?f=30&t=1678

Schlak scheint nicht zu wissen, dass ein ehemaliger Dokumentarfilmer wie Frieder Wagner keine ÖR-Aufträge mehr erhält, seitdem er zum sensiblen Thema der Verheerungen angegriffener Länder durch die Nuklearmunition von USA und NATO eine Reportage unterbringen konnte. Er scheint auch nicht zu wissen, dass trotz des immer noch vergleichbar hohen Standards der gesetzesmäßig garantierten "äußeren Pressefreiheit" in Deutschland durch die Monopolstellung dezidiert transatlantischer Medienkonzerne wie Springer und Bertelsmann die politische Repression in die ökonomischen Mechanismen gewandert ist - und dass die Mehrzahl seiner Kollegen das auch so empfindet. Nach Befragungen des Deutschen Journalistenverbands (DJV) sehen sich nämlich die Mehrheit der Journalisten nicht mehr frei, zu schreiben, was sie denken, weil 54% eben durch die Stimmung in den Redaktionen einen "Mangel an innerer Pressefreiheit" beklagen.
http://pressefreiheit-in-deutschland.de/online-studie-innere-pressefreiheit-2/

Was also zeigt dieses Interview, als dass es nachweist, dass tragischer Weise hiesige Produzenten antirussischer Propaganda selbst der von ihnen verbreiteten ideologischen Verengung unterliegen? War das nicht vorher schon klar?

Die Kernursache der emotionalisierten Debatte, um den die hysterische Warnung vor 'russischer Propaganda', die selbst Propaganda ist, einen riesigen Mantel des Schweigens hüllt, ist die Tatsache, dass ihre Propaganda unverkennbare KRiEGSPROPAGANDA IST. Und dass für die Bevölkerung FÜHLBAR ist, dass US-Eliten und ihre NATO-Kollegen durch den brutalen Versuch, seit 2013, diesen kriegerischen Modus unter dem Risiko des inneren Zerfalls unserer Gesellschaften den Leuten das Feindbild des bösen Russen in den Kopf zu hämmern, zeigen, dass sie ihren unbedingten hegemonialen Status UM DEN PREIS EINES SCHLACHTFELDS EUROPA führen wollen.

Und die Menschen hier wollen - was für ein Wunder! - nicht das Schlachtvieh für eine kleine westliche ökonomische Elite spielen. Denn zu viele haben die Kriegsgeneration kennengelernt und deren Traumata im Blut. Sie wollen nie wieder ihre Kinder und Städte betrauern für die Großmannssucht von Leuten, die Krieg aus Selbstsucht und Karrierekalkül predigen, selbst aber nicht vorhaben, auf dem Schlachtfeld mit draufzugehen. (Eine Ursula von der Leichen schlägt alarmiert die Werbetrommel, weil sie kein williges Personal für deutsche Kriegsspiele erhält. Von ihren eigenen sieben Kindern jedoch, will kein einziges "neue deutsche Verantwortung" mit seinem Leben bezahlen!)

Deshalb werden sie gegen alles propagandistische Geschrei sich anhören, was das offizielle Russland zu sagen hat. Und sie werden hierbei - wie auch unter den 'transatlantischen Stimmen' - sich Einzelbeiträge anschauen und sie daraufhin durchklopfen, ob sie ihnen zuverlässig oder schräg zu sein scheinen.

Denn dort wie bei unseren gibt es Perlen unter den Säuen, während der Müll das Gros ausmacht.

Machtdiskurse sind auch hier nicht neu, auch wenn die soziale Asymmetrie und die Große Konstellation für eine wahrnehmbare Verengung gesorgt haben. Aber neu ist, dass wie vor 100 und 85 Jahren wieder für einen großen Krieg gegen Russland getrommelt wird - und die Bürger wollen, dass dieses Schmierenstück eine Farce bleibt - und nicht wieder zur Tragödie wird.

Herr Schlak, das Schaf, ist davon unbeleckt. Ein Interview mit ihm nur ein Zeichen dafür, dass von ihm nichts Lesenswertes zu erwarten ist.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.01.2017 10:50).

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