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  • Psychatroniker

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Re: ...reagiert der ÖPNV auf veränderte Arbeitswelt ...gar nicht! Könnte er aber

Oli_H schrieb am 06.09.2021 12:17:

ÖPNV braucht schnell mal einen Planungsvorlauf von 10 bis 20 Jahren.

Genau das macht ihn ja so outdated.

Man braucht ja immer irgendeine Infrastruktur (Schienen, Haltebuchten, Haltestellen, Fahrzeuge, ...), ein Budget, einen Plan, Mitarbeiter usw.

Wie also soll ÖPNV auf diese "veränderte Arbeitswelt" entsprechend schnell reagieren können?

Ich glaube, von "schnell" hat niemand gesprochen. Der Punkt ist: Es hat sich in den letzten 30-50 Jahren nichts getan, außer dass Strecken stillgelegt wurden, die von diesem total unflexiblen ÖPNV nicht mehr rentabel bedient werden konnten. That's it.

Wenn Du auf dem Dorf wohnst und Deine Arbeitsstelle 40km weit entfernt in einer größeren Stadt ist, hast Du nur mir viel Glück noch einen Bus, der um 5 Uhr morgens im Dorf losfährt, über 20 Dörfer mäandernd über zwei Stunden in die Stadt gurkt und dabei noch an jeder Milchkanne anhält. So fährt wirklich niemand mehr damit.
Ein Bahnhof wäre in Gegenrichtung mit ca. 15 Minuten Fahrzeit per Bus erreichbar, aber dann zahlt man zusätzlich noch eine richtig teure Bahn-Fahrkarte. JA, auch als Monatskarte.

Ich bin die Strecke dann also mit dem Auto gefahren: Zwei Leute mitnehmen, unterwegs rauslassen, weiterfahren bis in die City: 35 Minuten. Fahrtkosten geteilt, jeden Tag fährt jemand anderes, nur die letzten 3 km waren immer meine.

Und wenn er reagiert hätte, dann wohl in Richtung "weniger Fahrten, kleine/kürzere Züge/Fahrzeuge" da ja auch weniger Leute den ÖPNV nutzen.

Genau, ist ja unrentabel (s.o.)...

Grundsätzlich mal sehe ich die Idee eines ÖPNV grundsätzlich positiv: es ist vordergründig mal sowohl ökonomischer als auch ökologischer im Vergleich zu "jeder kauft sein KfZ und fährt alles damit selber".
Aber: das eigene KfZ ist eben doch nicht so teuer um auf dessen Vorteile und Komfort verzischten zu müssen.
Insbesondere gibt es einen sehr grossen Spielraum bei der Anschaffung und damit Finanzierung eines eigenen KfZ. Beim ÖPNV kann man nicht viel selber bestimmen - der Preis ist weitgehend gegeben.
Zudem: Sobald ein Haushalt / eine Person ein eigenes KfZ besitzt, ab dann ist ein Teil des Kosten "eh da" (Steuern, Versicherung, Abschreibung durch Alter). Entsprechend darf man für "Zusatzkilometer" wie z.B. ein Wochenendausflug eben nicht die z.B. "70 Cent pro Kilometer" nehmen - sondern eigentlich fast nur Benzinkosten.

Kommt darauf an. Freunde in Hamburg und München haben seit Jahren kein Auto mehr und kommen überall mit Öffis hin. Da ist aber das Angebot entsprechend breit und das wird auch angenommen. Auf dem Land gibt's ganz stumpf nichts. Selbst eine Mittelstadt mit 50.000 Einwohnern lockt heute mit Bussen, die einmal die Stunde fahren, niemanden mehr hinterm Ofen hervor. Kleinere und mittlere Städte in den Verkehrsverbund größerer Städte aufzunehmen, bedeutet aber je nach Bevölkerungsdichte auch, dass so etwas unsinnig werden kann. Da sind wir wieder bei dem durch die Dörfer mäandernden Bus, der Ewigkeiten braucht, bis er endlich da ist. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass komplett kostenlose Öffis mit dieser Vorannahme dauerhaft angenommen würden.

Nein, es muss sich etwas in der Struktur der Öffis ändern. Das Angebot in wirklich großen Großstädten ist meist rund. Je kleiner die Städte werden, desto weniger potentielle Fahrgäste gibt es nunmal und desto seltener fahren Busse. Was man auch nicht vergessen darf: Den Wocheneinkauf mache ich garantiert nicht mit dem Bus, da passen nicht genügend Einkaufswagen rein.
Dabei sind die großen Linienbusse mit 30 Sitz- und 40 Stehplätzen meist gar nicht zielführend, denn die fahren die meiste Zeit nur ihren Fahrer und viel Luft spazieren. Ergo: Kleinere Fahrzeuge können sinnvoller sein, als große.
Dann das Problem des sehr starren Fahrplans: Uber macht etwas ganz Anderes vor. Grobe Fahrtrichtungen sollte man schon anbieten, aber die genaue Route von den Fahrgästen abhängig machen, könnte durchaus hilfreich sein. Dann mietet man sich halt keinen Uber-Fahrer, sondern einen Kleinbus-Sitzplatz in Richtung XY.

Fahrer werden ebenso auf Rufbereitschaft bezahlt, dass sie mit ihrem Wagen in der Nähe der Haupt-Windrichtung warten und sich die Einsätze sinnvoll teilen können. Aber bei Mini-Bussen mit wenigen Fahrgästen braucht man nicht unbedingt einen Busführerschein, da reicht ein Personenbeförderungsschein. Und Schwupps kommt das Taxigewerbe vielleicht mit ins Spiel... Die Fahrt geht in zwei unterschiedliche Richtungen weiter? An einem bestimmten Punkt wartet ein weiterer Kleinbus und nimmt die Fahrgäste in Richtung A auf, der andere fährt in Richtung B weiter. Wenn die Minibusse autonom fahren, wird's noch einmal eine ganz andere Hausnummer.

Wer weitere Strecken fahren will, wird vom Fahrer zu einem Bahnhof gebracht... Ja, nur bei der Bahn sind die Strecken so voll, dass ein flexibles Konzept nicht greifen würde. Die Chance, Personen- und Güterverkehr auf unterschiedliche Trassen zu verteilen, die sich technisch nicht ins Gehege kommen können, hat man mit dem Transrapid verrosten lassen. Güterzüge sind lang und fahren mit 80-120 km/h, Personenzüge sind kurz und fahren bis 250 km/h. Auf denselben Strecken. Das muss doch knirschen! Kein Wunder, dass die Fahrpläne nicht einhaltbar sind und immer mehr Container und Fahrgäste einzeln über die Straße gegurkt werden.

Ach ja, Tarifstrukturen: Bei so einer flexiblen Variante müsste natürlich auch der Fahrpreis anders berechnet werden. Zum Beispiel nach Entfernung Luftlinie oder Minimalentfernung per Straße oder so. Auf jeden Fall darf der Fahrgast nicht bestraft werden, weil der Fahrer Umwege fahren muss, um einen weiteren Mitfahrer einzusammeln oder abzuliefern. Oder für den Umstieg von Bus auf Bahn. Ich will von einem Vorort von München in einen Vorort von Stuttgart und zahle die einfache Entfernung, aber nicht, dass die Bahnstrecke weiter ist...

Ich will damit nicht behaupten, ich hätte eine tragfähige Lösung. Aber es trägt verschiedene Ideen zusammen, die es so oder in anderer Form schon gegeben hat und die vielleicht gut kombiniert als "SmartBus" besser funktionieren, als die bisherigen völlig unflexiblen Lösungen. Vielleicht würde es aber auch schon helfen, wenn sich die richtigen Leute einfach mal zusammensetzen und überlegen, wie man aus dem Fahrpreis-Chaos, den nicht funktionierenden Fahrplänen, den einerseits leeren, zu anderen Zeiten aber überfüllten Zügen und Bussen, der modernen Zeit mit ihrer Flexibilität und der "Da gibt's 'ne App für"-Mentalität nicht vielleicht doch etwas Vernünftiges zusammendengeln lässt.

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