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  • Mike47

72 Beiträge seit 24.11.2016

Erfahrungen eines Top Rezensenten

Ich bin einer der Top Rezensenten auf der deutschen Amazon Seite. Vor 1,5 Jahren habe ich angefangen mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen da ich in den Vine Club von Amazon wollte und immer noch will.
Nach relativ kurzer Zeit war ich bereits unter den 10.000 ersten Rezensenten. Da bemerkte ich, dass einige eine E-Mail Adresse im Profil angeben. Das tat ich auch. Nach wenigen Tagen bereits kam eine der ersten Anfragen zum Rezensieren von einem Gratis Artikel. Ich nahm natürlich an. Zügig stieg ich in der Liste auf und bekam immer mehr Anfragen. Anfangs noch 1-2 pro Wochentag. Vieles habe ich angenommen und recht ausführlich rezensiert. Als dann mal eine Gurke dabei war die ich mit 2 Sternen bewertet habe reagierte der Hersteller bzw. der Mailkontakt recht gereizt. Kurze Zeit später hatte ich viele negative Bewertungen der Rezension und einige Ränge waren futsch. Ich ließ etwas Gras darüber wachsen und stellte die Rezension neu ein. Dann waren die nicht hilfreich klicks (nhk) weg.
Aufgrund der Erfahrung war ich dann vorsichtiger und bewertete auch tendenziell besser. Da ich mittlerweile in den Top 1000 war, nahmen die Anfragen auch deutlich zu. Irgendwann habe ich aufgegeben und viel zu viele Artikel angenommen. Eine regelrechte Sucht. Die Tests waren immer schwammiger und meist gab es einfach 5 Sterne und einen generischen Text dazu. Daraunter hatte ich aber auch immer wieder einige (nicht „gesponsorte“) Rezensionen bei denen ich mir große Mühe gab und die gut ankamen. Kurz vor dem Sprung in die Top 500 ging das Hauen und Stechen los. Taktisch platzierte nhk kamen in großen Mengen hinein. Taktisch bedeutet, dass die nhk auf Rezensionen abgegeben werden, die schon viele hilfreich klicks (hk) haben, bei denen es sich also nicht lohnt, diese neu einzustellen. Eine Rezension die 0 von 3 hat kann man ja einfach löschen und neu einstellen. So entsorgt man übrigens auch unliebsame Kommentare.
Trotz der Widrigkeiten war ich bald in weit in den Top 500 und kam schon Richtung Top 100 nach grade mal einem halben Jahr intensivem Rezensierens. Die Anfragen waren schon bei einigen pro Tag und mittlerweile kaum mehr überschaubar.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich mich zu einer Hure der Anbieter gemacht hatte und zum Jubelperserrezensenten. Aus der (bescheuerten) Angst heraus man bekomme nichts mehr bewertete ich positiver als es nötig gewesen wäre.
Da zog ich die Reißleine und habe erstmal nichts angenommen. Nachdem ich mich gesammelt hatte und ein paar Rezensionen die mir am Herzen lagen geschrieben hatte die wieder sehr gut ankamen war ich dann in den Top 50. Die Top 100 hatte ich innerhalb von ein paar Tagen durchflogen. Dann kamen auch die langersehnten hochwertigen Artikel und ich konnte mir aussuchen was ich rezensieren wollte. Die schiere macht des hohen Rangplatzes machte mich selbstsicher auch wieder ernsthaft und ehrlich zu bewerten denn fliege ich beim einen raus kommt sowieso der nächste der was anbietet.
Zwar gab es noch Phasen in denen ich zu viel kram angenommen habe aber wenn das eben auch Mist war dann auch dementsprechend bewertet. Nhk sind irgendwann nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein wenn man tausende hk hat. Den Rang beeinflusst das sowieso nur sehr undurchschaubar. Der Algorithmus hinter dem Rezensenten Rang ist extrem undurchsichtig. Außerdem ist man irgendwann auf so vielen Mail Listen, dass man sich vor Anfragen nicht mehr retten kann. Täglich trudeln etwa 20-30 Mails für 40-50 Artikel ein.
Was ich in der ganzen Zeit nie wirklich gemacht habe, war das Ganze zu verkaufen. Das meiste was ich nicht brauchte habe ich verschenkt an Freunde und Bekannte sowie für Tombolas die dem guten Zweck dienen. Viel habe ich natürlich auch behalten und nutze es.

Aus der Erfahrung kann ich den Lesern von Rezensionen nur folgendes Raten um sich im Dschungel halbwegs zurechtzufinden:

- 5 Sterne Bewertungen von Top Rezensenten immer kritisch sehen
- Am besten in erster Linie an die 2-4 Sterne Bewertungen halten
- 1 Stern Bewertungen sind oft sinnfrei und Gejammer über defekte Artikel und ähnliches wie Beschreibung nicht korrekt gelesen (heißt nicht dass es keine guten 1 Sterne Bewertungen gibt)
- Produkte die schnell viele gute Bewertungen bekommen kritisch betrachten
- Sich anschauen was die Rezensenten sonst so bewerten

Das sind nur grobe Anhaltspunkte und viele werden sowieso nur auf die Sternzahl schauen ohne groß nachzulesen.

Das Amazon nun die Regeln ändert sehe ich positiv und negativ zugleich. Einerseits gibt es auch viele ehrliche Top Rezensenten die qualitativ hochwertige und wertvolle Rezensionen schreiben.
Rezensionen von „normalen Kunden“ sind oft vollkommen unbrauchbar (Bsp. Kleidung wird oft nicht erwähnt welche Körpergröße / Gewicht jemand hat wenn er sich beschwert, dass die gekaufte Größe nicht passt; Lieferumfang wird nicht erwähnt obwohl unzureichend in Artikelbeschreibung angegeben usw usw.). Natürlich gibt es da auch viele gute aber das Groß sind 2-3 Zeilen die kaum etwas aussagen.
Das positive ist natürlich das viele irreführende Rezensionen (hoffentlich) wegfallen. Manche „Kollegen“ haben teilweise über 10 Rezensionen am Tag rausgehauen. Das da nicht wirklich getestet wird sollte klar sein. Meistens dümpeln solche Exemplare aber eher in den Top 500 / 1000 - wenn überhaupt - herum weil sie natürlich auch tendenziell schlecht bewertet werden.

Ich bin gespannt wie es nun weitergeht. Die Händler und Rezensenten werden ihren Workaround um die neuen Regeln finden. Viele bieten schon jetzt Erstattung per Paypal vorab an. Das hat sogar für den potentiellen Käufer viel mehr Nachteile als bisher weil so erstens verifizierter Kauf dransteht (bei Kauf mit Code nicht) und zweitens kein Disclaimer am Anfang / Ende der Rezension, dass das Produkt kostenlos zur Verfügung gestellt wurde (den auch bisher nicht alle angefügt haben obwohl es so gefordert wurde).

Amazon hat die neuen Regeln derart schwammig formuliert, dass es mir auch so vorkommt, dass hier kein wirklicher Drang danach besteht, das Phänomen nachdrücklich einzudämmen. Aber die Praxis wird zeigen wie es sich auswirkt.
Mich persönlich stört es nicht mehr wirklich, selbst wenn ich nun nichts mehr bekommen sollte. Ich hatte eine Weile meinen Spaß und habe mich mittlerweile sowieso wieder anderem zugewandt. Nur noch wirklich gute Angebote nehme ich an und rezensiere dann dementsprechend detailliert.

Bisher wurde aber von meinen etwa 600 anreizbasierten Bewertungen keine einzige gelöscht. Ich hatte allerdings diese auch immer in der Rezension markiert.

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