Ansicht umschalten
Avatar von fachwurst
  • fachwurst

762 Beiträge seit 23.08.2011

Streckensperrungen..

Vor ein paar Jahren hat man in der Region um meinen Wohnort mit "Lärmaktionsplänen" und allerlei sonstigem Aktionsmus angefangen.
Hunderttausende Euros wurde in Gutachten, Verkehrszählungen und was-weiß-ich nicht alles gesteckt und wenig später ist dann die sog. 30er-Pest ausgebrochen.
Phase I:
So ziemlich jeder Gemeinderat und die ganzen Verwaltungen haben stolz wie Bolle beschlossen und verkündet, wo überall Tempo 30 angeordnet werden soll. Manche Gemeinden waren recht übermütig und haben gleich ganze Ortsdurchfahrten begrenzt, andere haben die Gutachten und Aktionspläne metergenau ausgelegt und grotesk umgesetzt: Auf der Durchfahrtsstrasse 100m Tempo 50, dann 150 m Tempo 30 von 22:00 - 06:00 Uhr, dann wieder 200 m Tempo 50, dann Tempo 30 ganztags, dann Tempo 30 von 08:00 - 17:00 Uhr, dann wieder 50..
Phase II:
Den allermeisten Autofahrern war das anfangs ziemlich wurscht, die sind weiterhin mit 50 rumgegurkt. Dann kamen die ganzen Beschwer-Bärchen daher, die eine Wohnung direkt an der Hauptstrasse 30% unter Marktwert gekauft haben und liefen bei der Verwaltung Sturm, da sich kein Autofahrer an die Tempo 30 halten würde. Wenig später gab es eine Sammelbestellung Blitzkästen und man sich wohl die rentabelsten Standorte ausgesucht und manche Streckenabschnitte geradewegs mit den Blitzkästen zugepflastert.
Nach den ersten Blitzlichtgewittern zeigte das mittelfristig Wirkung. Die Einheimischen wussten schnell, wo die Kisten stehen und die Auswärtigen fingen an, sich an die Beschränkungen zu halten. Mit allerlei Nebeneffekten, vorwiegend LKW mit ausländischen Kennzeichen: Die haben oftmals das Schild "30" gesehen, das "22:00 - 06:00 Uhr" nicht gelesen, verstanden, wahrgenommen und morgens um 8 im Berufsverkehr bei Tempo 27 den Tempomat gedrückt und seelenruhig die 5 Kilometer durch die Ortschaft geschlichen. Ruhig war das allerdings nicht mehr wirklich, denn es hatte sich hinter dem LKW eine Schlange mit Autos gebildet, von denen jeder zweite den LKW-Lenker hupend auf seine Unfähigkeit hinweisen wollte.
Nach einer Weile wurde den Einheimischen und Pendler das zu blöd und man fing an, Ausweichstrecken zu suchen.
Phase III:
Aus eher wenig bis nicht befahrenen Nebenstrecken, für die die Beschreibung "ruhige Wohnlage" noch zutreffend war, wurden dann zu den üblichen Pendelzeiten kleine Rallye- oder Formel-3-Strecken. Der gemeine Autofahrer sah sich mit einem Zeitverlust durch die 30er-Pest konfrontiert, die Nebenstrecke ist aber ein Umweg, der auch etwas mehr Zeit verschlingt - aber immer noch weniger, als die 30er-Strecke - und das kann man durch erhöhtes Tempo kompensieren.
Das hat den Anwohnern dort nun nicht so ganz gepasst. Immerhin hat man den vollen Preis für die Immobilien in "ruhiger Lage" bezahlt und dann liefen die Sturm bei der Verwaltung.
Wenig später wurden die Lärmaktionspläne an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst und die 30er-Pest konnte sich munter weiter ausbreiten. Eine Zeit lang wurden inflationär 30er-Schilder verteilt.
Irgendwann hatten die Einheimischen und Pendler nur noch die Auswahl zwischen Pest und Cholera - der Verkehr auf den Nebenstrecken ging wieder ein wenig zurück.
Was aber bei den ganzen Aktionen nicht so wirklich bedacht wurde: Eine Strasse mit Tempo 50 hat mehr "Kapazität", als bei Tempo 30. Also völlig überraschend wurden aus den Gemeinden und Städten, die sich für 30 ganztags entschieden haben, neue Anschauungsobjekte für die Stauforschung. Es ist faszinierend, was Tempo 30, drei Blitzkästen und eine Fussgängerampel in einer 1.000 m langen Ortsdurchfahrt auf einer stark befahrenen Bundesstraße anrichten können: In Spitzenzeiten bis zu 5 km Stau in beide Richtungen.
Das wurde dann auch den nervenstärksten Einheimischen und Pendlern zu blöd und man nutze bald Feldwege als Ausweichstrecke.
Phase IV:
Auch das hat sich bis zur Verwaltung rumgesprochen. Doch oftmals hätte das Verteilen von 30er-Schildern bei den Strecken keinen weiteren Effekt gehabt, da man dort eh kaum schneller als 30 fahren kann. Für den gemeinen Autofahrer ist ein wenig Bewegung aber immer noch besser, als im Stau zu stehen.
Dann hat man damit angefangen, Fahrverbotsschilder zu verteilen und diese Feldwege oder Gemeindeverbindungsstrassen für den Verkehr zu sperren. Aber auch das war den meisten Autofahren recht herzlich, nach einer Handvoll Ortsdurchfahrten mit Tempo 27 und einer halben Stunde Stau, da liegen die Nerven blank. So werden viele Schilder lediglich zu Empfehlungen.
Phase V:
Mittlerweile ist man nun dazu übergegangen und baut Schranken oder Poller auf, mit denen man auf diesen kleinen Ausweichstrecken den Verkehr verhindern will. Was dann zwar gelingt, aber der Stau dafür wieder länger wird..

Gut, es ist jetzt nicht so ganz vergleichbar - ich vermute jedoch, dass sich genau die gleichen Effekte einstellen, wenn man einzelne Strassen für Diesel-Fahrzeuge sperrt. Die suchen sich dann irgendwelche Ausweichstrecken, auf denen dann die Grenzwerte überschritten werden oder die Anwohner Sturm laufen. Dann wird sich das genau so hochschaukeln und neben Schildern mit Tempo 30, Parkzonen, Umweltzonen werden nochmal zig Schilder mit Dieselfahrverboten aufgestellt. Aber: Das kann nicht die Lösung für die Problematik sein.
Es ist jetzt auch nicht ganz neu, dass sich die Verkehrsströme so entwickeln, wenn man einzelne Verkehrsabschnitte so beschränkt und damit die Probleme nicht löst, sondern nur verschiebt.

Vielleicht sollten Juristen und Politiker mal wieder in der Lebensrealität ankommen.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten