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  • Chrisbinich

mehr als 1000 Beiträge seit 13.07.2000

Apple ist Image, Microsoft nicht.

Gestern in der U-Bahn:

Eine ~17-Jährige <Gina> (hier setzt jeder einen eigenen
Lieblingsbegriff für ein aufgedackeltes Mädel, das selbst den
krassesten Trend-Look-Figuren in SecondLife Konkurrenz macht) steht
in Laufstegpose mitten im Zug und hält ihr iPhone waagrecht
(Display-Normale nach oben) wie ein Frühstückstablett auf ihren drei
in die Höhe gestreckten Fingern (Daumen, Zeige- und Mittelfinger) die
gesamte Fahrzeit vor ihrem Gesicht und hört sich konzentriert
irgendwas an.
Anfangs dachte ich, das wäre eine der typischen
"guck-mal-her-bind-ich-toll!"-Posen, bis ich nach paar Minuten
verstand, dass ihr das Geschehen um sie herum offensichtlich völlig
egal war. Weder die neidischen Blicke der Viertklässler noch die
rollenden Augen der etwa Gleichaltrigen, noch das gelangweilte
Schmunzeln der Erwachsenen schien von Bedeutung zu sein.

Bei aller Kritik muss man es dem Konzern zugestehen, dass er schon
fast eine Art religiöse Verehrung um seine Produkte schafft - genau
das, wovon alle Geschäftsleiter ohne Ausnahme nachts träumen: Die
Leute sollen ihre Produkte nicht nur brauchen oder gut finden,
sondern geradezu lieben.

Warum Microsoft glaubte, hier ein Rennen machen zu wollen, habe ich
damals nicht verstanden und das heute ist imho nur eine logische
Konsequenz.

Wer Apple auf diesem Gebiet Stirn bieten will, muss zunächst ein
Image schaffen und das macht man nicht mit dem eigenen Namen eines
konservativen Milliardenkonzerns, auf dessen Händen der Gestank von
Bluescreens, klobigen Billiggehäusen, Treiberdisketten unzähligen
Neustarts und Bürosoftware klebt, die ausgerechnet genauso sexy und
aufregend sind, wie das PC-Kerlchen in der wohl bekannten
Apple-PC-Mac-Werbung.

Wer sich die Werbestrategie von Apples Consumer-Gadgets gibt, wird
erkennen, dass der Name "Apple", falls überhaupt vorhanden, kaum
wahrnehmbar ist. Auch so was wie Hardware-Kennzahlen (Hz-Zahlen,
Gigabytes, Megapixel) oder Softwarebestandteile (OS) muss man selbst
im Apple-Shop richtig suchen.
Selbst die einzelnen Marken-Namen sind im Verhältnis zu anderen
Herstellern eher unterrepräsentiert: mit einem einzigen und simplen
"Hi! I´m Mac!" muss der Spot auskommen und schafft es auch.

Ein obligatorischer Auto-Vergleich: Während Microsoft für den Motor,
Ventile, Präzisionsschaltung, optimale Zündung, neuartige
Servolenkung und robusten Hochglanzlack aus einer etablierten
Schmiede steht, steht Apple für geilen Look, Freude am Fahren, Rausch
im Vollgas und Schmetterlinge im Bauch in den Kurven und ein
Victoria´s-Secret-Modell auf dem Beifahrersitz aus einem innovativen
Startup ;).

Ob die beiden Versprechen gehalten werden, muss sich jeder Betroffene
selbst beantworten, das erste zieht aber eher nicht, das zweite eher
schon.
War schon bei der Levi´s-Kampagne in den 90-ern nicht anders. Auch da
stand Coolness im Vordergrund und die Marke erkannte man bereits am
Stil des Werbe-Spots lange bevor das Logo letztendlich auf dem
Bildschirm auftauchte.

Microsoft ist auf vielen Gebieten effektiv und effizient, aber
definitiv NICHT COOL. Apple bringt zwar (ich spreche jetzt nur für
mich) nicht die von mir gewünschte Flexibilität und Qualität, macht
aber in den kleinen Dingen des digitalen Alltags den meisten
offensichtlich viel Spaß.

Microsoft könnte sich vielleicht irgendeine kleine unbekannte Firma
in Schweden schnappen (Schweden ist in der US-amerikanischen
Durchschnitts-Öffentlichkeit als modernes, demokratisch regiertes
europäisches Land bekannt, wo ohnehin schon coole Designer-Möbel
herkommen) und damit ohne großen Bezug zu sich selbst und ohne
Blamagegefahr ein stylisches Konzept etablieren. Dass der Konzern es
kann, hat er mit der XBox und Kinect bewiesen. Und wenn sie es
irgendwie schaffen, den Windows Media Player NICHT drauf laufen zu
lassen, dann stehen die Aktien meiner Meinung nach richtig gut :)

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