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  • Cybso

mehr als 1000 Beiträge seit 13.06.2007

FT: Datenschutz als "riesiges Problem" bei der Bundesregierung

Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert hat
den Bundesbehörden zahlreiche Verstöße gegen das informationelle
Selbstbestimmungsrecht vorgeworfen. "Wir sollten tätig werden",
kündigte der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz
(ULD) in Kiel am Donnerstag auf dem Jahreskongress des SuMa-Vereins
in Berlin an. Als bedenklich bezeichnete Weichert dabei nicht nur die
lange Vorhaltung von Verbindungsdaten oder intensive Befragungen etwa
in bei der Bundesargentur für Arbeit. Darüber hinaus würden in den
Ämtern auch bestehende Widerspruchsrechte bei der Datenverarbeitung
sowie Auskunftspflichten über gespeicherte Informationen nicht
angemessen erfüllt. 

Datenschutzbelange sieht Weichert bei den Wegweisern durch den
Internet-Dschungel an allen Ecken und Enden berührt. Schon allein bei
deren ganz normaler Nutzung hinterlasse der Suchende seine IP-Adresse
und eine Vielzahl weiterer Informationsspuren. Daraus lasse sich ein
Interessensprofil mit sehr hoher Aussagekraft über eine Person
erstellen. "Wenn ich mich für bestimmte islamistische Betätigungen
interessiere, kann das schnell zu einem Ermittlungsverfahren oder gar
zu einer Verhaftung führen", brachte der Datenschützer ein Beispiel.
Die Gefahr steigere sich, wenn zusätzliche Informationen aus
zugehörigen Angeboten verwendet würden. Dies sei gerade bei Schäuble
ein "riesiges Problem", da der Innenminister zahlreiche Zusatzdienste
wie Stasi 2.0, Bundestrojaner, Kameraüberwachung, Autobahnnaut oder
Vorratsdatenspeicherung offeriere. 

"Hier kann auch ein Kommunikations-, Bewegungs- oder Berufsprofil
erstellt werden", warnte Weichert. Dass Informationen bei der Polizei
über verschiedene Dienststellen hinweg zusammengeführt und "auf jeden
Fall für die präventive Strafverfolgung verwendet" werden, daraus
mache die Bundesregierung auch kein Hehl. Betont werde aber zugleich,
dass die Profilerstellung auf Basis von lebenslangen Steuernummern
erfolge. Die von der EU-Kommission momentan rechtlich untersuchte und
von Daten- und Verbraucherschützern kritisierte
Vorratsdatenspeicherung könnte hier aber eine zusätzliche hohe
datenschutzrechtliche Brisanz entfalten. Auf diesem Weg könnten
nämlich klare personenbezogene Zusammenhänge auch bei der
Bundespolizei einfach hergestellt werden. 

Allgemein sind laut Weichert nicht allein bei Internetzugängen das
informationelle Selbstbestimmungsrecht und weitergehende
Persönlichkeitsrechte der Nutzer betroffen. Einschränkungen seien nur
im Allgemeininteresse vorgesehen. Es sei aber fraglich, ob
"Neugierde" dieses Kriterium erfülle. Das Recht hält der ULD-Chef für
anwendbar, zumal viele Server ihren Sitz in den USA haben. Zu
berücksichtigen sei nämlich auch der Ort der Datenerhebung, die
hierzulande erfolge: "Damit haben wir als Datenschützer unseren Fuß
in der Tür." 

Konkret hat Weichert Regelungsgrundlagen in dem noch größtenteils
unerschlossenen Gebiet des Grundgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland gefunden. Von personenbezogenen Daten im Sinne dieser
Normen sei auszugehen, da "eine Bestimmbarkeit etwa über ein Cookie
oder eine IP-Adresse zu haben ist". Eine terroristische
Vorbereitungstat" im Sinne des StGb liege vor, da wenn harmlose
Informationen über ausländische (insbesondere islamistische)
Organisationen oder über chemische Elemente recherchiert werden.
Nutzer solcher Dienste dürfen deshalb präventiv verfolgt werden, wenn
der Betroffene nach gründlicher Information durch die
Datenzusammenführung wie ein potentieller Gefährder erscheine. Schon
bei der Aufklärung der Menschen über Abhörmaßnahmen wittert Weichert
einen "definitiven Verstoß" gegen das Grundgesetz, da diese faktisch
nicht erfolge. 

Für zu lang hält der Datenschützer auch die Aufbewahrungsfristen von
Verbindungsdaten der großen Anbieter, wo die EU eine Frist von 6,
Schäuble und Zypries eine von 24 Monaten haben wollen. Diese
Speicherspanne hält Weichert noch "nicht für datenschutzkonform".
Darüber hinaus haben die Surfer ihm zufolge sowohl nach Grundgesetz
als auch nach BDSG Anspruch auf umfangreiche Auskunftspflichten über
die vorgehaltenen Daten. Der Datenschützer empfahl daher Nutzern mit
statischer IP-Adresse etwa die Nutzung von Anonymisierungsdiensten.
Das Hauptproblem sei zudem das Recht der Anwender auf die Korrektur
falscher oder unerwünschter Informationen. So habe es mehrere Wochen
gebraucht, um einen Mann aus der Untersuchungshaft zu bekommen, der
im Internet nach "ungewöhnlichen Begriffen" recherchierte. Hier
sollte stärker "ein Vergessen des Internet im Interesse des
Datenschutzes gewährleistet werden". 

Eine daran anknüpfende Frage sei, inwieweit beispielsweise bei der
Veröffentlichung von Daten oder Bildern über eine Person durch die
Bundesbehörden und eine nachfolgende Indexierung dieser Informationen
auf "Anti-Terror-Listen" eine Einwilligung gemäß BDSG nach
"informierter Erklärung" gegeben sei. Hier müsse eine Abwägung
vorgenommen werden zwischen "berechtigter Sicherheit und
Datenschutz". Vor allem bei der elektronischen Gesundheitskarte rund
um den Austausch persönlicher Dinge oder gar Krankheiten bestehe auch
hier wieder ein Widerspruchsrecht. Derlei Fragen und Lösungsansätze
wie etwa automatische Auskunftssysteme über gespeicherte
Informationen zu biometrischen Daten und IP-Adressen müssen laut
Weichert dringend stärker diskutiert werden.

-- 
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