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  • Kaept'n Nuss

421 Beiträge seit 18.01.2003

Re: PIN-Nummer für Notfälle

schrieb schrieb am 13. März 2003 11:55

> Ich behaupte nicht, dass gerade die Ärzte die Kostentreiber sind
> (laut Statistik sinds die Pharamindustrie und die Krankenhäuser)
nett, "Krankenhäuser" und Ärzte zu trennen; Ärzte haben in der Tat
immer weniger zu bestimmen, was in den Krankenhäusern passiert.

> muss die Ärzteschaft sich nicht auch an die eigene Nase fassen, weil

> 1. Die Ärztekammer selbst die Geldverteilung festlegt und darin
> bestimmte Gruppen bevorzugt sind (Gerätemediziner)?
>
So ganz einfacht ist es nicht: 
Teilweise stimmte es früher, wobei allgemein technische Leistungen
bevorzugt wurden; das gilt/galt dann nicht nur für bestimmte
Spezialisierungen sondern insgesamt auch z. B. für Internisten, die
Ultrschall durchführen etc.. Teilweise ist es sogar so, daß
Nichtinersterlinie-Gerätemediziner mehr kriegen, z. B. bekommen aus
unerfindlichen Gründen Gynäkologen mehr für eine Mammographie als
Radiologen. 

Auf der anderen Seite kann eine frühzeitige technische Untersuchung,
auch wenn sie teuer ist, schnell klären, wo es lang geht, und dadurch
vielleicht eine Behandlung abkürzen oder teure Folgekosten durch
Verschleppung der Krankheit vermeiden, so daß man aufpassen muß,
nicht am falschen Ende zu sparen.
Was nun angemessen ist, ist oft nicht ganz leicht zu entscheiden,
immerhin müssen ja auch teure Geräte vorgehalten werden, die auch bei
seltenerem Gebrauch Kosten verursachen. Durch häufigen Gebrauch wird
zudem teure Hochtechnologie langsam billiger Standard, und auch dem
Laien erschließt sich oft erst später der Wert einer technischen
Untersuchung. Z. B. war  in den '70gern die damals neue
Computertomographie der Inbegriff des teuren, überflüssigen
Schnickschnacks (für die Gesundheitspolitiker und Krankenkassen,
nicht für die Ärzte, die sie enthusiastisch eingesetzt haben), jetzt
ist es nicht mehr wegzudenkender Alltag und kostet so wenig, das sich
kaum noch der Film rechnet.
Das Lieblingsbeispiel derer, die die hohen Einkommen der Ärzte
anprangern, der Radiologe, ist zudem oft eher mittelständischer
Unternehmer mit hohen laufenden Gerätekosten, teils erheblichen
Baukosten für seine Praxis (Strahlenschutz) und beschäftigt oft viel
Assistenzpersonal. Insofern muß man fragen, ob ein dadurch erhöhtes
wirtschaftliches Risiko und der höhere Umsatz nicht auch ein höheres
Einkommen rechtfertigen als es z. B. ein Allgemeinarzt mit 1 1/2
Sprechstundenhilfen, einem Aktenschrank und seinem Stethoskop hat.
Generell ist aber auch die Bezahlung technischer Leistungen ins
bodenlose gesunken: Für eine Ultraschalluntersuchung z. B. gibt es
nur ca. 10-20 Euro. Dafür kann keiner ein zeitgemäßes Gerät für min.
50k € anschaffen, und dann 30-45 Minuten untersuchen, wie es manchmal
nötig ist. Daher erstellen so viele, die es nicht können, pfuschige
Befunde mit veralteten Geräten, gibt ja das gleiche Geld dafür. Und
die es können, machen es oft nicht mehr, weil sie bei solch einem
Pfusch nicht mitmachen wollen. Es werden also viele, kurze, schlechte
Untersuchungen gemacht, mit der Konsequenz, daß der Punktwert weiter
fällt und es noch weniger Kohle für die Untersuchung gibt. Und
außerdem mit der Folge, das wegen "verdächtiger Ultraschallbefunde"
jede Menge unnütze Kernspin- und CT-Untersuchungen angeordnet
werden...

Was außerdem kaum einem klar ist: viele Leistungen dürfen nur einmal
im Quartal abgerechnet werden, und das gilt auch für teure
Geräteuntersuchungen: Wenn z. B. bei jemandem ein CT des Brustkorbs
angefertigt wird, und im gleichen Quartal eins des Bauches, dann muß
der Arzt das zweite umsonst! machen, so unglaublich das klingt.
Das ist für manche kein großes Problem; andere aber, die z. B. viele
Tumorpatienten überwiesen bekommen, bei denen kurzfristige
Verlaufuntersuchungen nötig sind, müssen dann häufig aufwendige
Sachen für lau durchführen und kommen in wirklich ernste finanzielle
Schwierigkeiten.
Wenn dann verständnisvolle, zuweisende Ärzten solche Patienten zur 2.
Untersuchung zu einem anderen Arzt schicken, der dann dafür normal
abrechnen kann (oder der Radiologe sagt: "dieses Quartal habe ich
keinen Termin mehr frei, gehen sie mal woanders hin"), dann ist das
die von den Kassen gerne so genannte "betrügerische Ringüberweisung",
bei der die Ärzte sich gegenseitig die Patienten "zuschieben".

> 2. Die Ärzteschaft genauso wie die Politik die Alarmsignale
> (steigende Arbeitslosigkeit, ungünstige Demographie) verschlafen hat
> und statt ein alternatives System zur Gesundheitsfinanzierung zu
> suchen (z.B. Steuerfinanziertes Sozialsystem, mit Grundanteil und
> Eigenvorsorgeanteil) beim Verteilungskampf gegen andere
> Interessengruppen mitgemacht hat und Pfründe zu sichern?

Die Gesellschaft muß nun einmal die Entscheidung, wie das
Gesundheitswesen finanziert werden soll, und was es ihr wert ist,
selbst treffen.  Es gibt sicherlich Möglichkeiten, die Qualität zu
verbessern, aber Geld wird das nicht einsparen.
Wenn die Ärzteschaft sich dazu äußert, findet das kein, oder nicht
das angemessene Echo. Ärzte rücken nur in den Medienfokus, wenn es um
Abrechnungsbetrug, Behandlungsfehler oder Brustvergrößerungen geht.
Wenn gesagt wurde, daß es mit der Finanzierung so nicht weitergeht,
hieß es "die Ärztelobby will nur mehr Geld".
Die Ärzteschaft hat z.B. schon lange darauf aufmerksam gemacht, daß
der Anteil der Kosten des Gesundheitssystems am BIP seit den 70gern
nicht gestiegen ist, sondern sich nur der Anteil der
Arbeitnehmereinkommen am BIP seither drastisch verringert hat. Klang
wohl zu sehr nach Kommunismus, als das es jemand hätte hören wollen.
 Vielleicht ist das noch in Erinnerung: da hatte vor Jahren der
Vorsitzende der Bundesärztekammer gefragt, ob, bei zunehmender
Mittelknappheit, Leistungseinschränkung und steigendem Alter der
Bevölkerung, für das "sozialverträgliche Frühableben" zu sorgen etwa
die zukünftige Rolle der Ärzteschaft sein solle. Es wurde dann der,
der nur den Zynismus anderer beim Namen nannte, selbst als Zyniker
hingestellt; er mußte dann zurücktreten, und schon konnten alle ruhig
weiterschlafen.

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