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  • PremKavi

mehr als 1000 Beiträge seit 16.08.2006

chinesische Zensur durch die Hintertür

Ich habe selten so etwas schwammiges und realitätsfremdes gelesen,
wie die Forderung des EU Parlamentes, rechtmäßige Inhalte von
Provider fördern zu lassen.

Anscheinend ist den meisten Parlamentariern im EU-Parlament das Wesen
des Internets ebenso fremd wie unseren Politikern. Den meisten von
Ihnen werden die Äußerungen unserer Justizministerin und unseres
Forschungs und Technologieministers zu den Fragen der Kinderreporter
des ZDF bekannt sein. Beschämende Antworten angesichts eines
inzwischen 13 Jahre alten World Wide Web und der zunehmenden
Wichtigkeit des Internets an sich.

Das Internet ist nichts anderes als die Datenautobahn, auf der Daten
zwischen Computern weltweit ausgetauscht werden. Der Internetprovider
vermittelt seinen Kunden den Zugang zu dieser Datenautobahn. Die
Datenautobahn selbst transportiert lediglich Daten. Anfragen eines
Kunden an einen Webserver, Up- und Download aus dem Usenet, E-Mails
oder der Datenverkehr zwischen den Teilnehmern einer Filesharing
Börse.

Das Ansinnen der EU Parlamentarier wäre vergleichbar einem Ansinnen
an die Post oder einen Paketdienst, den Versand rechtmäßiger Inhalte
zu fördern.

Natürlich kommt man nicht auf die Idee, denn das würde von der Post
oder einem Paketdienst verlangen, jedes einzelne Paket und jeden
einzelnen Brief zu öffnen und kontrollieren. Abgesehen von der
personellen Überforderung wäre es ein eklatanter Verstoß gegen den
Datenschutz und das Post und Fernmeldegeheimnis.

Von den meisten Politikern hat noch niemand begriffen, dass jeder
kontrollierende und filternde Eingriff in die Datenautobahn nichts
anderes wäre, als das Öffnen und kontrollieren von Briefen durch die
Post. Schlimm genug, dass Beamte des Bundeskriminalamts Briefe an
Zeitungen öffnen. Schlimm genug, dass die trotz offizieller
Wirtschaftsform Aktiengesellschaft immer noch staatliche Post Briefe
an Zeitungen an das BKA weiterleitet zum öffnen.

Von diesen fragwürdigen Eingriffen in den Briefverkehr abgesehen ist
der Inhalt von Brief und Paketsendungen lediglich dem Absender und
später dem Empfänger bekannt. Eines der Grundprobleme des Internets
ist der offene, für jeden, der über die technischen Mittel verfügt,
nach verfolgbare Verkehr im Internet. Natürlich könnten die
Internetprovider den gesamten Internetverkehr ihrer Kunden
protokollieren und die Protokolle speichern. Mit der Vorrats
Datenspeicherung werden die Internetprovider bereits in diese
Richtung verpflichtet. Google macht mit seinen diversen Diensten
schon längst vor, dass man die Dienste auch zur Bildung von
Persönlichkeitsprofilen missbrauchen kann. Man schweigt sich bei
Google zwar darüber aus, warum beispielsweise sämtliche E-Mails, die
über Googlemail versendet und empfangen werden, gescannt und in einer
Datenbank abgespeichert werden, warum Google für jede Suchanfrage ein
Cookie setzt und Ähnliches mehr, doch die Absicht dürfte ziemlich
klar sein.

Gerade weil das Internet eine offene Datenautobahn ist, müssten die
Internetprovider zu einem besonderen Schutz ihrer Kunden verpflichtet
werden. Es geht den Betreiber der Autobahn einfach nichts an, was auf
der Autobahn stattfindet, solange nicht durch bestimmte Aktivitäten
die Autobahn an sich behindert oder gefährdet wird. Man stelle sich
einfach mal vor, dass an jeder Einfahrt und Ausfahrt einer
Bundesautobahn jemand steht, der jedes einzelne Fahrzeug anhält, halb
auseinander nimmt und durchsucht, Fahrer und Mitfahrer durchsucht und
Einfahrt in die Autobahn erst gestattet, wenn die Überprüfung
keinerlei Verdachtsmomente darüber ergeben hat, ob die Inhalte des
Autos "rechtmäßig oder schädlich" sind.

Doch von den Internet Providern als Betreibern von Auffahrten zur
Datenautobahn scheint man entsprechendes zu erwarten. Ähnliches
erwartet man im deutschen Recht auch von den Betreibern von
Auffahrten zum ältesten privaten Computer Netzwerk, dem Usenet. Da
gibt es tatsächlich Gerichtsurteile, die einen Usenet Provider
verpflichten, dass ein bestimmtes Stück, beispielsweise von der Band
Tokio Hotel über seine Server nicht mehr im Usenet abrufbar sein
darf. Was bleibt so einem Provider anderes übrig, als alle
Nachrichten und Dateien, die die Worte Tokio oder Hotel oder beides
in Kombination enthalten, herauszufiltern. Denn eine manuelle
Kontrolle des Usenet ist schlichtweg unmöglich.

Die Datenautobahn Internet hat durch ihre offene Struktur auch den
Vorteil, dass der Inhaber eines verletzten Rechts ausfindig machen
kann, wer das Recht verletzt hat. Das ist Chance und Risiko der
Datenautobahn zugleich. Denn wenn Ihnen jemand eine CD oder DVD mit
einer Urheberrechtsverletzung im Brief zu sendet, ist das eine
Privatsache zwischen Ihnen und dem Absender. Werden die gleichen
digitalen Dateien über das Internet versendet, soll es plötzlich
keine Privatsache mehr sein. Nur deshalb, weil ein Internet Provider
prinzipiell technisch in der Lage wäre, den gesamten Internetverkehr
zu kontrollieren.

Der Datenaustausch über das Internet wird immer wichtiger und ersetzt
zunehmend auch den Briefverkehr. Die dezentrale Struktur von
Filesharing Netzwerken erlaubt ohne große Kosten die Verbreitung auch
große Dateien durch die Netzwerke. Das wird sowohl legal
beispielsweise durch die BBC genutzt, wie auch weniger legal durch
einzelne Nutzer zur Verbreitung von Urheberrechtsverletzungen.
Prinzipiell könnte das Usenet die Verbreitung legaler Dateien sogar
noch besser leisten als Filesharing Börsen. Es wird auch zunehmend
dazu benutzt. Das heißt aber nicht, dass die
Urheberrechtsverletzungen aus dem Usenet verschwinden würden. Es
heißt nur, dass die Chancen des Usenet zur schnellen und
kostengünstigen Verteilung selbst riesiger Dateien, wie
hochauflösende Videos, zunehmend auch legal genutzt werden.

Es liegt letztendlich an den Anbietern legaler Inhalte, ob Usenet und
Filesharing Börsen überwiegend für die Verteilung illegaler oder
legaler Inhalte genutzt werden. Es ist mit Sicherheit nicht die Sache
der der Zugangs Anbieter zur Datenautobahn. Weder zur Datenautobahn
Internet noch zur Datenautobahn Usenet. Zumal beide Datenautobahnen
international sind und somit hinsichtlich der Legalität ihrer Inhalte
lediglich den minimalen Anforderungen genügen müssen, die praktisch
alle Staaten der Welt an legale Inhalte anlegen. Für alles, was es im
Internet gibt, gibt es einen Absender und eine unbekannte Zahl von
Empfängern.

Wer etwas aus dem Internet tilgen will, was seine Rechte verletzt
oder weltweit geächtete Inhalte wie Kinderpornographie verbreitet,
kann sich immer an den Absender dieser Inhalte wenden. Dass derjenige
dazu das Recht des Staates beachten muss, in dem der Absender
lokalisiert wird, versteht sich eigentlich bei einem internationalen
Netzwerk von selbst. Ist ein Inhalt nach dem Recht dieses Staates
legal, dann ist er eben legal und es ist sicher nicht Aufgabe des
Zugangs Anbieters einer Datenautobahn, zu überprüfen, ob die
Milliarden von Angeboten im Internet und Usenet den Rechtsansprüchen
des eigenen Heimatlandes genügen.

Das Usenet bietet eine sehr gute Möglichkeit, unerwünschte Inhalte zu
entfernen. Denn der News-Server, über den ein unerwünschter Inhalt
verbreitet wurde, kann genau diesen Inhalt auch weltweit löschen. Die
amerikanische Musikindustrie macht davon auch Gebrauch und hat allein
im ersten Halbjahr 2007 nur über den größten Usenet Provider der
Welt, Giganews, 88.000 Cancel Messages im Usenet verbreiten lassen.
Die Zahl täuscht allerdings über die Zahl der damit gelöschten Stücke
hinweg, denn im Usenet besteht jede größere Partei aus mehreren
Segmenten. Somit dürften 88.000 Cancel Messages geschätzt etwa 10.000
Musikdateien entsprechen. Näheres zur
Funktionsweise des Usenet auf den beiden Web-Seiten:
> www.usenet-guide.de
und
> http://www.usenet-support.de

Man könnte durch eine verbesserte internationale Zusammenarbeit der
Polizeibehörden und einem zu vereinbarenden Mindeststandard über die
Rechtmäßigkeit von Inhalten des Internets sicherlich sehr schnell die
illegale Nutzung gemäß dem Mindeststandard weltweit auf ein
erträgliches Minimum reduzieren. Denn wie gesagt, der Internetverkehr
an sich ist völlig offen und der Absender leicht zu ermitteln.
Natürlich darf ein solcher Standard nicht nach dem Motto erfolgen:
"am deutschen Wesen soll die Welt genesen."

>Ob Inhalte oder Dienste als "rechtmäßig oder schädlich" eingestuft
>werden, soll den zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten
>überlassen werden.

Doch wenn man versuchen würde, nicht etwa das zu tilgen, was nach den
Vorstellungen des EU Parlamentes den Behörden eines Mitgliedstaates
als nicht rechtmäßig vorkommt, sondern nur das, was nach
internationalen Maßstäben kriminell ist, hätte man die schlimmsten
Auswüchse des Internets schnell im Griff. Die Empfehlung des EU
Parlamentes jedoch deutet auf chinesische Zensur.

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