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  • Abacus77

118 Beiträge seit 27.09.2002

Kommentar eines ehemaligen Nortel-Mitarbeiters

Leute, ich habe fast 10 Jahre für Nortel in der Entwicklung
gearbeitet, bin jetzt aber seit 4 Jahren nicht mehr dabei. Gleichwohl
habe ich weiter verfolgt, wie sich Nortel entwickelt hat.

Es mag einige Leute geben, die Nortel wegen Ärger mit dem ein oder
anderen Produkt die Pest an den Hals wünschen. Aber glaubt mir, das
hat Nortel nicht verdient.

Als ehemaliger Mitarbeiter, der das Siechtum, das bereits Ende 2000
begann, lange hautnah miterlebt hat, finde ich diese Nachricht schon
sehr tragisch. Überlegt mal, in seiner Spitzenzeit Ende der 90er hat
Nortel weltweit beinahe 100.000 Leute beschäftigt. Das ist kein
kleiner Laden, der da langsam vor die Hunde gegangen ist.

Woran liegt's?

Stichwort Management-Fehler. Immer wieder genannt, sicher auch bei
Nortel ein Faktor. Allein der Wahnsinn, dass nordamerikanische
Vorstände teilweise dreistellige Millionensummen "verdient" haben,
hat der Firma Geld entzogen, das es heute gut brauchen könnte. Auch
anderweitig hat man in den guten Zeiten das Geld verbrannt, wo es nur
ging, ohne mal ein bisschen für schlechte Zeiten auf die hohe Kante
zu legen. Das hat sich bitter gerächt.
Aber glaubt mir, das Missmanagement ist in vielen anderen Firmen noch
deutlich größer, und denen geht's trotzdem glänzend. Das weiß ich aus
eigener Erfahrung. Die Management-Fehler allein haben Nortel also
nicht so weit gebracht, da muss ich - ausnahmsweise - mal das
Management in Schutz nehmen.

Stichwort Produkte. Die waren IMHO auch nicht die Ursache. Im
Switching und bei TK-Anlagen war Nortel schon immer gut.
(TDM-Produkte wollte aber plötzlich kaum mehr jemand haben.) Bei VoIP
waren die Produkte im Branchenvergleich zwar auch alles andere als
schlecht (aber verkauft wurde trotzdem deutlich unter Plan).

Stichwort Service. Kann's eigentlich auch nicht sein. Nortel hatte,
zumindest zu meiner aktiven Zeit, eine ausgeprägt kundenorientierte
Haltung. Anders als bei vielen anderen Unternehmen war das nicht nur
Floskel, sondern wurde auch gelebt.

Stichwort Telekommunikations-Markt. Meines Erachtens die
Hauptursache. Wer die Entwicklung um das Jahr 2000 und danach
miterlebt hat, wie der Telekommunikationsmarkt regelrecht in sich
zusammenbrach (und zwar richtig zusammenbrach, d.h. von heute auf
morgen um 50% und mehr zurückging, nicht so wie heute, wo man schon
bei 5% Rückgang von einem Desaster spricht), wird mir sicher
beipflichten. Die daraus resultierende Spirale, bestehend aus
Sparzwang -> Entlassungen -> Reorganisation/Konfusion -> schlechte
Qualität -> ausbleibender Umsatz -> noch mehr Sparzwang, hat Nortel
letztlich das Genick gebrochen.

Schade ... Ich fühle mit den Kollegen, die immer noch dabei sind
(viele kenne ich noch). Ich hoffe, Nortel kann wenigstens noch die
Gehälter so lange weiterzahlen, bis die meisten einen neuen Job haben
(was angesichts der Wirtschaftskrise leider auch nicht so einfach
werden dürfte).
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