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mehr als 1000 Beiträge seit 07.01.2000

Wer hat Angst vorm schwarzen Block?

Erstmal vorweg:

Die Demo in Berlin hat mir insgesamt sehr, sehr gut gefallen. Die
große Zahl der TeilnehmerInnen war phantastisch, und das breite
politische Spektrum (AK Vorrat, Antifa, Linkspartei, Grüne, FDP,
Computerfreaks und Linuxfans, evangelische Telefonseelsorge,
ÄrztInnen, Autonome, Rote Hilfe, JuristInnen und ganz ganz viele
Menschen, die nicht in so einfache Kategorien passen ...) war toll.
Die Redebeiträge sowohl bei den drei Kundgebungen als auch unterwegs
von den Lautsprecherwagen waren vielseitig und (soweit ich sie gehört
habe) überwiegend sehr gut, es gab viele Transparente und Schilder,
viel Musik, gute Stimmung ...

Der linksradikale Block (ich dachte, er hätte sich
"antikapitalistischer Block" genannt, aber egal ...) war von Anfang
an eine große Bereicherung für die Demo. Es waren viele Menschen aus
dem linksradikalen Spektrum da, es wurden sehr gute und inhaltlich
passende Redebeiträge gehalten, es gab TrommlerInnen und Musik
während des Demonstrationszuges, viele Leute trugen gute und
inhaltlich passende Schilder und Transparente. Vermummt war übrigens
kaum jemand, obwohl ich das ja gerade auf einer Demo zum Thema
"staatliche Überwachung" sehr naheliegend gefunden hätte, zumal die
Polizei viel gefilmt hat.

Soweit ich es mitbekommen habe, gingen vom antikapitalistischen Block
während der Demo keinerlei Angriffe auf Menschen (z. B.
PolizistInnen) und auch keinerlei Sachbeschädigungen aus. - Soweit
ich den Heise-Artikel richtig verstanden habe, behauptet auch die
Polizei nichts Gegenteiliges.

.

In vielen Redebeiträgen wurde darauf hingewiesen, dass man um
Menschenrechte nicht nur bitten muss, sondern dass man sie fordern,
erstreiten und erkämpfen muss.

Die Menschen im antikapitalistischen Block haben ihr
Demonstrationsrecht wahrgenommen. Einige haben auch das Recht
wahrgenommen, Seitentransparente von mehr als 150 cm Länge zu tragen.
Einige wenige haben auch das Recht wahrgenommen, sich durch
Vermummung vor staatlicher Überwachung zu schützen.

Für die Polizei bestand zu keinem Zeitpunkt die Notwendigkeit, gegen
den antikapitalistischen Block vorzugehen, um irgendwen oder
irgendwas vor diesem Block zu schützen. Statt dessen hat die Polizei
Kleinigkeiten (zu große Transparente, vereinzelte Vermummte) zum
Vorwand genommen, um den antikapitalistischen Block anzugreifen.

Warum machen die das? M. E. ist das klar: Es geht dem Staat (und in
der Ausführung: der Polizei) darum, die radikale Linke zu isolieren,
zu kriminalisieren und von den anderen Demonstrierenden abzuspalten.

So weit, so schlecht. Und nichts Neues.

.

Aber was mich doch sehr gestört hat, war, dass dieser
Spaltungsversuch teilweise auf ziemlich fruchtbaren Boden gefallen
ist.

In vielen Redebeiträgen wurde darauf hingewiesen, dass der Staat
Feindbilder produziert, um seine Überwachung zu rechtfertigen. Dass
der Staat Feindbilder erzugt, um Angst zu machen.

Da haben viele DemonstrantInnen wohl nicht richtig zugehört oder
nicht richtig mitgedacht, denn mit genau dem Feindbild-Mechanismus,
mit dem Überwachungsmaßnahmen gerechtfertigt werden, wurden auch die
Angriffe auf unsere Demo gerechtfertig. Wie schon gesagt: Vom
antikapitalistischen Block ging nichts besonders Bedrohliches aus, es
wurden keine Steine oder Mollis geworfen, es wurden keine
PolizistInnen verprügelt, es wurden keine Banken oder Polizeiautos in
Brand gesetzt. Trotzdem waren sich viele DemonstrantInnen einig in
ihrer Ablehnung des antikapitalistischen Blocks.

Zahlreiche Polizeimaßnahmen, die einschüchternd auf (mögliche)
DemonstrantInnen gewirkt haben (und ich unterstelle: wirken sollten),
wurden von vielen DemonstrationsteilnehmerInnen für legitim gehalten,
weil es ja einen "schwarzen Block" gegeben hat. (Ich wiederhole mich:
Der mehr oder weniger schwarze Block hat, soweit in Erfahrung zu
bringen war, während der Demo nichts kaputt gemacht und niemanden
angegriffen.)

Da war ich doch ziemlich baff. Eine Demonstration gegen den
Überwachungsstaat, gegen den Präventivstaat, aber polizeiliche
Repressionen werden von vielen für legitim gehalten, nur weil zwei-
oder dreitausend MitdemonstrantInnen in grundsätzlicher Opposition zu
diesem Staat stehen.

"Keinen Bock auf Schwarzen Block" haben ein paar Idioten auf der
Abschlusskundgebung skandiert. Das Monty-Python-Zitat "Spalter!" fiel
mir leider zu spät ein.

Wie blöd muss man eigentlich sein, um für Polizeigewalt als
allererstes die Opfer verantwortlich zu machen?

.

Sehr geärgert habe ich mich über padeluun. Schon zu Beginn der Demo
hat er erzählt, die Polizei wäre nicht gegen uns, sondern im
Gegenteil dazu da, unser Demonstrationsrecht zu schützen. Das ist m.
E. ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die bei Demonstrationen von
der Polizei angegriffen wurden, und das sind verdammt viele. (Und das
müsste er eigentlich auch wissen.)

Das Demonstrationsrecht wurde nicht dank der Polizei, sondern im
Gegenteil gegen die Polizei und gegen den Staat erstritten.

Als er auf der Abschlusskundgebung auch noch versucht hat, zu
verhindern, dass jemand die Position des antikapitalistischen Blocks
vortragen kann, da war für mich das Fass am überlaufen.

Menschen werden von der Polizei angegriffen, weil sie von ihrem
Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Die angegriffene Gruppe
("schwarzer Block") wird massiv stigmatisiert (sowas sollten doch
gerade wir als GegnerInnen staatlicher Überachung einordnen können),
aber zu Wort kommen darf sie nicht.

.

Na klar: Ich hoffe, dass es keine Anti-Überwachungs-Demos mehr geben
muss. Aber um realistisch zu sein: Es wird noch viele Aktionen, Demos
und Veranstaltungen gegen Überwachung geben müssen.

Ich hoffe, dass wir zukünftig mehr Solidarität zeigen. Nicht nur mit
den VertreterInnen von ver.di, von den Parteien oder religiösen
Telefonseelsorgen, sondern auch mit systemoppositionellen
MitstreiterInnen, die eine freiere Gesellschaft anstreben.

Schönen Gruß,
insbesondere an die MitdemonstrantInnen
(und ausdrücklich auch an den einzigen hier namentlich kritisierten:
padeluun)

Holger
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