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  • Schaulustiger

551 Beiträge seit 19.05.2004

Humankapitaloptimierungstoleranzschwelle

Endlich einmal konstruktive Vorschläge von einem Manager, der sich
von ganz unten nach ganz oben gearbeitet hat und daher weiss, wie man
mit Lohnempfängern umzuspringen hat. Bankkauflehre, European Business
School (Schloss Reichartshausen) und danach mehr Sitze in Vorständen,
Aufsichtsräten und Ausschüssen als ein korrupter Kommunalpolitiker in
zwei Leben zusammenschnorren könnte.

Da kommt ihm die glorreiche Idee, daß vielleicht andere
Führungskräfte in ihrem Leben etwas verpasst haben könnten. Zum
Beispiel die Basisarbeit. Demütige Selbsterfahrung in der
Bruderschaft der Führungselite. Warum für teures Geld Managern
Selbstfindungskurse bei selbsternannten Coaching Experten mit Egos
wie durchgeknallte Paviane auf Kokain finanzieren, wenn man doch
selbst hunderte von Aussenstellen der grössten Irrenanstalts
Deutschlands betreibt?

Führungselemente aus ihrer natürlichen Umgebung gerissen stellen für
Mitarbeiter immer zuerst eine Belustigung, dann ein Ärgernis da. Das
ist wie ein Azubi, der zufällig auch noch der Sohn des Chefs ist
("Wir bilden aus!"), der alles besser weiss, nichts richtig macht und
die Schuld gleichmäßig auf das Stammpersonal verteilt. Nur daß dieser
Azubi am Monatsende weiss, wovon er Miete bezahlt und von der
Existenzangst, die mit einer potentiellen Kündigung einhergeht,
ungefähr so betroffen ist wie ein Heisetroll vom Hegelschen
Weltgeist.

Nehmen wir mal Erna Kaluppke, Rentnerin, 85 Jahre, die im T-Punkt
vorbeischaut und - gemäß einem Naturgesetz - den Kopf einer
Menschenschlange darstellt, die nur aus Menschen besteht, die in
ihrer 30-Minuten-Mittagspause schnell mal im T-Punkt vorbeischauen
wollten, um nachzufragen, ob ihr Dorf endlich "an DSL angeschlossen
ist".

Die Vorgabe von 5 Minuten ist natürlich bei solchen Leuten nicht
einzuhalten, die bereits eine Minute brauchen, um sich an ihren
eigenen Namen zu erinnern. Zum Glück hat unser Verkäufer-auf-Zeit,
nennen wir ihn mal Herr R., aus seiner Zeit als Banklehrling gelernt,
daß ältere Menschen Verkäufern in gutgepflegten Anzügen gesteigertes
Vertrauen entgegenbringen (Zeugen Jehovas, Mafiakiller, der
Vermögensberater [für die, die keinen Ausbildungsplatz bekommen
haben, DIE Alternative] von der DVAG, dem man die Lebensversicherung
unterschreibt, weil er einem so eine tolle Schumi-Kappe mitgebracht
hat).

In den ersten 3 Minuten erzählt die Oma von ihrem Enkel, der eine
Bankkauflehre bei der Deutschen Bank macht und just solche Anzüge
trägt wie Herr R. Die Zeit hakt Herr R. professionell unter
"Persönliche Kundenbindung aufbauen" ab. Die nächste Minute vergeht
damit, dass Frau K. nun in ihrer Handtasche nach dem Handy sucht, zu
dem sie eine Bedienungsfrage hat. Herrn R. treten die ersten
Schweißperlen auf die Stirn, darunter das Gesicht mit dem
festgefrorenen Profilächeln aus der Dr. Best-Werbung. Nur noch 60
Sekunden Beratungszeit. Machbar. Streß kennt nur der
Leistungsschwache.

Der andere Enkel, der zur Zeit keinen Job hat und einen
Ausbildungsplatz sucht, hat am Handy herumgespielt und jetzt klingelt
es nicht mehr. Das vibriert nur noch. Ob da denn was kaputt sei?

Herr R. setzt zum Endspurt an, denn der Fall ist klar. Noch 30
Sekunden über, das Ziel bereits klar vor Augen, Jan Ullrich auf der
Zielgeraden der Champs-Elysee, nachdem Armstrong auf die Fresse
geflogen ist. Gönnerhaft nimmt er der alten Dame das sie eindeutig
überfordernde High-Tech-Gerät aus der Hand. "Das haben wir gleich."
Der vom drehen durchtrainierte Daumen wählt sich durch die Menüs und
- aus purer Gehässigkeit des Autors dieses Beitrags heraus und weil
ihm dies selbst schon passiert ist und sowas äusserst ärgerlich ist -
es tritt der unvermeidbare Java Exception Error auf.

Die 5 Minuten sind abgelaufen. Herr R., ganz der Profi, schaut sich
kurz um, erspäht Kollegen M. (Deus ex machina), der gerade aus seiner
Mittagspause zurückkommt (in der er bei Arcor gewesen ist, um sich zu
erkundigen, ob in seinem Dorf bereits DSL 3000 möglich sei), und
delegiert diese äusserst wichtige Aufgabe direkt weiter an den - ob
solchen Vertrauens durch die Führungsebene vor Glückseligkeit
strahlenden - Angestellten.

Wieder ein historischer Meilenstein in der Verbesserung des "Customer
Relationship"-Modells am Point-of-Sale. Herr R. geht in die
Mittagspause und wird kurz vor Feierabend nochmal kurz reinschauen,
um nachzusehen, ob die Angestellten den Laden ordentlich
abgeschlossen haben.

Sollten Sie als Angestellter zum Lesen dieses Beitrags mehr als 5
Minuten gebraucht haben, sollten Sie sich ernsthaft Sorgen um ihren
Job machen. Für Antworten auf dieses Posting bin nicht ich zuständig,
sondern mein Kollege von T-Mobile. Oder T-Online. Ich geb' Ihnen die
Nummer. Sobald der Zufallszahlengenerator zur Ruhe kommt.

Demnächst an dieser Stelle: Das Ticketsystem - Organisiertes
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