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  • Bernd Paysan

mehr als 1000 Beiträge seit 11.01.2000

Ich bekomme langsam leichte Sympathie für die Hexenverfolgung ;-)

Vielleicht verstehe ich erst jetzt so richtig, worum es bei Hexerei geht.

Ein Problem beim Verständnis ist, dass eine ent-rationalisierte Gesellschaft auch beim Bekämpfen der Hexerei auf Hexerei setzt, und deshalb nicht ernst genommen werden kann. Gibt es einen rationalen Teil?

Zunächst geht es darum, dass Hexen einem magischen, nicht-wissenschaftlichen emotional aufgeladenen, abergläubischen und esoterischen Weltbild anhängen. Das ist nicht ganz harmlos, so ein Weltbild schadet auf Dauer, vor allem, wenn es sich ausbreitet. Man kann zwar seine Rosenquarze ins Trinkwasser tun, ohne dass einem was passiert, aber wenn man glaubt, die würden verunreinigtes Wasser reinigen, dann gibt es Cholera als Ergebnis. Wir haben eine Menge solcher verstrahlter Gesellen, die als Impfgegner und Homöopathen, Heilpraktiker und Schwurbler der Gesellschaft tatsächlich Schaden zufügen. Das ist die eine Seite. Wir sind hier nicht in der Scheibenwelt, wo Magie evidenzbasierende Physik ist. Wir leben auch nicht in einer Welt, in der man einfach nur genügend Pseudo-Geschwurbel von sich geben muss, und das dann korrekt ist (siehe etwa https://www.edelsteine.net/edelsteinwasser/wirkung/, in dem „erklärt“ wird, wie Edelsteine im Wasser wirken: mit den gleichen akademischen Vokabular, das auch für real existierende Phänomene verwendet wird. Aber halt ohne jede Realitätsrelevanz — das Vokabular wird als Cargo-Cult verwendet, ohne es zu verstehen, das ist nur grammatikalisch korrekt).

Die andere Seite ist das Sähen von Zwietracht. Der böse Blick, verursacht durch Neid und Missgunst, ist ja bekannt. Wann/warum ist er schädlich? Wenn und weil der böse Blick nicht nur als Blick geworfen wird, sondern mit (haltlosen oder stark aufgeblasenen) Anschuldigungen einhergeht, und die Reputation des bös angeblickten vernichten will. Neid und Missgunst psychopathologisch veranlagter Menschen führt zu erheblichem Schaden. Die Schadenfreude, wenn das Werk der Zerstörung sichtbar wird, zeigt deutlich, dass dieses Ziel nicht etwa Kollateralschaden, sondern primärer Zweck eines CoCs ist. Coraline Ada Ehmke nimmt da kein Blatt vor den Mund.

Der CoC ist hier ein Werkzeug, und zwar nicht, indem die Regeln selbst groß kontrovers sind (eben weil das eh alles anerkannt unterirdisches Verhalten ist, was sanktioniert wird), sondern, indem man ein Schiedsgericht aufbaut, dem man Vorwürfe in diese Richtung eingeben kann, die auch dann öffentlich gemacht werden und untersucht werden müssen, wenn sie völlig haltlos sind, und für den Beschuldiger keine negativen Konsequenzen haben.

Im Linux-Kernel-Umfeld hat Ted Ts'o z.B. den CoC nicht unterzeichnet. Er wird jetzt als “rape apologetist” bezeichnet, weil er ein paar Untersuchungen über völlig verzerrte Statistiken (über die Häufigkeit von Vergewaltigungen) zitiert hat. Seine Position ist, dass “rape” die Tat ist, die im Strafgesetz beschrieben ist, und die Position seiner Gegner ist, dass das Wort völlig umdefiniert wird, und in der neuen, viel weiter gefassten Form, natürlich immer noch mit den gleichen Konsequenzen behandelt werden sollte wie die strafrechtlich relevante Form. Ein Anzweifeln der Wohldefiniertheit dieses neuen “rape”-Begriffs wird von denen natürlich als Verstoß gegen den CoC begriffen.

Jetzt bedeutet das aber, dass man sich von der ursprünglichen Idee verabschieden muss, dass die Don'ts im CoC nicht kontrovers sind: Das sind sie ja nur mit den ursprünglich wohldefinierten Begriffen, die da drin stehen.

Der scheinbare Zweck des CoCs, nämlich für Harmonie und Eintracht zu sorgen, ist also gar nicht der reale Zweck. Der reale Zweck ist, Zwietracht zu sähen, und das Projekt zu torpedieren. Coraline Ada Ehmke gibt das auch offen zu, für sie geht es um eine Überwindung der Meritokratie (das ist so die Antithese zur Hexerei: Statt auf Aberglaube und Magie baut dieses Weltbild auf Fakten, Wissen und Fähigkeiten), und ihrer Ansicht nach unterdrückt die Meritokratie Minderheiten grundsätzlich, und steht gegen Diversität.

Insofern ist auch verständlich, warum Ted Ts'o nicht einfach seine Hautfarbe ausspielen kann: Er denkt genauso wissenschaftlich analytisch wie die „alten weißen Männer“ (fällt da jemand auf, dass es sich hier um ein Synonym für „Zauberer“ handeln muss? Also der männlichen Form, die wohl in unserer Welt auf analytischem Verständnis basiert, und nur magisch aussieht, wenn man von Technologie keine Ahnung hat), ist also ein alter weißer Mann.

So, was soll man als aufgeklärter Mensch mit so Hexen jetzt machen, die ihren bösen Blick auf die FLOSS-Szene geworfen haben? Es geht ja anscheinend um alle, um die Dominanz des Nerds in dieser Szene, und der Nerd ist einfach der Zauberer dieser sehr unmagischen Welt — also der Gegenspieler der Hexen.

Mein Ansatz wäre, wenn man schon so ein Ding haben will, das das Verhalten regelt, das mit einem Belohnungs-System zu versehen statt einem Bestrafungssystem. Bestrafung funktioniert als Erziehungsmittel extrem schlecht, sorgt aber für sehr viel Zwietracht, und vor allem verstärkt Bestrafung das Fehlverhalten. D.h. die Don'ts und die Rezepte, wie damit umzugehen ist, gehören erst mal komplett weg. Es gibt Dos und Rezepte, wie diese zu verstärken sind. Zu den Dos einer Zauber-Meritokratie gehört natürlich, guten Code zu schreiben, Fehler zu finden, schlechten Code abzulehnen, anderen beizubringen, wie man guten Code schreibt und dafür zu sorgen, dass die sich wohlfühlen, die produktiv sind. Das darf dazu führen, dass die sich unwohl fühlen, die unproduktiv sind: Das schadet dem Projekt gar nicht. Es ist alles freiwillig, niemand muss mitmachen. Qualität und Quantität der Commits zählen. Ob du ein Hund bist, zählt nicht. Wenn du dich aber wie ein Hund verhältst, und einfach nur herumkackst und die Hausaufgaben frisst, dann hast du nichts im Projekt verloren.

Und wenn es ein Don't in der Liste gibt, dann sind das Zwietracht sähende und rufschädigende Anschuldigungen. Hier gilt (übrigens auch im StGB) eine Beweislastumkehr: Der Beschuldiger, der ja eine Straftat begeht, muss seine Anschuldigung jenseits berechtigter Zweifel beweisen. Schlägt das fehl, ist er zu bestrafen. Und die sinnvolle Strafe in einer zivilrechtlichen Vereinbarung ist natürlich der komplette Ausschluss. Wer irre Thesen gegen andere fährt, diese der Bösartigkeit verdächtigt, legt die Lunte an das Wohlfühlklima, das ja auch den Verfechtern von CoCs so am Herzen liegt, und muss auf jeden Fall ausgeschlossen werden.

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