Kampf der Resistenz

Die Weltgesundheitsorganisation befürchtet ein post-antibiotisches Zeitalter ohne Waffen gegen Infektionen. Wie gehen wir damit um? Neue Mittel allein reichen nicht.

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Von
  • Edda Grabar

Die Weltgesundheitsorganisation befürchtet ein post-antibiotisches Zeitalter ohne Waffen gegen Infektionen. Wie gehen wir damit um? Neue Mittel allein reichen nicht.

Axel Nierhaus beschleicht ein ungutes Gefühl, eine Mischung aus Sorge und Hilflosigkeit. Es breitet sich immer dann aus, wenn sich wieder die Fälle von hartnäckigen Lungen- oder Harnwegsentzündungen mehren. Nierhaus ist Oberarzt in Deutschlands größter Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Vor einigen Zimmern steht in großen Lettern das Wort Isolation. Ärzte und Pfleger dürfen sie nur mit Mundschutz, Handschuhen und Ganzkörperkittel betreten. Denn hinter ihren Türen beginnt ein unheimliches Reich. Die Patienten sind von Bakterien befallen, gegen die kaum noch ein Mittel hilft. Sie verkleben die Lungen der Betroffenen oder überschwemmen ihr Blut. Blutvergiftung nennt das der Volksmund, von Sepsis sprechen die Mediziner. Früher konnte Nierhaus zur Behandlung aus einem großen Arsenal an Antibiotika schöpfen. Doch mittlerweile versagen immer mehr Mittel, weil die Keime resistent gegen sie geworden sind. Mit 60.000 Todesfällen jährlich rangiert die Sepsis in der Statistik für Todesursachen in Deutschland an dritter Stelle hinter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. „Befallen die Bakterien auch Organe oder fällt der Blutdruck in den Keller, stirbt mehr als die Hälfte der Sepsis-Patienten“, sagt Nierhaus. Dann kann er nur noch hilflos zusehen.

Die Lage spitzt sich zu. Allein in Europa fallen Jahr für Jahr etwa 25000 Menschen den wehrhaften Bakterien zum Opfer. Auf der Frühgeborenenstation im Klinikum Bremen-Mitte starben 2011 und 2012 insgesamt fünf Babys an einem multiresistenten Durchfallkeim. Vor zwei Jahren schleppten britische Frauen nach Schönheitsoperationen in Indien beängstigende Bakterien nach Europa ein. Ein mutiertes Enzym verschafft ihnen eine nahezu komplette Resistenz gegen Antibiotika. Am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin verzeichnen Forscher zudem mit Unbehagen, dass auch längst vergessene Seuchen wieder auf dem Vormarsch sind. Erkrankten 2003 noch sieben von 100000 Einwohnern an Tripper, sind es jetzt mehr als doppelt so viele. Die Dunkelziffer schätzt das RKI noch einmal so hoch. Auch gegen diese Krankheiten sind Ärzte zunehmend machtlos. Noch vor einigen Jahren gehörte Penicillin zur Standardtherapie gegen Tripper. Jetzt versagt es bei etwa 80 Prozent der Keime. Für Tetracyclin liegt der Anteil bei mehr als 70 Prozent. Inzwischen müssen Ärzte auf Notfall-Antibiotika zurückgreifen, die eigentlich nur für besonders schwere Infektionen gedacht sind.

Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht damit die globale öffentliche Gesundheit auf dem Spiel. „Auch gewöhnliche Infektionen und kleine Wunden, die jahrzehntelang behandelbar waren, könnten für Menschen wieder zur tödlichen Gefahr werden“, prophezeite der stellvertretende WHO-Direktor Keiji Fukuda im April 2014. Am schlimmsten sieht es in Indien aus. Dort starben 2013 rund 58000 Babys an resistenten Erregern. Die Welt steuere sehenden Auges in ein post-antibiotisches Zeitalter, warnte Fukuda.

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