Facebook will dein Kind

Mit Messenger Kids spricht Facebook erstmals gezielt Kinder unter 13 Jahren an. Die App soll harmlos sein und sieht auch so aus, doch Bildungsexperten wollen sie stoppen.

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Von
  • Rachel Metz

Würden Sie Facebook Ihre Kinder anvertrauen? Genau vor diese Frage stehen Eltern nun. Das größte soziale Netzwerk der Welt hat Messenger Kids veröffentlicht, eine Mini-Version seiner normalen Chat-App (die wie Facebook selbst erst ab 13 Jahren freigegeben ist). Damit ist Facebook das erste große soziale Netze, das eine App speziell für Kinder anbietet.

Für Facebook ist der Vorteil klar: Teenager wandern immer mehr an Snapchat, Twitter oder Kik ab – mit Messenger Kids kann es wieder jüngere Kunden an sich binden. Lange Zeit haben die großen sozialen Netzwerke Kindern unter 13 in den USA schlicht verboten, sich anzumelden, um nicht gegen das COPPA-Gesetz zu verstoßen (Children’s Online Privacy Protection Rule). Es beschränkt das Sammeln, Nutzen und Weitergeben der Daten von Kindern. Doch COPPA ist eindeutig ineffektiv.

Kinder nutzen trotzdem bereits soziale Apps, ob es uns gefällt oder nicht. Bei einer Umfrage im Auftrag von Facebook und der National Parent Teacher Association (die Facebook bei der Entwicklung von Messenger Kids beraten hat) gaben im vergangenen Jahr drei von fünf amerikanischen Eltern an, ihre unter 13-jährigen Kinder würden Messaging-Apps, soziale Medien oder beides nutzen. Der wahre Anteil dürfte noch höher liegen.

Mit der neuen App scheint Facebook auf Bedenken über seine Manipulationsmacht zu reagieren, indem es einen angeblich sicheren Raum für Kinder schafft. Messenger Kids ist vor allem für Text- und Video-Chats mit Freunden und Familienmitgliedern gedacht. Ohne Genehmigung der Eltern können sich Kinder weder anmelden noch Kontakte hinzufügen. Zudem bietet es Spaßfunktionen wie digitale Sticker und animierte Masken.

Auf gewisse Weise klingt das sinnvoll. Chat-Apps sind überall, warum also sollte man sie von Kindern fernhalten? Möglicherweise würden sie Eltern sogar helfen, ihren Kindern Online-Etikette beizubringen. Aber auch wenn es prinzipiell gut ist, dass Kinder allmählich in soziale Apps hineinwachsen können: Ausgerechnet Facebook sollte dabei nicht ihr Lehrer sein.

So zeigt die Kinder-App einige sehr erwachsene Funktionen, wie sie auch im normalen Facebook Messenger zu finden sind. Sendet man zum Beispiel einem Kontakt eine Nachricht, sieht man unter anderem, ob die Person online ist und ob die Nachricht gelesen wurde. Tristan Harris, ehemaliger Design-Ethiker bei Google und Gründer des Centers for Humane Technology, findet die Vorstellung fragwürdig, dass Kinder an Always-on-Kommunikation gewöhnt werden sollten. „Das ist, als wenn Coca-Cola eine Limonade speziell für Kinder erfinden würde“, sagt er. „Es will immer noch Zucker verkaufen; das Unternehmen kann nicht aufrichtig besorgt sein um das Wohlergehen der Kinder.“

Forscher an der San Diego State University und der Florida State University haben vor Kurzem festgestellt, dass Teenager, die viel Zeit mit sozialen Medien und ähnlichen Diensten verbringen, mit höherer Wahrscheinlichkeit depressiv sind. Die Studie zeigt zudem, dass die Selbstmord- und Depressionsneigung bei US-Teenagern seit 2010 gestiegen ist, was mit der rapiden Verbreitung von Smartphones zusammenhängen könnte (siehe TR 2/2018).

Solche Ergebnisse haben Gesundheits- und Bildungsexperten alarmiert. 19 Gruppen und fast 100 Einzelpersonen (darunter Harris) haben im Januar Facebook in einem Brief aufgefordert, Messenger Kids zurückzuziehen. „Kinder zu ermuntern, ihre Freundschaften online zu führen, stört und verdrängt direkte Interaktionen und Spiele, die entscheidend sind für eine gesunde Entwicklung, darunter menschliche Emotionen zu erkennen lernen, Belohnungsaufschub zu tolerieren und sich mit der physischen Welt zu befassen“, heißt es darin. Wenn Kinder Kontakt zu weit verstreuten Familienmitgliedern halten wollen, sollten sie schlicht den Facebook- oder Skype-Zugang ihrer Eltern nutzen.

Laut Larry Rosen, Psychologie-Professor und Autor des Buches „The Distracted Mind“, sind Kinder unter 13 noch dabei, ihre Kommunikationsfähigkeiten auszubilden, etwa das Verstehen von Körpersprache. „Ich habe die Sorge, dass wir Kinder an etwas heranführen, das sie nicht wirklich brauchen“, sagt Rosen. „Und ich glaube, dass die vermutliche Absicht dahinter falsch ist, nämlich die Kinder früh damit anfangen zu lassen.“

(grh)