40 Jahre Klötzchen drehen: Tetris hat Geburtstag

Tetris wird 40, ohne zu altern: Remakes, Sequels, Remixe und Raubkopien haben den Klötzchenklassiker von Alexei Paschitnow unsterblich gemacht.

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Stilisierter Schriftzug "40 Jahre Tetris" aus Tetris-Steinchen

Das beliebte Spiel Tetris feiert seinen 40. Geburtstag.

(Bild: Gerald Himmelein, Erik and Martin Demaine)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Gerald Himmelein
Inhaltsverzeichnis

Vor 40 Jahren entstand Tetris, der Klassiker unter den Spielen vom Typ "mal sehen, wie weit ich es diesmal durchhalte". Für Leute, die unter einem Felsblock leben: Tetris hat zum Ziel, ein rechteckiges Spielfeld freizuhalten, in das Klötzchen unterschiedlicher Form fallen. Diese Aufgabe wird immer weiter erschwert.

Die Klötzchen lassen sich drehen und seitlich verschieben, bis sie den Boden oder einen anderen Klotz berühren, dann kleben sie fest. Füllen die Klötzchen alle Zeilen des Spielfelds, ist das Spiel zu Ende. Im Spielverlauf fallen die Klötzchen immer schneller, was den Stressfaktor weiter steigert.

Die meisten Spiele enden mit einer Niederlage. Und doch ist die Spielidee nicht totzukriegen. Vielleicht, weil Tetris mit den besten Vorsätzen erfunden wurde.

Als der russische Programmierer Alexei Leonidowitsch Paschitnow den Grundstein für Tetris legte, wollte er Menschen glücklich machen. Seine Überzeugung: Puzzle-Spiele legen Persönlichkeiten offen. Paschitnow begann mit Spielfiguren aus fünf Segmenten, vereinfachte das Konzept aber schnell auf vier.

Daraus ergaben sich sieben Klotzformen, von Tetris-Spielern oft als L, J, Z, S, I, T, und O beschrieben. Offiziell heißen die Klötze "Tetrominos". Gelingt es, mit einem I-Balken vier Reihen gleichzeitig zu leeren, ist das ein "Tetris".

Seinerzeit musste man den Song noch selber summen: Die Ur-Version von Tetris (emuliert).

(Bild: Pixel Prophecy nach Alexei Paschitnow)

Die Urform des Spiels entstand 1984 auf einem Elektronika 60, einem russischen Klon des DEC LSI-11. Da dieser Großrechner keine Grafik unterstützte, bestanden die ursprünglichen Tetrominos aus ASCII-Zeichen.

So grob das seinerzeit noch aussah: Die berüchtigte Sogwirkung des Spiels war von Anfang an voll da. Die erste spielbare Version wurde an der Moskauer Akademie der Wissenschaften sofort zum Renner. Ein Kollege aus dem benachbarten Medizininstitut ließ sich eine Kopie geben, nur um das Spiel wenig später zu blockieren – zu viele Mitarbeiter verbrachten ihre Arbeitszeit mit Tetris.

Schon die erste Tetris-Version bot eine optionale Vorschau auf die kommende Klotzform und die Möglichkeit, den aktuellen Tetromino per Tastendruck sofort nach unten zu befördern. Zur Ur-Version gehörte auch schon der Trick, ein Klötzchen in letzter Millisekunde seitlich zu verschieben, etwa um es unter ein kopfstehendes "L" zu klemmen.

Aus der in Pascal geschriebenen Mainframe-Version leitete Paschitnow zusammen mit einem 16-jährigen Schüler eine Version für IBM-PCs ab. Diese Version führte farbige Spielsteine ein und eine High-Score-Tabelle, um Bestleistungen zu protokollieren.

Der Brite Robert Stein sah Tetris 1986 und bekundete Interesse daran, das Spiel zu vertreiben. Er interpretierte ein Fax der Entwickler als rechtsverbindliche Genehmigung und verkaufte die Tetris-Rechte an europäische und US-amerikanische Distributoren. Für die US-Version beschloss Spectrum Holobyte überraschenderweise, den Ursprung des Spiels zu betonen. So zeigte der Hintergrund sowjetische Motive und das Gameplay wurde mit russischer Musik unterlegt. Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs eine riskante Entscheidung.

Es begann ein jahrelanges Lizenz-Chaos, das 2004 zum Futter für eine faszinierende BBC-Dokumentation wurde: "Tetris: From Russia with Love". 1988 waren etwa ein Dutzend Firmen davon überzeugt, Rechte am Spiel zu besitzen.

Für Nintendos Handheld-Konsole "Game Boy" war Tetris die Killer-App.

(Bild: Nintendo)

Nintendo produzierte Portierungen für seine Konsole "Nintendo Entertainment System" (NES) und bündelte das Spiel mit dem Handheld "Game Boy". Seitdem kennt jeder die Melodie des russischen Volkslieds "Korobeiniki" als "die Tetris-Musik". Inzwischen sehen die offiziellen Lizenzbedingungen vor, dass das Lied in jeder Variante vorkommen muss.

Seit einigen Jahren geht durch die Welt, die Tetris-Steine hätten eigene Namen – ähnlich wie die Geister aus "Pac-Man" (Blinky, Pinky, Inky und Clyde). Ursprung für diesen Irrtum war ein Spaß-Tweet des Spieleentwicklers Dan Vecchitto vom Februar 2019. Darin teilte er angebliche Fotos aus dem Tetris-Handbuch der NES-Version.

Dort wird auf Seite zwölf das gespiegelte L als "Blue Ricky" bezeichnet, der Viererblock als "Hero", das T-Stück als "Teewee" und das Quadrat als "Smashboy". Das Ganze wurde schnell als Gag erkannt – zahlreiche Tetris-Fans posteten umgehend Fotos der echten Handbuch-Seite.

Da hatte sich der Witz jedoch schon zum Fake verselbstständigt, der über viele Social Networks verbreitet wurde. Im Oktober 2019 hieß eine Frage der US-Quizshow "Jeopardy" zum Thema Videospiele: "The 7 rotatable blocks used in this video game have names like Orange Ricky, Hero & Smashboy". Die Kandidatin gab zur falschen Frage die richtige Antwort und zementierte damit die Legende.

Das offizielle Browser-Spiel der Tetris Company spielt mehrere Korobeiniki-Remixe.

(Bild: The Tetris Company)

Seit den ersten PC- und Konsolenversionen hat sich bei Tetris einiges getan: "Geister-Tetrominos" zeigen Spielern einen Umriss, wo der aktuell fallende Klotz landen wird, mit der "Hold"-Funktion lässt sich ein Klotz zwischenparken, und die Vorschau reicht drei Steine in die Zukunft. Eine weniger sichtbare, aber essenzielle Änderung besteht darin, dass neuere Tetris-Spiele die Klötzchen fairer verteilen als früher.

Das 2018 erschienene "Tetris Effect" zeigt, was sich aus dem Klassiker noch alles herausholen lässt: Die Variante verstärkt das "Eintauchen" ins Spiel mit wechselnden Grafik- und Sound-Effekten – eine Art simulierte Synästhesie. Vor allem aber erweitert "Tetris Effect" das Gameplay um eine aufladbare "Zone", in der die Blöcke für einige Sekunden stillstehen, Spieler aber dennoch neue Steine hinzufügen können. Lassen sich in traditionellen Versionen maximal vier Zeilen auf einmal leeren, ermöglicht die Zone von "Tetris Effect" das Freispielen von bis zu 16 Zeilen auf einen Schlag ("Decahexatris").

Im Laufe der Jahre ist "Tetris Effect" für immer mehr Plattformen erschienen. Seit dem Multiplayer-Update "Connected" können Spieler auch plattformübergreifend gegeneinander spielen; im Februar 2023 erschien eine VR-Variante für die PlayStation VR2. Andere neuere Sprösslinge sind das Genre-Mashup "Puyo Puyo Tetris 2", das rhythmusbasierende "Tetris Beat" für Apple Arcade sowie eine Konsolenversion der höllenschweren Arcade-Variante "Tetris The Grand Master" (Für Kopfschmerzen hier klicken).

"Tetris Effect" in Aktion: "Großmutter, warum hast Du so viele Partikel?" – "Damit ich Dich besser blenden kann!"

(Bild: Tetris Holding, Enhance)

Egal, wie das ursprüngliche Konzept erweitert wird: Im Kern bleibt Tetris immer gleich. Klötzchen drehen, Löcher füllen, Reihen leeren, Ruhe bewahren. Die Routine hat etwas Hypnotisierendes an sich, der Game-Over-Bildschirm lädt direkt zum nächsten Versuch ein. Bis einen die Tetrominos in die Träume begleiten.

Und ja, trotz aller Frustmomente ist Paschitnows Grundgedanke nicht zu übersehen: Tetris ist ein Spiel, das Gedankenmuster und Persönlichkeitsstrukturen offenlegt. Einige Tetris-Spieler bauen strategisch geschickt, aber risikobereit hohe Türme auf und warten auf I-Stücke, um große Punkte abzuräumen. Andere versuchen, ihr Steinkonvolut möglichst niedrig zu halten und nehmen niedrige Punktzeilen für längere Spielzeit in Kauf.

Einige resignieren, wenn sich zu viele Löcher bilden, und gucken erstarrt zu, wie sich die Klötzchen bis zur Katastrophe aufeinander türmen. Andere versuchen bis zuletzt, rettende Reihen zu bilden und das Ruder herumzureißen. Für Normalsterbliche siegt am Ende stets der Tetromino-Hagel. Gefolgt von der Entscheidung: Aufgeben oder noch ein Spielchen? … Okay, eins noch.

P.S.: Dieser Artikel wäre einen Tag früher fertig geworden, wenn der Autor im Zuge der Recherche nicht mit leiser Verachtung die offizielle Browser-Version angespielt hätte, um dann an der Game-Boy-Version hängenzubleiben und sich schließlich an einer Emulation des Ur-Tetris festzubeißen. Immerhin ist der Autor damit in guter Gesellschaft: In einem Interview zum 30. Jahrestag gab Tetris-Erfinder Paschitnow zu, die Fertigstellung seines Spiels seinerzeit in die Länge gezogen zu haben, weil er lieber weiterspielen wollte.

Game Over: Versuch's noch mal … und noch mal … nur einmal noch.

(Bild: Nintendo)

(are)