5G: Das Sofort-Netz

In diesem Jahr stehen große Tests mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G an. Was langweilig klingt, kann die Marktkräfte im digitalen Zeitalter verschieben – wenn deutsche Unternehmen es wollen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Robert Thielicke
Inhaltsverzeichnis

Die USA haben das Internet, die Deutschen die Dinge. So lautet seit Langem ein Bonmot über die Kräfteverteilung in Zeiten der Digitalisierung, und es war keineswegs positiv gemeint: Dinge, also all die Hardware vom Auto bis zum Küchengerät, waren von gestern. Menschen brauchen sie zwar, aber das wirkliche Geld und das eigentliche Zentrum der Wirtschaftsmacht lag: im Digitalen, den Daten, der Software.

Nun könnten sich die Marktkräfte erneut verschieben. Denn es steht der Wiederaufstieg der Dinge an. Die Angst vieler deutscher Industriemanager, als schlecht bezahlte Auftragsfertiger von Google, Apple oder Amazon zu enden, ist deutlich weniger angebracht, als es noch vor wenigen Jahren schien.

Erste Schritte ins Internet der Dinge sind zwar bereits getan, aber 2018 wird eine Technologie konkret, die viele Ideen möglich machen kann, die heute noch außer Reichweite liegen: der neue Mobilfunkstandard 5G. Südkorea will ihn bei den Olympischen Winterspielen einsetzen. Im Hafen von Venedig sollen über ihn touristische Dienste zur Verfügung stehen. Die Hamburger Hafenbehörde vernetzt zusammen mit der Deutschen Telekom und dem Netzwerkausrüster Nokia unter anderem Hafentore, Schifffahrtsampeln, Videokameras oder Sensoren für Luftqualität.

Wenn also im kommenden Jahr in Hamburg die Kähne tuten, könnten sie auch eine neue Phase der Digitalisierung einläuten. "Ich weiß, alle reden von Revolution, wenn sie irgendetwas Neues etablieren wollen", sagt Frank Fitzek, Leiter des 5G Lab an der Technischen Universität Dresden. "Aber bei 5G stimmt es wirklich."

Mehr Infos

Denn die bisherige LTE-Technik ist mit dem neuen Ausmaß der digitalen Vernetzung schlicht überfordert. Mit ihr lassen sich weder Roboter sicher aus der Ferne steuern noch autonome Autos unter normalen Verkehrsbedingungen über die Straße lotsen oder dezentrale Energiesysteme reibungslos regeln. LTE kommt trotz Weiterentwicklung nur auf eine maximale Datenrate von rund einem Gigabit pro Sekunde, zu wenig unter anderem für Augmented-Reality-Anwendungen – sei es für die reihenweise Wartung von Maschinen oder die Steuerung von Drohnen per Datenbrille.

Noch entscheidender aber ist die vergleichsweise große Trägheit: Die Latenzzeit, also die Verzögerung zwischen Befehl und Reaktion, liegt bei mindestens 40 Millisekunden. In dieser Zeitspanne hat ein Auto mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde etwas über einen Meter zurückgelegt. Das ist zwar nicht viel, aber im Extremfall der Unterschied zwischen Leben und Tod. Nicht ganz so dramatisch, aber durchaus ernst zu nehmen, sind die Folgen im Energienetz. Bei einer Netzfrequenz von 50 Hertz wechselt die Spannung innerhalb von 20 Millisekunden. "Bei 40 Millisekunden Latenzzeit ist die Gefahr für einen Blackout zu hoch", sagt Fitzek.

Mit dem Mobilfunk der fünften Generation (5G) hingegen soll die Datenrate auf zehn Gigabit pro Sekunde steigen, die Latenzzeit gleichzeitig auf eine Millisekunde sinken und sich trotzdem 500 Milliarden Geräte vernetzen lassen. Eine derart geringe Verzögerung ist zwar auch mit einem WLAN-Netzwerk möglich. Aber erstens nicht für mehrere Nutzer gleichzeitig und zweitens nicht über größere Distanzen hinweg. "Digitalisierung kann ganz neu gedacht werden", sagt Fitzek.

Noch läuft die Standardisierung. 2020 dann soll die Technologie breit eingeführt werden, und große Hoffnungen knüpfen daran vor allem die Netzbetreiber. Denn die kurze Reaktionszeit lässt sich nur erreichen, wenn Daten regional gespeichert und verarbeitet werden. 25 bis 50 Kilometer gelten derzeit als sinnvoller Abstand zwischen Cloud-Server und Nutzer, damit scheidet der Weg über den Atlantik zu Google oder Amazon aus. Natürlich könnte etwa Google selbst regionale Rechenzentren aufbauen. Dafür aber wären riesige Investitionen nötig.

Die Stärke seines Geschäftsmodells, eine Technologie mit wenig Aufwand zu skalieren, wäre dahin. Damit verschiebt sich die Macht von den Digitalkonzernen zurück zu den Infrastrukturanbietern wie Telekom oder Vodafone.

Entscheidender aber wird sein, ob die deutsche Industrie mitmacht. Wenn sie keinen Sinn darin sieht, den Dienst zu bezahlen, bleiben die Netzbetreiber auf ihrer Technologie sitzen. Viele Augen ruhen daher auf einer Branche, der man lange nachgesagt hat, mit Dingen sehr viel, mit dem Internet aber eher wenig anfangen zu können. Doch das Bild hat sich gewandelt, so jedenfalls sieht es Kevin Ashton. Er war am Auto-ID Center des Massachusetts Institute of Technology (MIT) maßgeblich an der Erstellung eines internationalen Standards für RFID und andere Sensoren beteiligt und gilt als Schöpfer des Begriffs "Internet der Dinge". "Die Deutschen sind keineswegs hinterher", meint er.

Ein gutes Beispiel dafür sei die Entwicklung bei autonomen Autos. Apple und Google spielten lange mit dem Gedanken, selbst Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Doch Apple stellte sein Projekt 2017 ohne handfestes Ergebnis ein. Google produzierte immerhin die Knutschkugel "Firefly", mottete sie dann aber ein und kooperiert über die Tochter Waymo nun mit etablierten Herstellern. Pionier Ashton ist allerdings skeptisch, ob der Digitalkonzern wirklich weit kommt. Denn die Rolle als Automobilzulieferer widerspricht Googles bisherigem Geschäftsmodell: Die Kunden sind Industrieunternehmen statt Endverbraucher, und bezahlt wird mit Geld, nicht mit Daten. Google, das so lange andere Unternehmen vor sich hergetrieben hat, drohe bald selbst zum alten Eisen zu gehören. "Zu den Jungs, die die Transformation nicht schaffen", sagt Ashton.

Denn im Internet der Dinge funktioniert Digitalisierung anders. Bisher war ein Gerät wertlos ohne Software. Ein Smartphone ist ohne digitale Vernetzung nur schön geformtes Glas und Metall. Eine Stahlpresse aber ist ohne Vernetzung immer noch – eine Stahlpresse.

Das Geld liegt nicht mehr nur in den Daten, sondern im engen Zusammenspiel zwischen Daten und Hardware. Eine Voraussage, wann eine Maschine ausfallen könnte, lässt sich schließlich nur treffen, wenn man weiß, wo die nötigen Sensoren sitzen müssen und wie die Daten auszuwerten sind. Google oder Amazon können dabei bisher nur von außen zuschauen. Trotz aller Versuche haben es die Unternehmen nicht geschafft, hinter die Werkstore zu gelangen. Warum sollten die Hersteller sie auch reinlassen? Lieber nutzen sie die Daten selbst – oder suchen sich einen Anbieter, der einem das Eigentum an ihnen garantiert. Nicht umsonst versichern viele Cloud-Anbieter – sei es die Telekom, SAP, Microsoft oder IBM –, dass die Daten selbstverständlich dem Kunden gehören.

Wer gute Maschinen oder Geräte herstellt, hat in dieser Welt einen wichtigen Hebel in der Hand. Und mit 5G wird der Hebel noch einmal länger. "Mit dem neuen Mobilfunkstandard wird das Internet der Dinge erst interessant", sagt Frank Fitzek. Nun muss Deutschland nur noch an den richtigen Stellen zupacken. Ob das aber wirklich gelingt, ist keineswegs ausgemacht. Denn bei allem Lob – als führend im Internet der Dinge sieht Kevin Ashton Deutschland nicht. Diese Position billigt er China zu.

Auch Volker Markl, Leiter der Forschungsgruppe Database Systems and Information Management an der Technischen Universität Berlin, beobachtet, wie das Reich der Mitte aufholt. "Mehr und mehr Studenten gehen mittlerweile nach China", sagt der Wissenschaftler, der unter anderem mit dem Entwicklungszentrum von Amazon in Berlin zusammenarbeitet. In Deutschland hingegen erlebe er gerade im Mittelstand immer noch, wie wenig sich die Leute über den Wert der Daten bewusst sind. "Deutschland hat in der Kombination aus künstlicher Intelligenz und industriellen Daten eine Chance", meint er. Aber es müsse sie auch nutzen. Die große Frage sei: "Sind wir schnell genug?"

(rot)