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Ab in den Untergrund

Astrid Dähn

Die so genannte CO2-Sequestrierung könnte sich als Technologie erweisen, mit der sich zumindest Zeit im Kampf gegen den Klimawandel kaufen lässt. Doch manche fürchten ein neues Atommüll-Problem

Das Versuchsfeld liegt mitten im Revier. Eine kleine Wiese zwischen Steinbrüchen, Wäldern und hoch aufragenden Fördertürmen - die Hügellandschaft südlich von Kattowitz gehört zu den größten Kohlereservoiren Europas. Wer hier das Erdreich aufgräbt, hat gewöhnlich nur ein Ziel: dem Boden seine Schätze zu entreißen. Seit kurzem jedoch testet ein internationales Forscherteam auf dem rohstoffreichen Grund genau das Gegenteil. Hinter hohen Maschendrahtzäunen haben die Wissenschaftler zwei Flüssiggastanks aufgestellt. Die tonnenförmigen Behälter sind über Rohrleitungen mit einer Pumpstation am Rande eines Bohrlochs verbunden. Neben der Bohrstelle blinkt ein großes gelbes Warnschild in der Sonne: "Rauchen strengstens verboten". Mehrere Gas-Sensoren überwachen die Öffnung rund um die Uhr.

Denn anstatt Kohle aus der Tiefe nach oben zu befördern, wollen die Forscher durch den Bohrkanal in den kommenden Monaten mehr als 40 Tonnen Kohlendioxid in den Untergrund pressen, etwa 1200 Meter tief, bis zu einer Steinkohleschicht, in deren feinen Poren sich das Gas festsetzen soll. Das Flöz sei schwer abbaubar und mit einer dicken, gasundurchlässigen Lage aus Ton bedeckt, erläutert der Koordinator des "Recopol" genannten Projekts, Pawel Krzystolik. "Es eignet sich daher bestens als Kohlendioxid-Grab."

Noch stammt das CO2 in den beiden Tanks auf der Wiese aus einer französischen Düngemittelfabrik und musste eigens für das Experiment nach Polen gekarrt werden. Für die Zukunft schwebt Krzystolik jedoch ein anderes Szenario vor: "Wenn sich die Speichermethode bewährt, könnte man das CO2 aus allen Kraftwerken der Region abfangen und im Boden verschwinden lassen", sagt der Bergbauingenieur. "Dann wären wir die Sorge um das Treibhausgas mit einem Schlag weitgehend los."

EIN TRAUM VON DER SAUBEREN ENERGIEPRODUKTION, den man nicht nur in Polen träumt. Auf der ganzen Welt laufen zurzeit umfangreiche Experimente zur "Sequestrierung", wie die neue Form der Schutzhaft für Kohlendioxid im Fachjargon heißt. Allein die US-Regierung investiert inzwischen jährlich knapp 50 Millionen Dollar, um mögliche Speicherkonzepte für CO2 zu erproben - von der Lagerung in unterirdischen Gesteinsschichten bis zum Versenken im Meer. Die EU-Kommission, die unter anderem Recopol mitfinanziert, hat gerade erst mehr als 30 Millionen Euro für fünf neue Sequestrierprojekte freigegeben. Und auch das Engagement der Industrie ist groß. Nahezu alle namhaften Energieanbieter und Ölkonzerne beteiligen sich an Versuchen zur Kohlendioxidlagerung. Schon wirbt die Kohlebranche mit dem "CO2-freien Kraftwerk", von einer "Sonnenenergie, die auch bei Regen funktioniert", ist die Rede. "So wie wir heute unseren Müll ganz selbstverständlich auf Deponien sichern, werden wir eines Tages die CO2-Abgase routinemäßig in Speichern unschädlich machen", fasst Howard Herzog, Kohlenstoff-Forscher am Massachusetts Institute of Technology, das Bild seiner Zunft von einer künftigen CO2-Wirtschaft zusammen.

Und selbst Klimaexperten wie Hans Joachim Schellnhuber, die gewiss nicht im Verdacht stehen, Lobbyarbeit für Kohle oder Erdöl zu betreiben, hoffen auf die Lagertechnik. Der Direktor des britischen Tyndall Centre gehört zu den Leitern des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), einem weltumspannenden Wissenschaftlerverbund, der neueste Daten aus der Klimaforschung bewertet und in regelmäßigen Berichten zusammenfasst. Anfang nächsten Jahres will das IPCC einen Sonderreport zur Sequestrierung veröffentlichen. Schellnhubers Vorab-Resümee: "Wenn wir die Erderwärmung tatsächlich stoppen möchten, werden wir ohne das Speichern nicht auskommen."

DEN KLIMAKILLER ALSO einfach fangen und wegschließen – die Idee klingt bestechend. Aber lässt sie sich auch umsetzen? Laut Statistik der Internationalen Energieagentur (IEA) produziert die Menschheit jährlich gut 24 Milliarden Tonnen CO2. Soll man derart große Abgasmengen wirklich in die Erde pumpen? Wird da nicht ein gigantisches Geoexperiment in Gang gesetzt, das am Ende womöglich zusätzliche Umweltprobleme schafft oder lediglich als Imagepolitur dient, um den angeschlagenen ökologischen Ruf der fossilen Brennstoffe aufzubessern? Lohnt sich der Aufwand überhaupt?

Die Klimafakten sprechen dafür. Kohlendioxid spielt der gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinung zufolge eine entscheidende Rolle beim Wandel des irdischen Klimasystems. Dabei ist das Gas eigentlich kein Umweltzerstörer. Im Gegenteil. Die Natur ist auf den ungiftigen Luftbestandteil angewiesen, ohne ihn gäbe es auf unserem Planeten keinerlei Grün. Denn Pflanzen benötigen CO2 für ihren Stoffwechsel. Bei der Photosynthese wandeln sie den Kohlenstoff der dreiatomigen Verbindung in neue Zellbausteine um, während sie die beiden Sauerstoff-Teilchen freisetzen. Mit zunehmendem Kohlendioxid-Gehalt in der Erdatmosphäre beschleunigt sich allerdings nicht nur das Wachstum der Vegetation. Die Gas-Moleküle fungieren auch als Wärmespeicher: Sie schlucken vom Erdboden reflektierte Sonnenstrahlung und heizen so die Lufthülle auf.

Dieser Treibhauseffekt hat in der Vergangenheit bereits Wirkung gezeigt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die CO2- Konzentration in der Atmosphäre stetig gestiegen, auf jüngste Rekordwerte von 379 Kohlendioxid-Partikeln pro Million Luftteilchen. Parallel dazu hat sich die globale Durchschnittstemperatur um 0,7 Grad erhöht. Stimmen die Prognosen der Internationalen Energieagentur, wonach die weltweite Energienachfrage und mithin auch die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen bis 2020 um mindestens fünfzig Prozent wachsen werden, könnte die Fieberkurve der Erde künftig noch rascher nach oben schnellen; bis zum Ende des Jahrhunderts sagen Modellrechnungen des IPCC eine Temperatursteigerung von maximal 5,8 Grad vorher.

Um zu verhindern, dass das Wetter Kapriolen schlägt und die Erde immer häufiger von Hitzewellen, Wirbelstürmen oder monsunartigen Regenfällen heimgesucht wird, darf die globale Erwärmung nach Ansicht der IPCC-Mitglieder jedoch zwei Grad nicht überschreiten. Ein Grenzwert, der wahrscheinlich nur mit drastischen Emissionsbeschränkungen für CO2 einzuhalten ist; wesentlich drastischeren Beschränkungen als etwa im Kyoto-Protokoll festgelegt. Kämen die Unterzeichner ihren Reduktionsverpflichtungen darin nach, würde das den Temperaturanstieg bestenfalls um ein Zehntel Grad abschwächen. Expertengremien wie die Enquete-Kommission und der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) fordern deshalb, die weltweiten CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte um ein Drittel zu reduzieren, die der Industrieländer sogar um 80 Prozent.

"Angesichts solcher Vorgaben haben wir keine andere Wahl, als jede Sparoption auszuschöpfen", sagt Hartmut Graßl, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie und Vorsitzender des WBGU. Das heißt für ihn zunächst vor allem, die Effizienz der bestehenden Kohle- und Gas-Kraftwerke zu steigern und den Umstieg auf erneuerbare Energien voranzutreiben. "Auf europäischer Ebene können wir damit sehr weit kommen", vermutet der Meteorologieprofessor. Der Anteil von Sonne, Wind und Wasserkraft am weltweiten Energiemix wird allerdings nur langsam wachsen. Im Business-as-usual- Szenario der IEA liegt er 2030 erst bei sechs Prozent; nicht zuletzt, weil Schwellenländer wie China und Indien über riesige Kohlevorräte verfügen und den Abbau der Rohstoffe massiv fördern, um ihren Wirtschaftsaufschwung zu beschleunigen. Bleibt die Sequestrierung. Beim Aufbau eines klimafreundlichen Energiesystems sei sie "der Joker, den man in der Hinterhand haben muss, um zu gewinnen", sagt Graßl. In seinem jüngsten "Fahrplan für eine Energiewende zur Nachhaltigkeit" geht der WBGU davon aus, dass in den kommenden hundert Jahren bis zu 1000 Milliarden Tonnen CO2 in der Erdkruste gespeichert werden. VORAUSGESETZT, DIE WEGSPERRTECHNIK funktioniert. Bislang ist der gesamte Sequestrierprozess noch ziemlich unausgereift. Schwierigkeiten bereitet schon das Einfangen des unsichtbaren und geruchlosen Gases am Entstehungsort.

Im Moment konzentriert man sich dabei hauptsächlich auf Kohle- und Gaskraftwerke, die neben Raffinerien, Stahlwerken oder Zementfabriken zu den größten CO2-Schleudern der Gewerbeszene zählen; immerhin mehr als die Hälfte aller industriellen Treibhausgas-Emissionen gehen auf ihr Konto. Drei grundsätzlich verschiedene Abfangtricks haben Ingenieure für diese Großverschmutzer entwickelt: Am besten erprobt sind Verfahren, bei denen das Kohlendioxid nach der Verbrennung von Erdgas oder Kohle aus dem Rauch herausgefischt wird. Das Prinzip solcher CO2-Wäschen ähnelt der Entschwefelung: Ein chemisches Reinigungsmittel, zumeist ein Amin, wird von oben in das Rauchgas geschüttet. Die Kohlendioxid-Moleküle verbinden sich mit der Waschsubstanz, sinken nach unten, während das übrige Abgas aufwärts steigt und abzieht.

In der chemischen Industrie sind Amin-Wäschen längst Standard, etwa in Düngemittelfabriken, die das abgetrennte CO2 an Kunststoffhersteller oder Getränkefabriken weiterverkaufen. In Kraftwerken müssten jedoch erheblich größere Abgas- Mengen von CO2 gereinigt werden, was den Energieverbrauch stark in die Höhe treiben würde. "Für erdgas-befeuerte Anlagen gibt es derartige Waschsysteme inzwischen, aber die kauft niemand, weil sie viel zu teuer sind", sagt Johannes Ewers, Leiter der Abteilung Neue Technologien von RWE Power in Essen. Wesentlich bequemer lässt sich das Kohlendioxid abfangen, wenn man das Brennmaterial im Kraftwerk nicht, wie üblich, mit Luft, sondern mit reinem Sauerstoff verfeuert. Das Abgas besteht dann überwiegend aus zwei Komponenten - CO2 und Wasserdampf –, die durch Kühlen trennbar sind: Der Dampf kondensiert zu Wasser, das Kohlendioxid bleibt übrig. Der Haken an diesem "Oxyfuel-Verfahren": Üblicherweise gewinnt man reinen Sauerstoff, indem man ihn bei minus 200 Grad aus flüssiger Luft abdestilliert, ein Prozess, der ebenfalls sehr energieaufwendig ist. "Eine sparsamere Alternative könnten Trennmembranen darstellen", sagt Ewers. Chemiker forschen zurzeit an Folien aus bestimmten Oxiden, die nur für Sauerstoff-Ionen durchlässig sind und sich folglich als Luftfilter anbieten. Bisher hätten die hauchdünnen Trennwände ihre Filterqualität aber erst im Labormaßstab bewiesen, räumt Ewers ein.

WIE DIE MEHRZAHL SEINER KOLLEGEN in Energieunternehmen setzt der Ingenieur daher auf die dritte Abfangvariante. Bei dieser Methode wird das CO2 noch vor dem Verfeuern aus dem Brenngas geholt. Der Vorteil: Das Brenngas ist in der Regel komprimiert, sein Volumen klein und seine Kohlendioxid- Konzentration hoch, sodass es relativ einfach ist, das Treibhausgas abzutrennen (siehe Grafik Seite 42). Weil das natürlich nur bei gasförmigem Brennmaterial funktioniert, erfordert die frühe Reinigung in Kohlekraftwerken einen zusätzlichen Arbeitsschritt: Die festen Kohlebrocken müssen vor der Feuerung in ein Synthesegas umgewandelt werden - keine ganz neue Technik.

Kraftwerke mit integrierter Kohlevergasung (IGCC) hielten bereits in den achtziger Jahren Einzug in die Energielandschaft, allerdings ohne sich dauerhaft auf dem Markt durch- zusetzen. Zu geringe Zuverlässigkeit bei zu hohen Investitionskosten, befanden die Anlagenbetreiber damals. Jetzt könnte die Sequestrierung dem verschmähten Kraftwerksmodell zu neuer Beliebtheit verhelfen. Denn in einer IGCC-Anlage lässt sich das CO2 nicht nur besonders leicht einfangen. Das Kraftwerk bleibt trotz des Abfangsystems auch vergleichsweise effizient. Weil man in einem IGCC Gasturbinen und Dampfturbinen hintereinander schalten kann, ist sein Wirkungsgrad nämlich um einiges höher als bei konventionellen Kohlekraftwerken, die allein mit Dampfturbinen arbeiten. "Das gleicht die Energieeinbußen beim Abtrennen des Kohlendioxids größtenteils aus", erläutert Ewers. Im Rahmen des Cooretec-Programms, einer Forschungsinitiative des Bundeswirtschaftsministeriums, entwickelt RWE gemeinsam mit Vattenfall und anderen Energiekonzernen Entwürfe für eine neue, verbesserte Generation von IGCCKraftwerken. Spätestens in zehn Jahren wollen die europäischen Unternehmen die erste Demonstrationsanlage mit CO2-Fänger fertig gestellt haben.

Ihre Konkurrenz in Übersee hegt derweil noch ehrgeizigere Pläne. Das amerikanische Energieministerium hat vergangenen Sommer eine Milliarde Dollar ausgelobt, um "FutureGen" zu bauen, den Prototyp einer IGCC-Anlage mit CO2-Abspaltung, die nicht bloß zur Stromerzeugung taugt. Aus dem Synthesegas der Kohle sollen obendrein maßgeschneiderte Treibstoffe für Autos und reiner Wasserstoff für Brennstoffzellen hergestellt werden. "CO2-freie Wasserstoffwirtschaft" heißt die Überschrift, unter der das Projekt läuft. Den neuen IGCC-Typ gleich als "eierlegende Wollmilchsau" zu konzipieren, sei eigentlich "erst der übernächste Schritt", kommentiert Georg Rosenbauer von Siemens Power Generation in Erlangen das US-Vorhaben. Aber es lohne sich, beizeiten über weiterführende Anwendungen der Abtrenntechnik nachzudenken. Siemens arbeitet intensiv an speziellen Gasturbinen für die geplanten CO2-gereinigten Kraftwerke. "Je schneller die Kohlendioxid-Abtrennung großtechnisch einsatzbereit ist, desto besser", sagt Rosenbauer.

DENN DEM KRAFTWERKSPARK in Europa steht eine Generalüberholung bevor. Als Ersatz für alte Anlagen müssen in den kommenden 15 bis 20 Jahren EU-weit ungefähr 200 000 Megawatt elektrischer Leistung neu installiert werden. In Deutschland, wo der Atomausstieg zusätzliche Versorgungslücken reißt, entspricht der Zubaubedarf ungefähr 40 Groß- kraftwerken. "Wenn wir da nicht die Sequestrierung mit berücksichtigen, verpassen wir eine einmalige Gelegenheit", bestätigt Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Herkömmliche Anlagen später nachzurüsten, sei möglich, aber kostspielig und deshalb "eher eine Notlösung".

Zumal es den Transportaufwand verringern würde, die Sequestrierung schon bei der Standortwahl mitzubedenken und Kraftwerke mit CO2-Fänger gleich in die Nähe eines geeigneten Speichers zu stellen. Lassen sich weite Reisewege nicht vermeiden, soll das Kohlendioxid nach Vorstellung der Energiekonzerne künftig in riesigen Schiffen um die Welt geschippert werden, ähnlich den Tankern für flüssiges Erdgas. Für kürzere Entfernungen genügen Pipelines, die das CO2 - bei 100 bar Druck zur Flüssigkeit komprimiert - direkt zu seinem Lagerort verfrachten.

ALS KERKER FÜR DEN KLIMAKILLER kommen dabei ganz unterschiedliche Speicherarten in Frage. Seit vier Jahren strömen beispielsweise täglich rund 5000 Tonnen CO2 durch Rohrleitungen von einer Fabrik für synthetische Treibstoffe im Norden der USA nach Kanada, zu einem nahezu ausgebeuteten Ölfeld namens Weyburn. Dort lässt die kanadische Ölgesellschaft EnCana das Gas in stillgelegten Bohrlöchern verschwinden – mit einem willkommenen Nebeneffekt: Das in den Untergrund gepumpte Kohlendioxid vermischt sich mit den Ölresten in der Lagerstätte, vergrößert das Volumen der Rohöls und erhöht so den Förderdruck. Ein Teil des Gases gelangt später mit dem Öl wieder nach oben, doch bis zur endgültigen Aufgabe des Feldes in zwanzig Jahren will EnCana netto etwa 19 Millionen Tonnen CO2 im Boden versenken und zugleich rund 130 Millionen zusätzliche Barrel Öl aus dem Reservoir herausquetschen.

"Diese Version des Sequestrierens rechnet sich schon sehr gut für die Konzerne", sagt Julio Friedmann, Leiter eines CO2- Versuchs, der demnächst auf einem Ölfeld in Wyoming starten soll. Ähnlich lukrativ könnte es sein, das Gas in halb leere Erdgaslager zu injizieren. Oder in tief liegende Kohleflöze, wie zurzeit in Polen getestet. Die Kohleschichten enthalten nämlich als Beiprodukt oft große Mengen Methan, das beim Einpressen des Kohlendioxids verdrängt wird. 150 Meter von der CO2- Injektionsstelle entfernt haben die Mitarbeiter des Recopol-Projekts deshalb auf ihrem Versuchsgelände ein zweites Loch in den Boden gebohrt, wo sie das ankommende Brenngas auffangen wollen – mindestens einige tausend Kubikmeter pro Tag, schätzen sie. Um den drohenden Klimaumschwung abzuwenden, reicht die Aufnahmekapazität der Öl-, Gas und Kohlereservoire allerdings kaum aus. Wollte man in ihnen das gesamte von Menschen produzierte CO2 einlagern, wären die Speicher spätestens nach 30 Jahren voll, so die Analysen der Internationalen Energieagentur.

Weit mehr Stauraum bieten so genannte salinare Aquifere, ausgedehnte, salzwasserhaltige Sandsteinschichten, die das CO2 gleich einem Schwamm in ihren Poren aufsaugen. In ein solches Gesteinsbecken auf dem Sleipner-Gasfeld zwischen Norwegen und Schottland, tausend Meter tief unter dem Nordseegrund, pumpt der norwegische Ölkonzern Statoil seit 1996 Kohlendioxid, das bei der Erdgasförderung mit aus dem Boden quillt. Wie Messungen des Unternehmens ergaben, könnte allein das geräumige Sleipner-Reservoir gut hundert Jahre lang die CO2-Emissionen sämtlicher europäischer Kraftwerke aufnehmen (siehe Tabelle Seite 40). Der Speicherplatz aller salinaren Aquifere auf der Erde reicht vermutlich noch um ein Vielfaches länger.

ZUMINDEST, WENN SICH DIE HOCHRECHNUNGEN der internationalen Energieinstitute als richtig erweisen. "All diese Zahlen sind vorläufig noch sehr unsicher", gibt Franz May von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover zu bedenken. Die systematische Diskussion über die Speichermöglichkeiten habe gerade erst begonnen - ein flächendeckendes Verzeichnis aller brauchbaren Depots könne noch gar nicht existieren. "Momentan ist ja nicht einmal die Rechtslage geklärt."

Wer darf den "Gas-Müll" wo hinpacken? Fällt die Lagerung unter das Abfallgesetz? Oder unter das Berggesetz wie bei Erdgas? Wer haftet für die Sicherheit der Speicher? Und wie lange sollen sie überdauern? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Oder mindestens bis zur nächsten Eiszeit?

Unter der Leitung des Geoforschungszentrums Potsdam wurde vor vier Monaten "CO2Sink" gestartet, das erste groß angelegte Experiment zur Lagerung von CO2 auf deutschem Boden. In Ketzin, einer Kleinstadt westlich von Berlin, wollen die Wissenschaftler Kohlendioxid in ein salzwasserhaltiges Aquifer unterhalb eines ehemaligen Erdgasspeichers pumpen. "Im Verlauf dieses Projekts muss man sämtliche offenen Rechtsfragen einmal bis ins Detail durchspielen", sagt May. Hinterher sei der nationale Gesetzesrahmen vielleicht so weit abgesteckt, dass der Lagerung "in bestimmten Gesteinsformationen nichts mehr entgegensteht", hofft er.

Für ein anderes Modell der CO2-Entsorgung könnten genaue juristische Gutachten indes das endgültige Aus bedeuten: Die Ozeane sind mit Abstand die größten natürlichen Kohlendioxid- Reservoire der Erde. Und ihr Aufnahmevermögen ist noch längst nicht erschöpft. Länder wie Japan, die über wenig geologischen Speicherplatz verfügen, würden sich das gern zunutze machen und ihre CO2-Abgase direkt ins Meer einleiten, entweder hinunter bis auf den Grund, wo das flüssige Kohlendioxid unter dem hohen Wasserdruck zu einer Art See zusammengeballt liegen bliebe. Oder nur bis in mittlere Wasserschichten, in denen sich das Gas vollständig lösen würde. Gelöstes CO2 bildet jedoch Kohlensäure und senkt den pH-Wert des Wassers. Da die CO2-Konzentration der Atmosphäre in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, sind die Ozeane an ihren luftdurchmischten Oberflächen schon heute leicht übersäuert – was wiederum den Stoffwechsel mancher Meeresbewohner beeinträchtigt. Bei steigendem Säuregrad nimmt zum Beispiel die Wachstumsrate von Miesmuscheln merklich ab, wie Biologen des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung vor kurzem herausfanden.

Naturschützer wollen deshalb verhindern, dass weiteres CO2 im Wasser versenkt wird. Sie berufen sich auf die London Convention von 1972, die das Verklappen von Industrieabfällen im Ozean verbietet. Noch ist unklar, ob Kohlendioxid tatsächlich als "Abfall" einzustufen ist. Doch wegen des heftigen Protests der Umweltorganisationen mussten bereits mehrere Sequestrierexperimente im Meer abgeblasen werden. Lediglich einige Versuche, pflanzenarme Meeresregionen großflächig mit Algen "aufzuforsten" und damit die CO2-Aufnahmekapazität der Gewässer zu steigern, konnten wie geplant stattfinden (siehe Kasten Seite 41). "Wir kennen die Tiefsee längst nicht gut genug, um in das Leben dort dermaßen stark einzugreifen", begründet die Greenpeace-Mitarbeiterin Gabriela von Goerne den Widerstand der Öko-Aktivisten.

EINE HALTUNG, DIE NICHT ALLEIN das Verklappen im Meer betrifft. Grundsätzlich fürchten Greenpeace, der WWF und andere Umweltgruppen, dass zu viele Fördermittel in die Sequestrierung fließen, die dann beim Ausbau der erneuerbaren Energien fehlen. Dabei, so argumentieren sie, verschlinge die gesamte Speicher- Prozedur auch noch zusätzliche Energie. Statt Treibhausgas zu vermeiden, erzeuge man also mehr und verbuddele es für kommende Generationen - womöglich mit gefährlichen Folgen. Kohlendioxid ist zwar nicht giftig, aber schwerer als Luft, kann sich am Boden sammeln und alles Lebendige ersticken. Bei einer plötzlichen CO2-Eruption an einem Vulkansee in Kamerun beispielsweise kamen 1986 mehr als 1500 Menschen ums Leben. Die Sicherheit der Lagerstätten sei bisher deutlich zu wenig erforscht, warnt Gabriela von Goerne. "Stellt man die Weichenbfürs Sequestrieren, ohne über die potenziellen Risiken Bescheid zu wissen, beschert uns die Technologie vielleicht ein zweites Atommüllproblem."

Den Vergleich mit Nuklearabfällen halten Geologen wie Franz May für "absolut überzogen". "Bei sämtlichen Speicherarten, die wir im Augenblick ernsthaft in Betracht ziehen, ist das CO2 so im Gestein verankert, dass es kaum schlagartig in tödlichen Dosen austreten kann", wendet er ein. Ehemalige natürliche Erdgas- und Ölreservoire hätten überdies jahrtausendelang bewiesen, dass sie dichthalten.

Gleichwohl stimmen die Befürworter den Gegnern der Sequestrierung zu, dass die Zuverlässigkeit der verschiedenen Lagerarten in zukünftigen Experimenten noch besser ausgetestet werden muss. Auf dem norwegischen Sleipner-Feld etwa haben Geologen anhand regelmäßiger seismischer Messungen beobachtet, wie das verpresste CO2 langsam nach oben stieg, um schließlich unter der Deckschicht seines Steingefängnisses hängen zu bleiben. Vergleichbare Kontrollen sollen auch das polnische Recopol-Experiment und die Versuche in Ketzin begleiten. "Wenn wir wollen, dass die Technologie auf breite Akzeptanz stößt, müssen wir mit der Zeit ein vertrauenswürdiges, standardisiertes Überwachungssystem aufbauen", sagt May. Gleichzeitig gilt es, wirtschaftliche Anreize zum CO2-Sparen zu schaffen. Sequestrieren ist teuer: Einfang, Transport und Lagerung von einer Tonne Kohlendioxid addieren sich derzeit, je nach Fangmethode und Speicherart, zu Beträgen zwischen 40 und 85 Euro, wobei das Abtrennen am Kraftwerk ungefähr drei Viertel der Gesamtsumme ausmacht. Indem sie weiter an der Abtrenntechnik feilen, wollen Anlagenbauer die Gesamtkosten langfristig auf 20 bis 30 Euro drücken. Zum Vergleich: Die CO2-Vermeidungskosten für Windkraft liegen momentan mit 40 bis 70 Euro je Tonne in derselben Größenordnung, die für Solarenergie noch eine ganze Zehnerpotenz höher.

DOCH SELBST WENN DER PREIS WEITER SINKT - "warum sollte jemand sein Abgas mühsam in den Boden pumpen, solange es überhaupt nichts kostet, das CO2 in die Luft zu pusten?", gibt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zu bedenken. Der Ökonom plädiert dafür, gezielte politische Lenkmechanismen einzuführen.

Das könnten zum einen Steuern sein. Norwegen zum Beispiel verlangt eine Abgabe für Kohlendioxid, das bei der Erdgasförderung freigesetzt wird - einer der Hauptgründe, weshalb Statoil sich entschlossen hat, das Treibhausgas im Sandstein unter der Nordsee zu versenken. Pro verpresster Tonne CO2 vermeidet das Unternehmen 40 Dollar Steuern. Sechs Millionen Tonnen hat es nach eigenen Angaben bislang in den Boden injiziert; insgesamt also 240 Millionen Dollar gespart, bei Investitionskosten von gerade mal 80 Millionen Dollar für das Sequestriersystem.

Aus Angst vor Nachteilen im globalen Wettbewerb wehren sich die meisten Energiekonzerne jedoch gegen eine nationale Steuer. Eher akzeptieren sie den länderübergreifenden Handel mit CO2-Zertifikaten, wie er 2005 in der Europäischen Union beginnen soll (siehe nebenstehenden Kasten). Für Edenhofer gleichfalls ein "viel versprechendes Steuerinstrument". "Bei den strengen Emissionsbeschränkungen, die ein ambitionierter Klimaschutz fordert, stehen die Chancen nicht schlecht, dass der Handel mit den Verschmutzungsrechten das Speichern irgendwann wirtschaftlich macht", prognostiziert er.

DANN KÖNNTE DIE SEQUESTRIERUNG die Palette aller Kampfmaßnahmen gegen das Klimagas sinnvoll ergänzen. Und dann wird sie auch zum Einsatz kommen. Darin herrscht unter vielen Energieexperten aus Wirtschaft und Wissenschaft Einigkeit. Weitgehend einig ist man sich allerdings ebenso, dass die Technologie nur der Überbrückung dienen kann. Nach zwei bis drei Kraftwerksgenerationen muss sie abgelöst werden, schon weil gut zugängliche, sichere Lagerplätze sonst voraussichtlich knapp werden. "Das Sequestrieren ist gewiss keine Dauerlösung", resümiert der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. "Aber es eignet sich perfekt, um Zeit zu kaufen." Zeit, die man braucht, um die weltweite Strom- und Wärmeproduktion allmählich fast vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen.

Ein Projekt auf dem Weg in diese CO2-freie Energiezukunft wird vielleicht sogar die Kritiker der Sequestrierung ein bisschen mit der Speichertechnik versöhnen: In unmittelbarer Nähe des geplanten Kohlendioxid-Depots in Ketzin soll eine Vergasungsanlage für Pflanzenabfälle gebaut und an das Reservoir angeschlossen werden. Ein solches Biomasse-Kraftwerk hat schon im Normalfall eine ausgeglichene CO2-Bilanz. Es stößt nur so viel Kohlendioxid aus, wie die Pflanzen zu Lebzeiten aufgenommen haben. Fängt man dieses Abgas nun noch im Speicher auf, wird das Kraftwerk gewissermaßen zum Klimaschützer: Statt Treibhausgas abzugeben, fischt es CO2 aus der Luft -– und entlastet die Atmosphäre.

Entnommen aus Technology Review 09/04; Das Heft können sie hier [1] versandkostenfrei bestellen (sma [2])


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